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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Zurückverlegung des Körperproblems in das Korpuskel.
Abstraktion ausgeschlossen hielt, konnte man zu keiner Natur-
wissenschaft, als Wissenschaft der Empfindung, kommen. Es
mußte erst dem wissenschaftlichen Bewußtsein die sinnliche
Empfindung als ein realer Weltfaktor vertraut werden; man
mußte sich erst daran gewöhnen, in der Wirklichkeit des Da-
seins den Wert der Sinnlichkeit zu erkennen, ehe es gelingen
konnte, in der Erscheinung den rationalen Faktor auszufinden,
ohne den sinnlichen zu zerstören. Dieser schwankende Über-
gang, in welchem sinnliche Qualitäten und rationale Elemente
im Begriff des Korpuskels noch ungeschieden sind, liegt in
der Erneuerung der Korpuskulartheorie vor. Die Frage: Was
ist der Körper? wird vorläufig dahin beantwortet: Der sinn-
lich wahrnehmbare Körper zeigt die Veränderungen seiner
Zustände infolge räumlicher Bewegungen seiner Teilchen, die
ihrer Kleinheit wegen nicht wahrnehmbar sind; diese Teilchen --
Korpuskeln -- sind Substanzen, welche räumliche Ausdehnung
besitzen, gewisse sinnliche Einwirkungen hervorbringen, ihren
Raum ausschließlich erfüllen und aufeinander zu wirken ver-
mögen. Alle diese Eigenschaften und Wirkungen sind durch-
aus nach Analogie der an den sichtbaren Körpern stattfin-
denden Veränderungen vorgestellt. Wie jene Elementarkorpuskeln
im einzelnen beschaffen sind, damit sie die erforderliche em-
pirische Wirkung hervorbringen, das ist streitig und Gegen-
stand der physikalischen Phantasie und Hypothese. Danach
unterscheiden sich die einzelnen Theorien in atomistische und
plerotische, kinetische und dynamische. Vorläufig ist das In-
teresse der Korpuskulartheorien allein auf die Erklärung der Er-
scheinungen aus anschaulichen Vorgängen zwischen den Kor-
puskeln gerichtet und die Frage nach dem Wesen des Körpers
nur zurückgeschoben. Das Grundproblem in seiner Tiefe,
wie jene Eigenschaften der Raumerfüllung, Undurchdringlich-
keit und Wirkung an der ausgedehnten Substanz möglich seien,
ist noch gar nicht zum Bewußtsein gekommen.

Für die Vorbereitung dieser Probleme hat die Korpus-
kulartheorie bei ihrer Erneuerung dies geleistet, daß durch die
Zurückschiebung des Körperproblems auf die kleinsten Teile
der Hypothese freieres Feld geschaffen ist. Wir werden freilich
sehen, wie durch den Mißbrauch der letztern die Korpuskular-
physik sich selbst diskreditierte.

Zurückverlegung des Körperproblems in das Korpuskel.
Abstraktion ausgeschlossen hielt, konnte man zu keiner Natur-
wissenschaft, als Wissenschaft der Empfindung, kommen. Es
mußte erst dem wissenschaftlichen Bewußtsein die sinnliche
Empfindung als ein realer Weltfaktor vertraut werden; man
mußte sich erst daran gewöhnen, in der Wirklichkeit des Da-
seins den Wert der Sinnlichkeit zu erkennen, ehe es gelingen
konnte, in der Erscheinung den rationalen Faktor auszufinden,
ohne den sinnlichen zu zerstören. Dieser schwankende Über-
gang, in welchem sinnliche Qualitäten und rationale Elemente
im Begriff des Korpuskels noch ungeschieden sind, liegt in
der Erneuerung der Korpuskulartheorie vor. Die Frage: Was
ist der Körper? wird vorläufig dahin beantwortet: Der sinn-
lich wahrnehmbare Körper zeigt die Veränderungen seiner
Zustände infolge räumlicher Bewegungen seiner Teilchen, die
ihrer Kleinheit wegen nicht wahrnehmbar sind; diese Teilchen —
Korpuskeln — sind Substanzen, welche räumliche Ausdehnung
besitzen, gewisse sinnliche Einwirkungen hervorbringen, ihren
Raum ausschließlich erfüllen und aufeinander zu wirken ver-
mögen. Alle diese Eigenschaften und Wirkungen sind durch-
aus nach Analogie der an den sichtbaren Körpern stattfin-
denden Veränderungen vorgestellt. Wie jene Elementarkorpuskeln
im einzelnen beschaffen sind, damit sie die erforderliche em-
pirische Wirkung hervorbringen, das ist streitig und Gegen-
stand der physikalischen Phantasie und Hypothese. Danach
unterscheiden sich die einzelnen Theorien in atomistische und
plerotische, kinetische und dynamische. Vorläufig ist das In-
teresse der Korpuskulartheorien allein auf die Erklärung der Er-
scheinungen aus anschaulichen Vorgängen zwischen den Kor-
puskeln gerichtet und die Frage nach dem Wesen des Körpers
nur zurückgeschoben. Das Grundproblem in seiner Tiefe,
wie jene Eigenschaften der Raumerfüllung, Undurchdringlich-
keit und Wirkung an der ausgedehnten Substanz möglich seien,
ist noch gar nicht zum Bewußtsein gekommen.

Für die Vorbereitung dieser Probleme hat die Korpus-
kulartheorie bei ihrer Erneuerung dies geleistet, daß durch die
Zurückschiebung des Körperproblems auf die kleinsten Teile
der Hypothese freieres Feld geschaffen ist. Wir werden freilich
sehen, wie durch den Mißbrauch der letztern die Korpuskular-
physik sich selbst diskreditierte.

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[514/0532] Zurückverlegung des Körperproblems in das Korpuskel. Abstraktion ausgeschlossen hielt, konnte man zu keiner Natur- wissenschaft, als Wissenschaft der Empfindung, kommen. Es mußte erst dem wissenschaftlichen Bewußtsein die sinnliche Empfindung als ein realer Weltfaktor vertraut werden; man mußte sich erst daran gewöhnen, in der Wirklichkeit des Da- seins den Wert der Sinnlichkeit zu erkennen, ehe es gelingen konnte, in der Erscheinung den rationalen Faktor auszufinden, ohne den sinnlichen zu zerstören. Dieser schwankende Über- gang, in welchem sinnliche Qualitäten und rationale Elemente im Begriff des Korpuskels noch ungeschieden sind, liegt in der Erneuerung der Korpuskulartheorie vor. Die Frage: Was ist der Körper? wird vorläufig dahin beantwortet: Der sinn- lich wahrnehmbare Körper zeigt die Veränderungen seiner Zustände infolge räumlicher Bewegungen seiner Teilchen, die ihrer Kleinheit wegen nicht wahrnehmbar sind; diese Teilchen — Korpuskeln — sind Substanzen, welche räumliche Ausdehnung besitzen, gewisse sinnliche Einwirkungen hervorbringen, ihren Raum ausschließlich erfüllen und aufeinander zu wirken ver- mögen. Alle diese Eigenschaften und Wirkungen sind durch- aus nach Analogie der an den sichtbaren Körpern stattfin- denden Veränderungen vorgestellt. Wie jene Elementarkorpuskeln im einzelnen beschaffen sind, damit sie die erforderliche em- pirische Wirkung hervorbringen, das ist streitig und Gegen- stand der physikalischen Phantasie und Hypothese. Danach unterscheiden sich die einzelnen Theorien in atomistische und plerotische, kinetische und dynamische. Vorläufig ist das In- teresse der Korpuskulartheorien allein auf die Erklärung der Er- scheinungen aus anschaulichen Vorgängen zwischen den Kor- puskeln gerichtet und die Frage nach dem Wesen des Körpers nur zurückgeschoben. Das Grundproblem in seiner Tiefe, wie jene Eigenschaften der Raumerfüllung, Undurchdringlich- keit und Wirkung an der ausgedehnten Substanz möglich seien, ist noch gar nicht zum Bewußtsein gekommen. Für die Vorbereitung dieser Probleme hat die Korpus- kulartheorie bei ihrer Erneuerung dies geleistet, daß durch die Zurückschiebung des Körperproblems auf die kleinsten Teile der Hypothese freieres Feld geschaffen ist. Wir werden freilich sehen, wie durch den Mißbrauch der letztern die Korpuskular- physik sich selbst diskreditierte.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 514. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/532>, abgerufen am 26.11.2024.