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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Kritik Erigenas.
lichkeit einer Mechanik ist zugleich mit der Aufgabe der
Physik aufgehoben.

Wie diese beiden Seiten des reinsten Rationalismus, diese
beiden Erzeugnisse der höchsten Abstraktion, die aus dem
Genius Demokrits und Platons quollen, die materialistische
Atomistik mit ihrer mechanischen Kausalität und die idealisti-
sche Reallogik mit ihren substanzialen Formen, einen Kampf
ums Dasein führen, wie endlich die Entstehung einer neuen
Wissenschaft durch die Entdeckung eines neuen Denkmittels
die Vereinigung jener beiden bis dahin in ihrer Isolierung
ohnmächtigen Denkmittel ermöglicht, das ist der Entwickelungs-
gang des europäischen Denkens, den wir im Verlaufe unsrer
Untersuchung zu verfolgen haben werden.

Vorläufig stehen wir ganz innerhalb der Machtsphäre der
Substanzialität und sehen die Theorie der Materie von diesem
Begriffe beherrscht.

Was Erigena zur Analyse des Körperbegriffs von seiten
seines rationalen Realismus beigetragen hat, besitzt daher seinen
wesentlichen Wert darin, daß er zu der Fragestellung gelangte,
welche Kategorien bei der Bildung des Körperbegriffs beteiligt
sind. Hier macht sich am schwersten bemerklich die Abschei-
dung der Räumlichkeit, welche kein wesentliches Merkmal des
Körpers sein soll, von dem Begriffe des Körpers. Es ist dies
der verhängnisvolle Schritt, welcher durch die Verkennung des
Wertes der Mathematik von vorherein Physik unmöglich macht.
Nur Quantität, Qualität als Oberflächengestalt, und Substanz
als Wesenheit konstituieren den Körper; die übrigen sinnlichen
Eigenschaften treten als weitere Accidentien hinzu. Wie schon
gesagt, ergibt sich eine physikalisch anwendbare Gesetzmäßig-
keit aus dieser Analyse nicht, weil sie durch keine Unter-
suchung des funktionalen Zusammenhangs der Sinnesempfin-
dungen und durch keine mathematische oder mechanische Be-
trachtungsweise unterstützt wird. Aber dies ist festzuhalten,
daß Quantität, Qualität und Substanzialität die konstituierenden
Kategorien des Körperbegriffs sind, und zwar hat der Körper
seinen Bestand durch die Teilnahme der beiden andern Kate-
gorien an derjenigen der Substanz (Wesenheit). Dagegen fehlt
das Merkmal der Veränderlichkeit, welches die Bedingung
der naturwissenschaftlichen Behandlung der Körperwelt ist.

Kritik Erigenas.
lichkeit einer Mechanik ist zugleich mit der Aufgabe der
Physik aufgehoben.

Wie diese beiden Seiten des reinsten Rationalismus, diese
beiden Erzeugnisse der höchsten Abstraktion, die aus dem
Genius Demokrits und Platons quollen, die materialistische
Atomistik mit ihrer mechanischen Kausalität und die idealisti-
sche Reallogik mit ihren substanzialen Formen, einen Kampf
ums Dasein führen, wie endlich die Entstehung einer neuen
Wissenschaft durch die Entdeckung eines neuen Denkmittels
die Vereinigung jener beiden bis dahin in ihrer Isolierung
ohnmächtigen Denkmittel ermöglicht, das ist der Entwickelungs-
gang des europäischen Denkens, den wir im Verlaufe unsrer
Untersuchung zu verfolgen haben werden.

Vorläufig stehen wir ganz innerhalb der Machtsphäre der
Substanzialität und sehen die Theorie der Materie von diesem
Begriffe beherrscht.

Was Erigena zur Analyse des Körperbegriffs von seiten
seines rationalen Realismus beigetragen hat, besitzt daher seinen
wesentlichen Wert darin, daß er zu der Fragestellung gelangte,
welche Kategorien bei der Bildung des Körperbegriffs beteiligt
sind. Hier macht sich am schwersten bemerklich die Abschei-
dung der Räumlichkeit, welche kein wesentliches Merkmal des
Körpers sein soll, von dem Begriffe des Körpers. Es ist dies
der verhängnisvolle Schritt, welcher durch die Verkennung des
Wertes der Mathematik von vorherein Physik unmöglich macht.
Nur Quantität, Qualität als Oberflächengestalt, und Substanz
als Wesenheit konstituieren den Körper; die übrigen sinnlichen
Eigenschaften treten als weitere Accidentien hinzu. Wie schon
gesagt, ergibt sich eine physikalisch anwendbare Gesetzmäßig-
keit aus dieser Analyse nicht, weil sie durch keine Unter-
suchung des funktionalen Zusammenhangs der Sinnesempfin-
dungen und durch keine mathematische oder mechanische Be-
trachtungsweise unterstützt wird. Aber dies ist festzuhalten,
daß Quantität, Qualität und Substanzialität die konstituierenden
Kategorien des Körperbegriffs sind, und zwar hat der Körper
seinen Bestand durch die Teilnahme der beiden andern Kate-
gorien an derjenigen der Substanz (Wesenheit). Dagegen fehlt
das Merkmal der Veränderlichkeit, welches die Bedingung
der naturwissenschaftlichen Behandlung der Körperwelt ist.

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[56/0074] Kritik Erigenas. lichkeit einer Mechanik ist zugleich mit der Aufgabe der Physik aufgehoben. Wie diese beiden Seiten des reinsten Rationalismus, diese beiden Erzeugnisse der höchsten Abstraktion, die aus dem Genius Demokrits und Platons quollen, die materialistische Atomistik mit ihrer mechanischen Kausalität und die idealisti- sche Reallogik mit ihren substanzialen Formen, einen Kampf ums Dasein führen, wie endlich die Entstehung einer neuen Wissenschaft durch die Entdeckung eines neuen Denkmittels die Vereinigung jener beiden bis dahin in ihrer Isolierung ohnmächtigen Denkmittel ermöglicht, das ist der Entwickelungs- gang des europäischen Denkens, den wir im Verlaufe unsrer Untersuchung zu verfolgen haben werden. Vorläufig stehen wir ganz innerhalb der Machtsphäre der Substanzialität und sehen die Theorie der Materie von diesem Begriffe beherrscht. Was Erigena zur Analyse des Körperbegriffs von seiten seines rationalen Realismus beigetragen hat, besitzt daher seinen wesentlichen Wert darin, daß er zu der Fragestellung gelangte, welche Kategorien bei der Bildung des Körperbegriffs beteiligt sind. Hier macht sich am schwersten bemerklich die Abschei- dung der Räumlichkeit, welche kein wesentliches Merkmal des Körpers sein soll, von dem Begriffe des Körpers. Es ist dies der verhängnisvolle Schritt, welcher durch die Verkennung des Wertes der Mathematik von vorherein Physik unmöglich macht. Nur Quantität, Qualität als Oberflächengestalt, und Substanz als Wesenheit konstituieren den Körper; die übrigen sinnlichen Eigenschaften treten als weitere Accidentien hinzu. Wie schon gesagt, ergibt sich eine physikalisch anwendbare Gesetzmäßig- keit aus dieser Analyse nicht, weil sie durch keine Unter- suchung des funktionalen Zusammenhangs der Sinnesempfin- dungen und durch keine mathematische oder mechanische Be- trachtungsweise unterstützt wird. Aber dies ist festzuhalten, daß Quantität, Qualität und Substanzialität die konstituierenden Kategorien des Körperbegriffs sind, und zwar hat der Körper seinen Bestand durch die Teilnahme der beiden andern Kate- gorien an derjenigen der Substanz (Wesenheit). Dagegen fehlt das Merkmal der Veränderlichkeit, welches die Bedingung der naturwissenschaftlichen Behandlung der Körperwelt ist.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/74>, abgerufen am 24.11.2024.