entspricht dem Zwecke, als demjenigen Erkenntnismittel, welches der Betrachtung des Allgemeinen korrespondiert.
Beim selbständigen Aufschwung des mittelalterlichen Denkens finden wir nun den Kampf mit all den Schwierigkeiten, welche die Einseitigkeit der griechischen Wissenschaft zur Folge hatte. Es beginnt die Periode, in welcher das Denken erst zur An- eignung der antiken Wissenschaft und dann über dieselbe hinaus zur Vollendung des modernen Erkennens hinaufschreitet. Erigena arbeitet noch vollständig mit dem Denkmittel der Substanzialität und sucht durch dasselbe in den Begriff des Körpers einzudringen.
Die allgemeinsten Begriffe, aus welchen die engeren her- vorgehen, sind bei Erigena die Kategorien. Von ihnen aus bestimmen sich die Einzeldinge. Jedes Wesen besteht nur in dem allgemeineren Begriff, der es umfaßt; was über ihm steht, vermag es nicht zu erkennen, sondern nur eine gleiche oder ihm untergeordnete Natur. So sind Körper und vernunftlose Dinge nur in der vernünftigen Seele als Bestimmungen der- selben vorhanden,1 d. h. sie allein gibt ihnen den Raum als das Umschließende, welches sie als einheitliche Dinge zusammen- faßt, den Ort innerhalb der Erscheinungen. Ohne diesen all- gemeineren Begriff, der im Denken die Dinge definiert, sind diese nicht als Körper vorhanden, sondern sie lösen sich in ihre Einzelbestimmungen auf, die freilich jede für sich unver- gängliche Existenz (als Ideen) besitzen, aber keine sinnliche Welt mehr bilden.
Die schwierige Frage, wie die sinnlich wahrnehmbaren Körper mit ihren Eigenschaften zu bestehen vermögen und welche Art des Seins ihnen zukommt, wird also bei Erigena dadurch gelöst, daß im Denken der vernünftigen Seele ihre Accidentien vereint werden. Alle sinnlichen Eigenschaften, wie sie insbesondere in den Elementen repräsentiert sind, existieren unkörperlich; es gibt keine körperliche Materie, keine selbständigen Stoffe im Raume; erst wenn diese Einzelbegriffe der Eigenschaften durch einen höheren Begriff, der sie umfaßt, ihre Synthesis erhalten, wenn sie in einem erkennenden Wesen definiert werden, bilden sie den räumlich bestimmten, sinnlich
1De div. nat. I, 45. p. 24. Noack, c. 43. S. 63.
Erigenas Synthesis.
entspricht dem Zwecke, als demjenigen Erkenntnismittel, welches der Betrachtung des Allgemeinen korrespondiert.
Beim selbständigen Aufschwung des mittelalterlichen Denkens finden wir nun den Kampf mit all den Schwierigkeiten, welche die Einseitigkeit der griechischen Wissenschaft zur Folge hatte. Es beginnt die Periode, in welcher das Denken erst zur An- eignung der antiken Wissenschaft und dann über dieselbe hinaus zur Vollendung des modernen Erkennens hinaufschreitet. Erigena arbeitet noch vollständig mit dem Denkmittel der Substanzialität und sucht durch dasselbe in den Begriff des Körpers einzudringen.
Die allgemeinsten Begriffe, aus welchen die engeren her- vorgehen, sind bei Erigena die Kategorien. Von ihnen aus bestimmen sich die Einzeldinge. Jedes Wesen besteht nur in dem allgemeineren Begriff, der es umfaßt; was über ihm steht, vermag es nicht zu erkennen, sondern nur eine gleiche oder ihm untergeordnete Natur. So sind Körper und vernunftlose Dinge nur in der vernünftigen Seele als Bestimmungen der- selben vorhanden,1 d. h. sie allein gibt ihnen den Raum als das Umschließende, welches sie als einheitliche Dinge zusammen- faßt, den Ort innerhalb der Erscheinungen. Ohne diesen all- gemeineren Begriff, der im Denken die Dinge definiert, sind diese nicht als Körper vorhanden, sondern sie lösen sich in ihre Einzelbestimmungen auf, die freilich jede für sich unver- gängliche Existenz (als Ideen) besitzen, aber keine sinnliche Welt mehr bilden.
Die schwierige Frage, wie die sinnlich wahrnehmbaren Körper mit ihren Eigenschaften zu bestehen vermögen und welche Art des Seins ihnen zukommt, wird also bei Erigena dadurch gelöst, daß im Denken der vernünftigen Seele ihre Accidentien vereint werden. Alle sinnlichen Eigenschaften, wie sie insbesondere in den Elementen repräsentiert sind, existieren unkörperlich; es gibt keine körperliche Materie, keine selbständigen Stoffe im Raume; erst wenn diese Einzelbegriffe der Eigenschaften durch einen höheren Begriff, der sie umfaßt, ihre Synthesis erhalten, wenn sie in einem erkennenden Wesen definiert werden, bilden sie den räumlich bestimmten, sinnlich
1De div. nat. I, 45. p. 24. Noack, c. 43. S. 63.
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Erigenas Synthesis.
entspricht dem Zwecke, als demjenigen Erkenntnismittel,
welches der Betrachtung des Allgemeinen korrespondiert.
Beim selbständigen Aufschwung des mittelalterlichen Denkens
finden wir nun den Kampf mit all den Schwierigkeiten, welche
die Einseitigkeit der griechischen Wissenschaft zur Folge hatte.
Es beginnt die Periode, in welcher das Denken erst zur An-
eignung der antiken Wissenschaft und dann über dieselbe
hinaus zur Vollendung des modernen Erkennens hinaufschreitet.
Erigena arbeitet noch vollständig mit dem Denkmittel der
Substanzialität und sucht durch dasselbe in den Begriff des
Körpers einzudringen.
Die allgemeinsten Begriffe, aus welchen die engeren her-
vorgehen, sind bei Erigena die Kategorien. Von ihnen aus
bestimmen sich die Einzeldinge. Jedes Wesen besteht nur in
dem allgemeineren Begriff, der es umfaßt; was über ihm steht,
vermag es nicht zu erkennen, sondern nur eine gleiche oder
ihm untergeordnete Natur. So sind Körper und vernunftlose
Dinge nur in der vernünftigen Seele als Bestimmungen der-
selben vorhanden, 1 d. h. sie allein gibt ihnen den Raum als
das Umschließende, welches sie als einheitliche Dinge zusammen-
faßt, den Ort innerhalb der Erscheinungen. Ohne diesen all-
gemeineren Begriff, der im Denken die Dinge definiert, sind
diese nicht als Körper vorhanden, sondern sie lösen sich in
ihre Einzelbestimmungen auf, die freilich jede für sich unver-
gängliche Existenz (als Ideen) besitzen, aber keine sinnliche
Welt mehr bilden.
Die schwierige Frage, wie die sinnlich wahrnehmbaren
Körper mit ihren Eigenschaften zu bestehen vermögen und
welche Art des Seins ihnen zukommt, wird also bei Erigena
dadurch gelöst, daß im Denken der vernünftigen Seele ihre
Accidentien vereint werden. Alle sinnlichen Eigenschaften,
wie sie insbesondere in den Elementen repräsentiert sind,
existieren unkörperlich; es gibt keine körperliche Materie, keine
selbständigen Stoffe im Raume; erst wenn diese Einzelbegriffe
der Eigenschaften durch einen höheren Begriff, der sie umfaßt,
ihre Synthesis erhalten, wenn sie in einem erkennenden Wesen
definiert werden, bilden sie den räumlich bestimmten, sinnlich
1 De div. nat. I, 45. p. 24. Noack, c. 43. S. 63.
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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/70>, abgerufen am 24.11.2024.
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