Laßwitz, Kurd: Auf zwei Planeten. Bd. 1. Weimar, 1897.Zweiundzwanzigstes Kapitel. sich darum nicht. Mehr wie je war ihr das Urteilder Menschen gleichgiltig geworden, während ihr der tägliche Verkehr mit Ell allein einigermaßen Beruhigung gewähren konnte. Ell hatte sie schon geliebt und um sie geworben, als sie noch als Jsma Hilgen bei ihrer früh verwitweten Mutter in Berlin lebte. Damals hatte sie seine Bewerbung zurückgewiesen. Die Neigung des seltsamen Mannes konnte sie zwar nicht unberührt lassen, aber von der Fremdartigkeit seines Wesens war sie immer wieder abgestoßen worden. Als sie mit Torm sich verlobte, war Ell in die Fremde gegangen. Nach seiner Rückkehr hatte er sich ihr in uneigenützigster Freundschaft genähert. Sie wußte, daß er sie liebte, und sie ahnte die Kämpfe, die er im Stillen mit seiner Leidenschaft führte. Aber sie hing an ihrem Manne mit inniger Zuneigung, und sie hatte Ell bald im Anfang gesagt, daß daran eine Änderung niemals eintreten würde. Damals gab er ihr das Versprechen, daß sie niemals durch ihn eine Störung ihres Glückes, ja nur eine trübe Stunde erfahren solle. Und dies Versprechen hatte er die Jahre hindurch gehalten. Wohl hatte manche andere sein Jnteresse gewonnen, und obwohl Jsma sein gutes Recht dazu anerkannte, hatte sie sich dann doch eines schmerzlichen Gefühls nicht erwehren können. Aber sie wollte sich über ihr Gefühl keine Rechenschaft geben. Sie wußte, daß er ihrer Nähe, ihrer Freundschaft und ihres Glückes be- durfte, und jene seltsame Abstraktionsgabe, das Erb- teil der Martier, in seiner Vorstellung sein Gefühl zu trennen von den harten Pflichten der Wirklichkeit, er- Zweiundzwanzigſtes Kapitel. ſich darum nicht. Mehr wie je war ihr das Urteilder Menſchen gleichgiltig geworden, während ihr der tägliche Verkehr mit Ell allein einigermaßen Beruhigung gewähren konnte. Ell hatte ſie ſchon geliebt und um ſie geworben, als ſie noch als Jsma Hilgen bei ihrer früh verwitweten Mutter in Berlin lebte. Damals hatte ſie ſeine Bewerbung zurückgewieſen. Die Neigung des ſeltſamen Mannes konnte ſie zwar nicht unberührt laſſen, aber von der Fremdartigkeit ſeines Weſens war ſie immer wieder abgeſtoßen worden. Als ſie mit Torm ſich verlobte, war Ell in die Fremde gegangen. Nach ſeiner Rückkehr hatte er ſich ihr in uneigenützigſter Freundſchaft genähert. Sie wußte, daß er ſie liebte, und ſie ahnte die Kämpfe, die er im Stillen mit ſeiner Leidenſchaft führte. Aber ſie hing an ihrem Manne mit inniger Zuneigung, und ſie hatte Ell bald im Anfang geſagt, daß daran eine Änderung niemals eintreten würde. Damals gab er ihr das Verſprechen, daß ſie niemals durch ihn eine Störung ihres Glückes, ja nur eine trübe Stunde erfahren ſolle. Und dies Verſprechen hatte er die Jahre hindurch gehalten. Wohl hatte manche andere ſein Jntereſſe gewonnen, und obwohl Jsma ſein gutes Recht dazu anerkannte, hatte ſie ſich dann doch eines ſchmerzlichen Gefühls nicht erwehren können. Aber ſie wollte ſich über ihr Gefühl keine Rechenſchaft geben. Sie wußte, daß er ihrer Nähe, ihrer Freundſchaft und ihres Glückes be- durfte, und jene ſeltſame Abſtraktionsgabe, das Erb- teil der Martier, in ſeiner Vorſtellung ſein Gefühl zu trennen von den harten Pflichten der Wirklichkeit, er- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0348" n="340"/><fw place="top" type="header">Zweiundzwanzigſtes Kapitel.</fw><lb/> ſich darum nicht. Mehr wie je war ihr das Urteil<lb/> der Menſchen gleichgiltig geworden, während ihr der<lb/> tägliche Verkehr mit Ell allein einigermaßen Beruhigung<lb/> gewähren konnte. Ell hatte ſie ſchon geliebt und um<lb/> ſie geworben, als ſie noch als Jsma Hilgen bei ihrer<lb/> früh verwitweten Mutter in Berlin lebte. Damals<lb/> hatte ſie ſeine Bewerbung zurückgewieſen. Die Neigung<lb/> des ſeltſamen Mannes konnte ſie zwar nicht unberührt<lb/> laſſen, aber von der Fremdartigkeit ſeines Weſens war<lb/> ſie immer wieder abgeſtoßen worden. 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Zweiundzwanzigſtes Kapitel.
ſich darum nicht. Mehr wie je war ihr das Urteil
der Menſchen gleichgiltig geworden, während ihr der
tägliche Verkehr mit Ell allein einigermaßen Beruhigung
gewähren konnte. Ell hatte ſie ſchon geliebt und um
ſie geworben, als ſie noch als Jsma Hilgen bei ihrer
früh verwitweten Mutter in Berlin lebte. Damals
hatte ſie ſeine Bewerbung zurückgewieſen. Die Neigung
des ſeltſamen Mannes konnte ſie zwar nicht unberührt
laſſen, aber von der Fremdartigkeit ſeines Weſens war
ſie immer wieder abgeſtoßen worden. Als ſie mit Torm
ſich verlobte, war Ell in die Fremde gegangen. Nach
ſeiner Rückkehr hatte er ſich ihr in uneigenützigſter
Freundſchaft genähert. Sie wußte, daß er ſie liebte,
und ſie ahnte die Kämpfe, die er im Stillen mit
ſeiner Leidenſchaft führte. Aber ſie hing an ihrem
Manne mit inniger Zuneigung, und ſie hatte Ell bald
im Anfang geſagt, daß daran eine Änderung niemals
eintreten würde. Damals gab er ihr das Verſprechen,
daß ſie niemals durch ihn eine Störung ihres Glückes,
ja nur eine trübe Stunde erfahren ſolle. Und dies
Verſprechen hatte er die Jahre hindurch gehalten.
Wohl hatte manche andere ſein Jntereſſe gewonnen,
und obwohl Jsma ſein gutes Recht dazu anerkannte,
hatte ſie ſich dann doch eines ſchmerzlichen Gefühls
nicht erwehren können. Aber ſie wollte ſich über ihr
Gefühl keine Rechenſchaft geben. Sie wußte, daß er
ihrer Nähe, ihrer Freundſchaft und ihres Glückes be-
durfte, und jene ſeltſame Abſtraktionsgabe, das Erb-
teil der Martier, in ſeiner Vorſtellung ſein Gefühl zu
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