immer noch fern. Es ist keine Kunst, das ohne Ver- langen zu betrachten, was wir doch nicht erreichen können. Aber die Gegenstände in den Händen halten und doch nichts von ihnen zu wollen als das reine, freie Spiel des Wohlgefallens, das ist echte Kunst. Spielt nicht ein jeder unwillkürlich mit dem, was er zwischen den Fingern hält? Dies zur Kunst zu er- heben, das ist das wahrhaft Geniale! Das Rauhe, Glatte, Scharfe, Spitzige, Runde, Nachgebende, Elastische, Harte, Kratzende, Kribblige -- ohne Gedanken, ohne Wünsche -- das ist das wahrhaft Aesthetische. Eine Tastsymphonie von Blu ist für mich das Höchste. Kommen Sie nur mit, ich werde sie Jhnen zeigen."
Jsma blickte zu Ell hinüber.
"Jch fürchte", sagte er deutsch -- es fiel auf dem Mars nicht auf, wenn man in Sprachen redete, die andere nicht verstanden, da die meisten Familien eigne Mundarten besaßen -- "ich fürchte, das wird für uns nichts sein. Wir sind wohl zu wenig auf diesen Kunst- genuß vorbereitet."
Die Dicke begann eben einen neuen Redestrom, als der Wagen hielt. Sie stürzte schleunigst hinaus. Jhre Begleiterin, die stumm geblieben war, folgte ihr, und Jsma und Ell thaten das Gleiche.
Man befand sich in einem großen Saale, in welchem man nichts erblickte als zahllose Kästen verschiedener Größe. Aufschriften gaben Verfasser und Jnhalt des Tastkunstwerkes an, das sie enthielten. Vor einigen saßen Besucher in stiller Andacht und hielten die Arme bis zum Ellenbogen in zwei Oeffnungen der Kästen versenkt.
Das heimliche Frühſtück.
immer noch fern. Es iſt keine Kunſt, das ohne Ver- langen zu betrachten, was wir doch nicht erreichen können. Aber die Gegenſtände in den Händen halten und doch nichts von ihnen zu wollen als das reine, freie Spiel des Wohlgefallens, das iſt echte Kunſt. Spielt nicht ein jeder unwillkürlich mit dem, was er zwiſchen den Fingern hält? Dies zur Kunſt zu er- heben, das iſt das wahrhaft Geniale! Das Rauhe, Glatte, Scharfe, Spitzige, Runde, Nachgebende, Elaſtiſche, Harte, Kratzende, Kribblige — ohne Gedanken, ohne Wünſche — das iſt das wahrhaft Aeſthetiſche. Eine Taſtſymphonie von Blu iſt für mich das Höchſte. Kommen Sie nur mit, ich werde ſie Jhnen zeigen.‟
Jsma blickte zu Ell hinüber.
„Jch fürchte‟, ſagte er deutſch — es fiel auf dem Mars nicht auf, wenn man in Sprachen redete, die andere nicht verſtanden, da die meiſten Familien eigne Mundarten beſaßen — „ich fürchte, das wird für uns nichts ſein. Wir ſind wohl zu wenig auf dieſen Kunſt- genuß vorbereitet.‟
Die Dicke begann eben einen neuen Redeſtrom, als der Wagen hielt. Sie ſtürzte ſchleunigſt hinaus. Jhre Begleiterin, die ſtumm geblieben war, folgte ihr, und Jsma und Ell thaten das Gleiche.
Man befand ſich in einem großen Saale, in welchem man nichts erblickte als zahlloſe Käſten verſchiedener Größe. Aufſchriften gaben Verfaſſer und Jnhalt des Taſtkunſtwerkes an, das ſie enthielten. Vor einigen ſaßen Beſucher in ſtiller Andacht und hielten die Arme bis zum Ellenbogen in zwei Oeffnungen der Käſten verſenkt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0049"n="41"/><fwplace="top"type="header">Das heimliche Frühſtück.</fw><lb/>
immer noch fern. Es iſt keine Kunſt, das ohne Ver-<lb/>
langen zu betrachten, was wir doch nicht erreichen<lb/>
können. Aber die Gegenſtände in den Händen halten<lb/>
und doch nichts von ihnen zu wollen als das reine,<lb/>
freie Spiel des Wohlgefallens, das iſt echte Kunſt.<lb/>
Spielt nicht ein jeder unwillkürlich mit dem, was er<lb/>
zwiſchen den Fingern hält? Dies zur Kunſt zu er-<lb/>
heben, das iſt das wahrhaft Geniale! Das Rauhe,<lb/>
Glatte, Scharfe, Spitzige, Runde, Nachgebende, Elaſtiſche,<lb/>
Harte, Kratzende, Kribblige — ohne Gedanken, ohne<lb/>
Wünſche — das iſt das wahrhaft Aeſthetiſche. Eine<lb/>
Taſtſymphonie von Blu iſt für mich das Höchſte.<lb/>
Kommen Sie nur mit, ich werde ſie Jhnen zeigen.‟</p><lb/><p>Jsma blickte zu Ell hinüber.</p><lb/><p>„Jch fürchte‟, ſagte er deutſch — es fiel auf dem<lb/>
Mars nicht auf, wenn man in Sprachen redete, die<lb/>
andere nicht verſtanden, da die meiſten Familien eigne<lb/>
Mundarten beſaßen —„ich fürchte, das wird für uns<lb/>
nichts ſein. Wir ſind wohl zu wenig auf dieſen Kunſt-<lb/>
genuß vorbereitet.‟</p><lb/><p>Die Dicke begann eben einen neuen Redeſtrom,<lb/>
als der Wagen hielt. Sie ſtürzte ſchleunigſt hinaus.<lb/>
Jhre Begleiterin, die ſtumm geblieben war, folgte ihr,<lb/>
und Jsma und Ell thaten das Gleiche.</p><lb/><p>Man befand ſich in einem großen Saale, in welchem<lb/>
man nichts erblickte als zahlloſe Käſten verſchiedener<lb/>
Größe. Aufſchriften gaben Verfaſſer und Jnhalt des<lb/>
Taſtkunſtwerkes an, das ſie enthielten. Vor einigen ſaßen<lb/>
Beſucher in ſtiller Andacht und hielten die Arme bis<lb/>
zum Ellenbogen in zwei Oeffnungen der Käſten verſenkt.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[41/0049]
Das heimliche Frühſtück.
immer noch fern. Es iſt keine Kunſt, das ohne Ver-
langen zu betrachten, was wir doch nicht erreichen
können. Aber die Gegenſtände in den Händen halten
und doch nichts von ihnen zu wollen als das reine,
freie Spiel des Wohlgefallens, das iſt echte Kunſt.
Spielt nicht ein jeder unwillkürlich mit dem, was er
zwiſchen den Fingern hält? Dies zur Kunſt zu er-
heben, das iſt das wahrhaft Geniale! Das Rauhe,
Glatte, Scharfe, Spitzige, Runde, Nachgebende, Elaſtiſche,
Harte, Kratzende, Kribblige — ohne Gedanken, ohne
Wünſche — das iſt das wahrhaft Aeſthetiſche. Eine
Taſtſymphonie von Blu iſt für mich das Höchſte.
Kommen Sie nur mit, ich werde ſie Jhnen zeigen.‟
Jsma blickte zu Ell hinüber.
„Jch fürchte‟, ſagte er deutſch — es fiel auf dem
Mars nicht auf, wenn man in Sprachen redete, die
andere nicht verſtanden, da die meiſten Familien eigne
Mundarten beſaßen — „ich fürchte, das wird für uns
nichts ſein. Wir ſind wohl zu wenig auf dieſen Kunſt-
genuß vorbereitet.‟
Die Dicke begann eben einen neuen Redeſtrom,
als der Wagen hielt. Sie ſtürzte ſchleunigſt hinaus.
Jhre Begleiterin, die ſtumm geblieben war, folgte ihr,
und Jsma und Ell thaten das Gleiche.
Man befand ſich in einem großen Saale, in welchem
man nichts erblickte als zahlloſe Käſten verſchiedener
Größe. Aufſchriften gaben Verfaſſer und Jnhalt des
Taſtkunſtwerkes an, das ſie enthielten. Vor einigen ſaßen
Beſucher in ſtiller Andacht und hielten die Arme bis
zum Ellenbogen in zwei Oeffnungen der Käſten verſenkt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laßwitz, Kurd: Auf zwei Planeten. Bd. 2. Weimar, 1897, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_planeten02_1897/49>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.