Körper geschieht jedoch allein durch Bewegung. Alle Veränderun- gen in der Körperwelt beruhen auf der Verdrängung der Kor- puskeln durcheinander. Die Anziehung der Körper (wie beim Bernstein und Magnet) ist nur eine scheinbare, keine wirkliche. Alle Bewegung besteht darin, daß die Körper, da es kein Leeres gibt, andere verdrängen und in einen Kreislauf ver- setzen müssen, und daß alle Elemente, wenn sie aus ihrem Orte gebracht sind, wieder an ihren natürlichen Ort zu gelangen streben.1
Wie wir sehen, hat Platon eine vollständige Anleitung zur Aufstellung einer Korpuskulartheorie gegeben, die er nicht einmal für schwierig hält, aber freilich auch für nicht mehr als ein unterhaltendes Spiel, das nur Wahrscheinliches zu ermitteln vermag. "Und wenn einer zur Erholung die Unter- suchungen über die immerseienden Dinge beiseite legen und die wahrscheinlichen Ansichten über das Werden genau in Betracht ziehen wollte, um sich einen Genuß zu verschaffen, dem keine Reue folgt, so dürfte er wohl ein geziemendes und verständiges Spiel im Leben treiben."2
Mit diesem "geziemenden und verständigen Spiele" sehen wir denn sofort beginnen, sobald sich das Interesse des Nach- denkens wieder auf die selbständige Gestaltung der Körperwelt richtet. Man versucht sich Vorstellungen zu bilden über die Art und Weise, wie die Veränderungen der sichtbaren Körper sich durch die Gestaltung und Bewegung ihrer kleinsten Teil- chen veranschaulichen lassen.
6. Der Dialog "De generibus et speciebus".
Der unbekannte Verfasser der Abhandlung De generibus et speciebus3 fragt sich, woher die Elemente stammen, aus denen die körperlichen Substanzen bestehen, und will zu diesem Zwecke die Untersuchung nach Art der Physiker führen. Diese konnten die Natur der zusammengesetzten sinnlich wahrnehm- baren Körper nicht deutlich erkennen, wenn sie nicht die
1Tim. p. 80 C.
2Tim. p. 59 C.
3 Unter diesem Titel von Cousin in den Schriften Abälards herausgegeben. Ouvrages inedits etc. Par. 1836. p. 505--550. Vgl. Überweg-Heinze 7. Aufl. II. S. 173.
5*
Platon: Korpuskulartheorie als Spiel.
Körper geschieht jedoch allein durch Bewegung. Alle Veränderun- gen in der Körperwelt beruhen auf der Verdrängung der Kor- puskeln durcheinander. Die Anziehung der Körper (wie beim Bernstein und Magnet) ist nur eine scheinbare, keine wirkliche. Alle Bewegung besteht darin, daß die Körper, da es kein Leeres gibt, andere verdrängen und in einen Kreislauf ver- setzen müssen, und daß alle Elemente, wenn sie aus ihrem Orte gebracht sind, wieder an ihren natürlichen Ort zu gelangen streben.1
Wie wir sehen, hat Platon eine vollständige Anleitung zur Aufstellung einer Korpuskulartheorie gegeben, die er nicht einmal für schwierig hält, aber freilich auch für nicht mehr als ein unterhaltendes Spiel, das nur Wahrscheinliches zu ermitteln vermag. „Und wenn einer zur Erholung die Unter- suchungen über die immerseienden Dinge beiseite legen und die wahrscheinlichen Ansichten über das Werden genau in Betracht ziehen wollte, um sich einen Genuß zu verschaffen, dem keine Reue folgt, so dürfte er wohl ein geziemendes und verständiges Spiel im Leben treiben.‟2
Mit diesem „geziemenden und verständigen Spiele‟ sehen wir denn sofort beginnen, sobald sich das Interesse des Nach- denkens wieder auf die selbständige Gestaltung der Körperwelt richtet. Man versucht sich Vorstellungen zu bilden über die Art und Weise, wie die Veränderungen der sichtbaren Körper sich durch die Gestaltung und Bewegung ihrer kleinsten Teil- chen veranschaulichen lassen.
6. Der Dialog „De generibus et speciebus‟.
Der unbekannte Verfasser der Abhandlung De generibus et speciebus3 fragt sich, woher die Elemente stammen, aus denen die körperlichen Substanzen bestehen, und will zu diesem Zwecke die Untersuchung nach Art der Physiker führen. Diese konnten die Natur der zusammengesetzten sinnlich wahrnehm- baren Körper nicht deutlich erkennen, wenn sie nicht die
1Tim. p. 80 C.
2Tim. p. 59 C.
3 Unter diesem Titel von Cousin in den Schriften Abälards herausgegeben. Ouvrages inédits etc. Par. 1836. p. 505—550. Vgl. Überweg-Heinze 7. Aufl. II. S. 173.
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Platon: Korpuskulartheorie als Spiel.
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puskeln durcheinander. Die Anziehung der Körper (wie beim
Bernstein und Magnet) ist nur eine scheinbare, keine wirkliche.
Alle Bewegung besteht darin, daß die Körper, da es kein
Leeres gibt, andere verdrängen und in einen Kreislauf ver-
setzen müssen, und daß alle Elemente, wenn sie aus ihrem Orte
gebracht sind, wieder an ihren natürlichen Ort zu gelangen
streben. 1
Wie wir sehen, hat Platon eine vollständige Anleitung zur
Aufstellung einer Korpuskulartheorie gegeben, die er nicht
einmal für schwierig hält, aber freilich auch für nicht mehr
als ein unterhaltendes Spiel, das nur Wahrscheinliches zu
ermitteln vermag. „Und wenn einer zur Erholung die Unter-
suchungen über die immerseienden Dinge beiseite legen und
die wahrscheinlichen Ansichten über das Werden genau in
Betracht ziehen wollte, um sich einen Genuß zu verschaffen,
dem keine Reue folgt, so dürfte er wohl ein geziemendes und
verständiges Spiel im Leben treiben.‟ 2
Mit diesem „geziemenden und verständigen Spiele‟ sehen
wir denn sofort beginnen, sobald sich das Interesse des Nach-
denkens wieder auf die selbständige Gestaltung der Körperwelt
richtet. Man versucht sich Vorstellungen zu bilden über die
Art und Weise, wie die Veränderungen der sichtbaren Körper
sich durch die Gestaltung und Bewegung ihrer kleinsten Teil-
chen veranschaulichen lassen.
6. Der Dialog „De generibus et speciebus‟.
Der unbekannte Verfasser der Abhandlung De generibus
et speciebus 3 fragt sich, woher die Elemente stammen, aus
denen die körperlichen Substanzen bestehen, und will zu diesem
Zwecke die Untersuchung nach Art der Physiker führen. Diese
konnten die Natur der zusammengesetzten sinnlich wahrnehm-
baren Körper nicht deutlich erkennen, wenn sie nicht die
1 Tim. p. 80 C.
2 Tim. p. 59 C.
3 Unter diesem Titel von Cousin in den Schriften Abälards herausgegeben.
Ouvrages inédits etc. Par. 1836. p. 505—550. Vgl. Überweg-Heinze 7. Aufl.
II. S. 173.
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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/85>, abgerufen am 16.02.2025.
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