"Jch bitte Sie", unterbrach sie Grunthe, "Sie können nicht wissen, ob das gut wäre. Nehmen Sie an, er stünde unter dem Drucke einer Schuld, oder glaubte es wenigstens, -- er würde seine Frau nur ins Unglück stürzen, wenn er jetzt käme, oder er scheue sich, vor sie als ein Ausgestoßener zu treten, aber er hoffe, daß der Makel noch von ihm genommen werden könnte, in einiger Zeit -- nehmen Sie an, er warte nur noch Nachrichten ab -- eine vorzeitige Mitteilung könnte alles verderben --"
"Nehmen wir an, was wir wollen", hub jetzt La an, "hier giebt es gar keine andre Wahl, als die Frau in dieses Geheimnis zu ziehen, und sie kann dann ent- scheiden -- Jhr haltet das wahrscheinlich für besonders edel, daß der Mann die inneren Kämpfe in sich aus- ficht und die Frau aus Schonung in der Angst der Ungewißheit läßt, weil Jhr denkt, sie könnte sich wieder durch rücksichtsvolle Gefühle bestimmen lassen, das zu thun, was sie eigentlich nicht will. Zartgefühl nennt ihr's, und Hochmut ist es, weiter nichts. Der Hoch- mut, daß ihr allein so außerordentlich fähig seid zu beurteilen, wo und wieweit man sich aufopfern darf. Das kommt aber alles davon, weil ihr nicht wißt, was Freiheit ist; Freiheit, die das Gefühl anerkennt, wie es wirklich ist, aber nicht es zurecht stutzt, wie es Euch verständig scheint. Und weil Eure Vernunft zu blöde ist, um dieses ganze Gewirr von Gefühl und Berechnung zu durchschauen, so ver-
Laßwitz, Auf zwei Planeten. 55
Auf der Sternwarte.
„Jch kann nichts ſagen.‟
„So werde ich Jsma —‟
„Jch bitte Sie‟, unterbrach ſie Grunthe, „Sie können nicht wiſſen, ob das gut wäre. Nehmen Sie an, er ſtünde unter dem Drucke einer Schuld, oder glaubte es wenigſtens, — er würde ſeine Frau nur ins Unglück ſtürzen, wenn er jetzt käme, oder er ſcheue ſich, vor ſie als ein Ausgeſtoßener zu treten, aber er hoffe, daß der Makel noch von ihm genommen werden könnte, in einiger Zeit — nehmen Sie an, er warte nur noch Nachrichten ab — eine vorzeitige Mitteilung könnte alles verderben —‟
„Nehmen wir an, was wir wollen‟, hub jetzt La an, „hier giebt es gar keine andre Wahl, als die Frau in dieſes Geheimnis zu ziehen, und ſie kann dann ent- ſcheiden — Jhr haltet das wahrſcheinlich für beſonders edel, daß der Mann die inneren Kämpfe in ſich aus- ficht und die Frau aus Schonung in der Angſt der Ungewißheit läßt, weil Jhr denkt, ſie könnte ſich wieder durch rückſichtsvolle Gefühle beſtimmen laſſen, das zu thun, was ſie eigentlich nicht will. Zartgefühl nennt ihr’s, und Hochmut iſt es, weiter nichts. Der Hoch- mut, daß ihr allein ſo außerordentlich fähig ſeid zu beurteilen, wo und wieweit man ſich aufopfern darf. Das kommt aber alles davon, weil ihr nicht wißt, was Freiheit iſt; Freiheit, die das Gefühl anerkennt, wie es wirklich iſt, aber nicht es zurecht ſtutzt, wie es Euch verſtändig ſcheint. Und weil Eure Vernunft zu blöde iſt, um dieſes ganze Gewirr von Gefühl und Berechnung zu durchſchauen, ſo ver-
Laßwitz, Auf zwei Planeten. 55
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0441"n="433"/><fwplace="top"type="header">Auf der Sternwarte.</fw><lb/><p>„Jch kann nichts ſagen.‟</p><lb/><p>„So werde ich Jsma —‟</p><lb/><p>„Jch bitte Sie‟, unterbrach ſie Grunthe, „Sie<lb/>
können nicht wiſſen, ob das gut wäre. Nehmen Sie<lb/>
an, er ſtünde unter dem Drucke einer Schuld, oder<lb/>
glaubte es wenigſtens, — er würde ſeine Frau nur ins<lb/>
Unglück ſtürzen, wenn er jetzt käme, oder er ſcheue<lb/>ſich, vor ſie als ein Ausgeſtoßener zu treten, aber er<lb/>
hoffe, daß der Makel noch von ihm genommen werden<lb/>
könnte, in einiger Zeit — nehmen Sie an, er warte<lb/>
nur noch Nachrichten ab — eine vorzeitige Mitteilung<lb/>
könnte alles verderben —‟</p><lb/><p>„Nehmen wir an, was wir wollen‟, hub jetzt La<lb/>
an, „hier giebt es gar keine andre Wahl, als die Frau<lb/>
in dieſes Geheimnis zu ziehen, und ſie kann dann ent-<lb/>ſcheiden — Jhr haltet das wahrſcheinlich für beſonders<lb/>
edel, daß der Mann die inneren Kämpfe in ſich aus-<lb/>
ficht und die Frau aus Schonung in der Angſt der<lb/>
Ungewißheit läßt, weil Jhr denkt, ſie könnte ſich wieder<lb/>
durch rückſichtsvolle Gefühle beſtimmen laſſen, das zu<lb/>
thun, was ſie eigentlich nicht will. Zartgefühl nennt<lb/>
ihr’s, und Hochmut iſt es, weiter nichts. Der Hoch-<lb/>
mut, daß ihr allein ſo außerordentlich fähig ſeid zu<lb/>
beurteilen, wo und wieweit man ſich aufopfern<lb/>
darf. Das kommt aber alles davon, weil ihr nicht<lb/>
wißt, was Freiheit iſt; Freiheit, die das Gefühl<lb/>
anerkennt, wie es wirklich iſt, aber nicht es zurecht<lb/>ſtutzt, wie es Euch verſtändig ſcheint. Und weil Eure<lb/>
Vernunft zu blöde iſt, um dieſes ganze Gewirr<lb/>
von Gefühl und Berechnung zu durchſchauen, ſo ver-<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#fr"><hirendition="#g">Laßwitz,</hi> Auf zwei Planeten.</hi> 55</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[433/0441]
Auf der Sternwarte.
„Jch kann nichts ſagen.‟
„So werde ich Jsma —‟
„Jch bitte Sie‟, unterbrach ſie Grunthe, „Sie
können nicht wiſſen, ob das gut wäre. Nehmen Sie
an, er ſtünde unter dem Drucke einer Schuld, oder
glaubte es wenigſtens, — er würde ſeine Frau nur ins
Unglück ſtürzen, wenn er jetzt käme, oder er ſcheue
ſich, vor ſie als ein Ausgeſtoßener zu treten, aber er
hoffe, daß der Makel noch von ihm genommen werden
könnte, in einiger Zeit — nehmen Sie an, er warte
nur noch Nachrichten ab — eine vorzeitige Mitteilung
könnte alles verderben —‟
„Nehmen wir an, was wir wollen‟, hub jetzt La
an, „hier giebt es gar keine andre Wahl, als die Frau
in dieſes Geheimnis zu ziehen, und ſie kann dann ent-
ſcheiden — Jhr haltet das wahrſcheinlich für beſonders
edel, daß der Mann die inneren Kämpfe in ſich aus-
ficht und die Frau aus Schonung in der Angſt der
Ungewißheit läßt, weil Jhr denkt, ſie könnte ſich wieder
durch rückſichtsvolle Gefühle beſtimmen laſſen, das zu
thun, was ſie eigentlich nicht will. Zartgefühl nennt
ihr’s, und Hochmut iſt es, weiter nichts. Der Hoch-
mut, daß ihr allein ſo außerordentlich fähig ſeid zu
beurteilen, wo und wieweit man ſich aufopfern
darf. Das kommt aber alles davon, weil ihr nicht
wißt, was Freiheit iſt; Freiheit, die das Gefühl
anerkennt, wie es wirklich iſt, aber nicht es zurecht
ſtutzt, wie es Euch verſtändig ſcheint. Und weil Eure
Vernunft zu blöde iſt, um dieſes ganze Gewirr
von Gefühl und Berechnung zu durchſchauen, ſo ver-
Laßwitz, Auf zwei Planeten. 55
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laßwitz, Kurd: Auf zwei Planeten. Bd. 2. Weimar, 1897, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_planeten02_1897/441>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.