der Körper weiter fortgesetzt, ihre kleinsten Teilchen müssen individualisiert und die Realitäten als an ihnen haftend gedacht werden. So führt jede Probe an der Erfahrung den Realismus der korpuskulartheoretischen Ansicht näher, indem die Realität sich mehr und mehr auf die kleinsten Elementarteile zurück- zieht.
Wir finden ausgesprochene Korpuskulartheorie bei einer Reihe von Schriftstellern, welche nicht, wie Scotus, die räum- liche Ausdehnung von vornherein vom Körper abtrennen, son- dern unter Beibehaltung derselben durch räumliche Zerlegung das Einzelwesen zu gewinnen suchen. Es ist der Einfluß des reineren Platonismus, der Konstruktion der Elemente aus geo- metrischen Körpern, der sich hier geltend macht, zugleich mit demjenigen des gemäßigten aristotelischen Realismus. Bei der mangelhaften Kenntnis beider antiken Systeme wird das eigene Nachdenken über die Probleme der Materie angespornt, während zum Teil der Eklekticismus der alten Medizin sich merklich macht. Diese korpuskulartheoretischen Regungen fallen in die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts.
5. Die Elemente bei Platon.
Ehe wir in die Besprechung jener atomistischen Anklänge eintreten, erinnern wir in Kürze an das, was Platon in der Physik gelehrt hatte.1 Wir hatten schon oben erwähnt, daß Platon in den mathematischen Bestimmungen das Mittel fand, durch welches die Dinge an der Realität der Ideen teilnehmen. Was der Maßbestimmung durch ein Mehr oder Minder fähig ist, heißt im Philebus das Unbegrenzte (#), d. h. die extensive und intensive Größe als das Kontinuierliche, das noch keine Begrenzung hat. Diese erhält es durch die Grenze (#), d. h. die mathematische Bestimmung durch Zahl und Maß;2 aus der Mischung des Bestimmbaren und des Be-
1 Vgl. dazu Zeller, Phil. d. Gr., II, 1. S. 602 ff. Eine Zusammen- stellung der Lehren Platons aus der speziellen Physik findet sich bei Rothlauf, Die Physik Platos, Progr. der k. Kreis-Realschule München, 1887 u. 1888.
2 Vgl. hierüber und über den Zusammenhang mit dem # des Poli- ticus: J. A. Kilb, Platons Lehre von der Materie, J. D. Marburg 1887.
Annäherung an die Korpuskulartheorie.
der Körper weiter fortgesetzt, ihre kleinsten Teilchen müssen individualisiert und die Realitäten als an ihnen haftend gedacht werden. So führt jede Probe an der Erfahrung den Realismus der korpuskulartheoretischen Ansicht näher, indem die Realität sich mehr und mehr auf die kleinsten Elementarteile zurück- zieht.
Wir finden ausgesprochene Korpuskulartheorie bei einer Reihe von Schriftstellern, welche nicht, wie Scotus, die räum- liche Ausdehnung von vornherein vom Körper abtrennen, son- dern unter Beibehaltung derselben durch räumliche Zerlegung das Einzelwesen zu gewinnen suchen. Es ist der Einfluß des reineren Platonismus, der Konstruktion der Elemente aus geo- metrischen Körpern, der sich hier geltend macht, zugleich mit demjenigen des gemäßigten aristotelischen Realismus. Bei der mangelhaften Kenntnis beider antiken Systeme wird das eigene Nachdenken über die Probleme der Materie angespornt, während zum Teil der Eklekticismus der alten Medizin sich merklich macht. Diese korpuskulartheoretischen Regungen fallen in die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts.
5. Die Elemente bei Platon.
Ehe wir in die Besprechung jener atomistischen Anklänge eintreten, erinnern wir in Kürze an das, was Platon in der Physik gelehrt hatte.1 Wir hatten schon oben erwähnt, daß Platon in den mathematischen Bestimmungen das Mittel fand, durch welches die Dinge an der Realität der Ideen teilnehmen. Was der Maßbestimmung durch ein Mehr oder Minder fähig ist, heißt im Philebus das Unbegrenzte (#), d. h. die extensive und intensive Größe als das Kontinuierliche, das noch keine Begrenzung hat. Diese erhält es durch die Grenze (#), d. h. die mathematische Bestimmung durch Zahl und Maß;2 aus der Mischung des Bestimmbaren und des Be-
1 Vgl. dazu Zeller, Phil. d. Gr., II, 1. S. 602 ff. Eine Zusammen- stellung der Lehren Platons aus der speziellen Physik findet sich bei Rothlauf, Die Physik Platos, Progr. der k. Kreis-Realschule München, 1887 u. 1888.
2 Vgl. hierüber und über den Zusammenhang mit dem # des Poli- ticus: J. A. Kilb, Platons Lehre von der Materie, J. D. Marburg 1887.
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Annäherung an die Korpuskulartheorie.
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werden. So führt jede Probe an der Erfahrung den Realismus
der korpuskulartheoretischen Ansicht näher, indem die Realität
sich mehr und mehr auf die kleinsten Elementarteile zurück-
zieht.
Wir finden ausgesprochene Korpuskulartheorie bei einer
Reihe von Schriftstellern, welche nicht, wie Scotus, die räum-
liche Ausdehnung von vornherein vom Körper abtrennen, son-
dern unter Beibehaltung derselben durch räumliche Zerlegung
das Einzelwesen zu gewinnen suchen. Es ist der Einfluß des
reineren Platonismus, der Konstruktion der Elemente aus geo-
metrischen Körpern, der sich hier geltend macht, zugleich mit
demjenigen des gemäßigten aristotelischen Realismus. Bei der
mangelhaften Kenntnis beider antiken Systeme wird das eigene
Nachdenken über die Probleme der Materie angespornt, während
zum Teil der Eklekticismus der alten Medizin sich merklich macht.
Diese korpuskulartheoretischen Regungen fallen in die erste
Hälfte des 12. Jahrhunderts.
5. Die Elemente bei Platon.
Ehe wir in die Besprechung jener atomistischen Anklänge
eintreten, erinnern wir in Kürze an das, was Platon in der
Physik gelehrt hatte. 1 Wir hatten schon oben erwähnt, daß
Platon in den mathematischen Bestimmungen das Mittel fand,
durch welches die Dinge an der Realität der Ideen teilnehmen.
Was der Maßbestimmung durch ein Mehr oder Minder fähig
ist, heißt im Philebus das Unbegrenzte (#), d. h. die
extensive und intensive Größe als das Kontinuierliche, das
noch keine Begrenzung hat. Diese erhält es durch die Grenze
(#), d. h. die mathematische Bestimmung durch Zahl
und Maß; 2 aus der Mischung des Bestimmbaren und des Be-
1 Vgl. dazu Zeller, Phil. d. Gr., II, 1. S. 602 ff. Eine Zusammen-
stellung der Lehren Platons aus der speziellen Physik findet sich bei
Rothlauf, Die Physik Platos, Progr. der k. Kreis-Realschule München, 1887
u. 1888.
2 Vgl. hierüber und über den Zusammenhang mit dem # des Poli-
ticus: J. A. Kilb, Platons Lehre von der Materie, J. D. Marburg 1887.
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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/78>, abgerufen am 23.07.2024.
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