Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Auf zwei Planeten. Bd. 2. Weimar, 1897.

Bild:
<< vorherige Seite

Sechsundvierzigstes Kapitel.
los machen, das heißt, jeder pöbelhaften Gemeinheit
einen Freibrief ausstellen, das heißt, unsre heiligsten,
angestammten Gefühle angreifen und die Autorität
untergraben."

"Sie irren, Excellenz", antwortete der Kultor mit
einem überlegenen Lächeln. "Es heißt nur, die Wahr-
heit festlegen, daß die Majestät ebensowenig durch
Äußerungen anderer beleidigt werden kann, wie die
Vernunft überhaupt, daß die sittliche Persönlichkeit
dadurch nicht berührt wird. Die Verleumdung bleibt
strafbar wie jede Schädigung, und die Autorität ist
genügend geschützt durch die Unverletzlichkeit der Person
der Fürsten. Wir können es aber als keine Schädig-
ung der Person erachten, wenn jemand ohne seine
Schuld lediglich beschimpft wird. Das ist eben die
Grundanschauung, die wir durchführen wollen, daß es
keine solche Beleidigung giebt, daß die Jnjurie nicht
denjenigen verächtlich macht und in der öffentlichen
Meinung herabsetzt, den sie treffen soll, sondern den-
jenigen, der sie ausspricht. Wir erstreben mit diesem
Gesetze, einen Teil unsres allgemeinen Erziehungs-
planes durchzuführen. Die Menschen sollen lernen,
ihre Ehre allein zu finden in dem Bewußtsein ihres
reinen sittlichen Willens, und sie sollen verachten lernen
den äußern Schein, der dem Schlechten ebenso zu gute
kommt wie dem Ehrenmann. Wir wollen die Erziehung
zur innern Wahrheit, indem wir den Schutz des Gesetzes
dem entziehen, was dazu verleitet, die Ehre im Urteil
oder Vorurteil der Menge zu sehen. Alle unsre Maß-
regeln, die volkswirtschaftlichen wie die ethischen, haben

Sechsundvierzigſtes Kapitel.
los machen, das heißt, jeder pöbelhaften Gemeinheit
einen Freibrief ausſtellen, das heißt, unſre heiligſten,
angeſtammten Gefühle angreifen und die Autorität
untergraben.‟

„Sie irren, Excellenz‟, antwortete der Kultor mit
einem überlegenen Lächeln. „Es heißt nur, die Wahr-
heit feſtlegen, daß die Majeſtät ebenſowenig durch
Äußerungen anderer beleidigt werden kann, wie die
Vernunft überhaupt, daß die ſittliche Perſönlichkeit
dadurch nicht berührt wird. Die Verleumdung bleibt
ſtrafbar wie jede Schädigung, und die Autorität iſt
genügend geſchützt durch die Unverletzlichkeit der Perſon
der Fürſten. Wir können es aber als keine Schädig-
ung der Perſon erachten, wenn jemand ohne ſeine
Schuld lediglich beſchimpft wird. Das iſt eben die
Grundanſchauung, die wir durchführen wollen, daß es
keine ſolche Beleidigung giebt, daß die Jnjurie nicht
denjenigen verächtlich macht und in der öffentlichen
Meinung herabſetzt, den ſie treffen ſoll, ſondern den-
jenigen, der ſie ausſpricht. Wir erſtreben mit dieſem
Geſetze, einen Teil unſres allgemeinen Erziehungs-
planes durchzuführen. Die Menſchen ſollen lernen,
ihre Ehre allein zu finden in dem Bewußtſein ihres
reinen ſittlichen Willens, und ſie ſollen verachten lernen
den äußern Schein, der dem Schlechten ebenſo zu gute
kommt wie dem Ehrenmann. Wir wollen die Erziehung
zur innern Wahrheit, indem wir den Schutz des Geſetzes
dem entziehen, was dazu verleitet, die Ehre im Urteil
oder Vorurteil der Menge zu ſehen. Alle unſre Maß-
regeln, die volkswirtſchaftlichen wie die ethiſchen, haben

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0300" n="292"/><fw place="top" type="header">Sechsundvierzig&#x017F;tes Kapitel.</fw><lb/>
los machen, das heißt, jeder pöbelhaften Gemeinheit<lb/>
einen Freibrief aus&#x017F;tellen, das heißt, un&#x017F;re heilig&#x017F;ten,<lb/>
ange&#x017F;tammten Gefühle angreifen und die Autorität<lb/>
untergraben.&#x201F;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Sie irren, Excellenz&#x201F;, antwortete der Kultor mit<lb/>
einem überlegenen Lächeln. &#x201E;Es heißt nur, die Wahr-<lb/>
heit fe&#x017F;tlegen, daß die Maje&#x017F;tät eben&#x017F;owenig durch<lb/>
Äußerungen anderer beleidigt werden kann, wie die<lb/>
Vernunft überhaupt, daß die &#x017F;ittliche Per&#x017F;önlichkeit<lb/>
dadurch nicht berührt wird. Die Verleumdung bleibt<lb/>
&#x017F;trafbar wie jede Schädigung, und die Autorität i&#x017F;t<lb/>
genügend ge&#x017F;chützt durch die Unverletzlichkeit der Per&#x017F;on<lb/>
der Für&#x017F;ten. Wir können es aber als keine Schädig-<lb/>
ung der Per&#x017F;on erachten, wenn jemand ohne &#x017F;eine<lb/>
Schuld lediglich be&#x017F;chimpft wird. Das i&#x017F;t eben die<lb/>
Grundan&#x017F;chauung, die wir durchführen wollen, daß es<lb/>
keine &#x017F;olche Beleidigung giebt, daß die Jnjurie nicht<lb/>
denjenigen verächtlich macht und in der öffentlichen<lb/>
Meinung herab&#x017F;etzt, den &#x017F;ie treffen &#x017F;oll, &#x017F;ondern den-<lb/>
jenigen, der &#x017F;ie aus&#x017F;pricht. Wir er&#x017F;treben mit die&#x017F;em<lb/>
Ge&#x017F;etze, einen Teil un&#x017F;res allgemeinen Erziehungs-<lb/>
planes durchzuführen. Die Men&#x017F;chen &#x017F;ollen lernen,<lb/>
ihre Ehre allein zu finden in dem Bewußt&#x017F;ein ihres<lb/>
reinen &#x017F;ittlichen Willens, und &#x017F;ie &#x017F;ollen verachten lernen<lb/>
den äußern Schein, der dem Schlechten eben&#x017F;o zu gute<lb/>
kommt wie dem Ehrenmann. Wir wollen die Erziehung<lb/>
zur innern Wahrheit, indem wir den Schutz des Ge&#x017F;etzes<lb/>
dem entziehen, was dazu verleitet, die Ehre im Urteil<lb/>
oder Vorurteil der Menge zu &#x017F;ehen. Alle un&#x017F;re Maß-<lb/>
regeln, die volkswirt&#x017F;chaftlichen wie die ethi&#x017F;chen, haben<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[292/0300] Sechsundvierzigſtes Kapitel. los machen, das heißt, jeder pöbelhaften Gemeinheit einen Freibrief ausſtellen, das heißt, unſre heiligſten, angeſtammten Gefühle angreifen und die Autorität untergraben.‟ „Sie irren, Excellenz‟, antwortete der Kultor mit einem überlegenen Lächeln. „Es heißt nur, die Wahr- heit feſtlegen, daß die Majeſtät ebenſowenig durch Äußerungen anderer beleidigt werden kann, wie die Vernunft überhaupt, daß die ſittliche Perſönlichkeit dadurch nicht berührt wird. Die Verleumdung bleibt ſtrafbar wie jede Schädigung, und die Autorität iſt genügend geſchützt durch die Unverletzlichkeit der Perſon der Fürſten. Wir können es aber als keine Schädig- ung der Perſon erachten, wenn jemand ohne ſeine Schuld lediglich beſchimpft wird. Das iſt eben die Grundanſchauung, die wir durchführen wollen, daß es keine ſolche Beleidigung giebt, daß die Jnjurie nicht denjenigen verächtlich macht und in der öffentlichen Meinung herabſetzt, den ſie treffen ſoll, ſondern den- jenigen, der ſie ausſpricht. Wir erſtreben mit dieſem Geſetze, einen Teil unſres allgemeinen Erziehungs- planes durchzuführen. Die Menſchen ſollen lernen, ihre Ehre allein zu finden in dem Bewußtſein ihres reinen ſittlichen Willens, und ſie ſollen verachten lernen den äußern Schein, der dem Schlechten ebenſo zu gute kommt wie dem Ehrenmann. Wir wollen die Erziehung zur innern Wahrheit, indem wir den Schutz des Geſetzes dem entziehen, was dazu verleitet, die Ehre im Urteil oder Vorurteil der Menge zu ſehen. Alle unſre Maß- regeln, die volkswirtſchaftlichen wie die ethiſchen, haben

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_planeten02_1897
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_planeten02_1897/300
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Auf zwei Planeten. Bd. 2. Weimar, 1897, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_planeten02_1897/300>, abgerufen am 25.11.2024.