Saltner hatte die Stadt durchschritten und betrat die Brücke, welche über die Talfer führt. Drüben, jenseits des Flusses, wohnte seine Mutter. Sie war diesmal schon früher als sonst von dem kleinen Häus- chen, das sie oben in den Bergen besaß, in die Stadt herabgezogen, er selbst hatte noch den Umzug mit ihr besorgt und war dann auf eine Studienreise gegangen. Was war nun geschehen?
Es fiel ihm auf, wie leer die Brücke war, auf der sonst um diese Zeit, gegen Abend, ein reger Verkehr herrschte. Als er die Mitte überschritten hatte, blieb er stehen und wandte sich nach alter Gewohnheit rück- wärts, um einen Blick auf das entzückende Panorama zu werfen. Freudig hing sein Auge, über die alter- tümlichen Giebel der Stadt wegschweifend, an den rötlich schimmernden Zacken und Zinnen der Dolo- miten, die der Rosengarten kühn in die Luft streckte, und seine Seele schwebte über den freien Höhen. Aber er durfte nicht lange weilen. Die Sorge um die Mutter trieb ihn vorwärts.
Wenige Schritte hatte er zurückgelegt, als ihm einige Leute entgegenkamen, die eilend an ihm vor- über der Stadt zu schritten und ihn durch Winke zur Umkehr aufforderten. Er achtete nicht darauf, sondern richtete seine Aufmerksamkeit auf einen seltsamen Auf- zug, der jetzt aus den Talfer-Anlagen herauskommend die Brücke betrat. Eine Anzahl Neugierige, halb- wüchsige Jungen, liefen voran, hielten sich aber immer in respektvoller Entfernung. Dann folgte auf einem Akkumulator-Dreirad ein Martier mit seinem diaba-
Achtundvierzigſtes Kapitel.
Saltner hatte die Stadt durchſchritten und betrat die Brücke, welche über die Talfer führt. Drüben, jenſeits des Fluſſes, wohnte ſeine Mutter. Sie war diesmal ſchon früher als ſonſt von dem kleinen Häus- chen, das ſie oben in den Bergen beſaß, in die Stadt herabgezogen, er ſelbſt hatte noch den Umzug mit ihr beſorgt und war dann auf eine Studienreiſe gegangen. Was war nun geſchehen?
Es fiel ihm auf, wie leer die Brücke war, auf der ſonſt um dieſe Zeit, gegen Abend, ein reger Verkehr herrſchte. Als er die Mitte überſchritten hatte, blieb er ſtehen und wandte ſich nach alter Gewohnheit rück- wärts, um einen Blick auf das entzückende Panorama zu werfen. Freudig hing ſein Auge, über die alter- tümlichen Giebel der Stadt wegſchweifend, an den rötlich ſchimmernden Zacken und Zinnen der Dolo- miten, die der Roſengarten kühn in die Luft ſtreckte, und ſeine Seele ſchwebte über den freien Höhen. Aber er durfte nicht lange weilen. Die Sorge um die Mutter trieb ihn vorwärts.
Wenige Schritte hatte er zurückgelegt, als ihm einige Leute entgegenkamen, die eilend an ihm vor- über der Stadt zu ſchritten und ihn durch Winke zur Umkehr aufforderten. Er achtete nicht darauf, ſondern richtete ſeine Aufmerkſamkeit auf einen ſeltſamen Auf- zug, der jetzt aus den Talfer-Anlagen herauskommend die Brücke betrat. Eine Anzahl Neugierige, halb- wüchſige Jungen, liefen voran, hielten ſich aber immer in reſpektvoller Entfernung. Dann folgte auf einem Akkumulator-Dreirad ein Martier mit ſeinem diaba-
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Achtundvierzigſtes Kapitel.
Saltner hatte die Stadt durchſchritten und betrat
die Brücke, welche über die Talfer führt. Drüben,
jenſeits des Fluſſes, wohnte ſeine Mutter. Sie war
diesmal ſchon früher als ſonſt von dem kleinen Häus-
chen, das ſie oben in den Bergen beſaß, in die Stadt
herabgezogen, er ſelbſt hatte noch den Umzug mit ihr
beſorgt und war dann auf eine Studienreiſe gegangen.
Was war nun geſchehen?
Es fiel ihm auf, wie leer die Brücke war, auf der
ſonſt um dieſe Zeit, gegen Abend, ein reger Verkehr
herrſchte. Als er die Mitte überſchritten hatte, blieb
er ſtehen und wandte ſich nach alter Gewohnheit rück-
wärts, um einen Blick auf das entzückende Panorama
zu werfen. Freudig hing ſein Auge, über die alter-
tümlichen Giebel der Stadt wegſchweifend, an den
rötlich ſchimmernden Zacken und Zinnen der Dolo-
miten, die der Roſengarten kühn in die Luft ſtreckte,
und ſeine Seele ſchwebte über den freien Höhen. Aber
er durfte nicht lange weilen. Die Sorge um die
Mutter trieb ihn vorwärts.
Wenige Schritte hatte er zurückgelegt, als ihm
einige Leute entgegenkamen, die eilend an ihm vor-
über der Stadt zu ſchritten und ihn durch Winke zur
Umkehr aufforderten. Er achtete nicht darauf, ſondern
richtete ſeine Aufmerkſamkeit auf einen ſeltſamen Auf-
zug, der jetzt aus den Talfer-Anlagen herauskommend
die Brücke betrat. Eine Anzahl Neugierige, halb-
wüchſige Jungen, liefen voran, hielten ſich aber immer
in reſpektvoller Entfernung. Dann folgte auf einem
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Laßwitz, Kurd: Auf zwei Planeten. Bd. 2. Weimar, 1897, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_planeten02_1897/344>, abgerufen am 23.11.2024.
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