Die Flucht vor dem Kriegsgericht mochte durch die Amnestie beim Friedensschlusse von der Anklage aus- geschieden sein, die Gewalthätigkeit bei der Flucht in Tibet aber jedenfalls nicht. Wenn diese neuen Nach- forschungen jetzt erst geschahen, weil vielleicht diese seine That erst jetzt den Martiern bekannt geworden war?
Torm ließ sein leichtes Gepäck auf dem Bahnhofe und trat unschlüssig in den leise herabrieselnden Regen hinaus. Zu Fuße verfolgte er den weiten Weg nach Jsmas Wohnung, gleichsam als wollte er dem Zufall noch eine Bestimmung über sein Schicksal einräumen. Dabei musterte er die eilend einherschreitenden Fuß- gänger, und je näher er dem Osten der Stadt kam, um so unruhiger fühlte er sein Herz schlagen. So oft eine schlanke Frauengestalt ihm begegnete, immer durchzuckte ihn der Gedanke, ob es nicht Jsma sein könnte, und wenn er die fremden Züge erkannte, wußte er kaum, ob er sich enttäuscht oder befreit fühlte.
Es war bereits dunkel geworden, als er die Wrangel- straße erreichte und nach den Hausnummern spähte. Jetzt stand er vor Jsmas Hause. Er mußte sich ent- scheiden. Er schämte sich seiner selbst. So kam er nach Hause, den die gebildete Welt als den Entdecker des wahren Nordpols gefeiert hatte? Heimlich wie ein Flüchtling, der das Licht des Tages scheut, der die Schwelle des Hauses zu betreten zögert? War es denn sein Haus? Nein, auch sie war ja geflüchtet -- -- Und seine Frau? War sie es denn noch? Nicht mehr nach dem Gesetze des Nu -- wenn sie nicht wollte! Aber sie wollte doch wohl! Nein, nein, nicht mehr
Dreiundfünfzigſtes Kapitel.
Die Flucht vor dem Kriegsgericht mochte durch die Amneſtie beim Friedensſchluſſe von der Anklage aus- geſchieden ſein, die Gewalthätigkeit bei der Flucht in Tibet aber jedenfalls nicht. Wenn dieſe neuen Nach- forſchungen jetzt erſt geſchahen, weil vielleicht dieſe ſeine That erſt jetzt den Martiern bekannt geworden war?
Torm ließ ſein leichtes Gepäck auf dem Bahnhofe und trat unſchlüſſig in den leiſe herabrieſelnden Regen hinaus. Zu Fuße verfolgte er den weiten Weg nach Jsmas Wohnung, gleichſam als wollte er dem Zufall noch eine Beſtimmung über ſein Schickſal einräumen. Dabei muſterte er die eilend einherſchreitenden Fuß- gänger, und je näher er dem Oſten der Stadt kam, um ſo unruhiger fühlte er ſein Herz ſchlagen. So oft eine ſchlanke Frauengeſtalt ihm begegnete, immer durchzuckte ihn der Gedanke, ob es nicht Jsma ſein könnte, und wenn er die fremden Züge erkannte, wußte er kaum, ob er ſich enttäuſcht oder befreit fühlte.
Es war bereits dunkel geworden, als er die Wrangel- ſtraße erreichte und nach den Hausnummern ſpähte. Jetzt ſtand er vor Jsmas Hauſe. Er mußte ſich ent- ſcheiden. Er ſchämte ſich ſeiner ſelbſt. So kam er nach Hauſe, den die gebildete Welt als den Entdecker des wahren Nordpols gefeiert hatte? Heimlich wie ein Flüchtling, der das Licht des Tages ſcheut, der die Schwelle des Hauſes zu betreten zögert? War es denn ſein Haus? Nein, auch ſie war ja geflüchtet — — Und ſeine Frau? War ſie es denn noch? Nicht mehr nach dem Geſetze des Nu — wenn ſie nicht wollte! Aber ſie wollte doch wohl! Nein, nein, nicht mehr
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Dreiundfünfzigſtes Kapitel.
Die Flucht vor dem Kriegsgericht mochte durch die
Amneſtie beim Friedensſchluſſe von der Anklage aus-
geſchieden ſein, die Gewalthätigkeit bei der Flucht in
Tibet aber jedenfalls nicht. Wenn dieſe neuen Nach-
forſchungen jetzt erſt geſchahen, weil vielleicht dieſe ſeine
That erſt jetzt den Martiern bekannt geworden war?
Torm ließ ſein leichtes Gepäck auf dem Bahnhofe
und trat unſchlüſſig in den leiſe herabrieſelnden Regen
hinaus. Zu Fuße verfolgte er den weiten Weg nach
Jsmas Wohnung, gleichſam als wollte er dem Zufall
noch eine Beſtimmung über ſein Schickſal einräumen.
Dabei muſterte er die eilend einherſchreitenden Fuß-
gänger, und je näher er dem Oſten der Stadt kam,
um ſo unruhiger fühlte er ſein Herz ſchlagen. So
oft eine ſchlanke Frauengeſtalt ihm begegnete, immer
durchzuckte ihn der Gedanke, ob es nicht Jsma ſein
könnte, und wenn er die fremden Züge erkannte, wußte
er kaum, ob er ſich enttäuſcht oder befreit fühlte.
Es war bereits dunkel geworden, als er die Wrangel-
ſtraße erreichte und nach den Hausnummern ſpähte.
Jetzt ſtand er vor Jsmas Hauſe. Er mußte ſich ent-
ſcheiden. Er ſchämte ſich ſeiner ſelbſt. So kam er
nach Hauſe, den die gebildete Welt als den Entdecker
des wahren Nordpols gefeiert hatte? Heimlich wie
ein Flüchtling, der das Licht des Tages ſcheut, der die
Schwelle des Hauſes zu betreten zögert? War es denn
ſein Haus? Nein, auch ſie war ja geflüchtet — —
Und ſeine Frau? War ſie es denn noch? Nicht mehr
nach dem Geſetze des Nu — wenn ſie nicht wollte!
Aber ſie wollte doch wohl! Nein, nein, nicht mehr
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Laßwitz, Kurd: Auf zwei Planeten. Bd. 2. Weimar, 1897, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_planeten02_1897/422>, abgerufen am 25.11.2024.
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