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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Basso: Theoretischer Fortschritt. Einfluß Brunos.
sich somit nicht auf eine Bewegung der Molekeln unterein-
ander, sondern der primären Partikeln innerhalb der sekun-
dären.1 Ebenso ist die Verdunstung und sind die Aggregat-
zustände nicht erklärt aus dem Verhalten der Molekeln zu ein-
ander, sondern aus der eigentümlichen Konstitution der Mo-
lekeln selbst. Es ist dies der interessante und wesentliche
Unterschied zwischen diesen Anfängen der Korpuskulartheorie
und ihrem ausgebildeten Zustande von heutzutage. Während
wir Chemie und Physik dadurch scheiden, daß es sich in der
Chemie um Erklärung von Veränderungen der Körper durch
die Bewegung und Gruppierung der Atome in den Molekeln,
in der Physik um Erklärung von Veränderungen der Körper
durch Bewegung und Gruppierung von Molekeln untereinander
handelt, findet sich hier eine solche Trennung noch nicht. Die
Prozesse der Wärme, der Verdunstung und Kondensation,
Festigkeit und Flüssigkeit u. s. w. werden nach denselben Prin-
zipien behandelt, wie Verbrennung und Verkalkung, Auflösung
und Verbindung von Körpern.

Diese Theorie trägt also einen kinetischen Charakter, sie
erklärt alles durch Bewegung der Atome innerhalb der Molekeln,
und als bewegendes Agens dient die Wirksamkeit des intra-
molekularen Weltäthers. Daß sie die Kinetik nicht in voller
Konsequenz durchführt, sondern die strenge Folgerichtigkeit
des Gedankengangs der antiken Atomistik noch durch den
Eklekticismus und die Nachwirkung der aristotelischen Formen-
und Elementenlehre beeinträchtigt wird, kann nicht hindern
anzuerkennen, welch wesentlichen Fortschritt hier die Physik
von den substanziellen Formen zu den unveränderlichen Sub-
stanzen der Korpuskeln gemacht hat. Die theoretischen Ent-
deckungen Bassos und der Zeitpunkt, zu welchem er sie klar
und entschieden ausspricht, machen es erforderlich, ihn als
einen der hervorragendsten Reformatoren in der Geschichte
der allgemeinen Physik zu nennen.

Daß Basso von Bruno beeinflußt ist, kann kaum einem
Zweifel unterliegen. Zu deutlich spricht dafür die Identifizierung
von Natur und Gott und die Einigung des Alls im Weltgeist,
welche wir ebenso in Brunos Metaphysik finden. Dazu kommt

1 Vgl. hierzu über Helmont S. 345, 350.

Basso: Theoretischer Fortschritt. Einfluß Brunos.
sich somit nicht auf eine Bewegung der Molekeln unterein-
ander, sondern der primären Partikeln innerhalb der sekun-
dären.1 Ebenso ist die Verdunstung und sind die Aggregat-
zustände nicht erklärt aus dem Verhalten der Molekeln zu ein-
ander, sondern aus der eigentümlichen Konstitution der Mo-
lekeln selbst. Es ist dies der interessante und wesentliche
Unterschied zwischen diesen Anfängen der Korpuskulartheorie
und ihrem ausgebildeten Zustande von heutzutage. Während
wir Chemie und Physik dadurch scheiden, daß es sich in der
Chemie um Erklärung von Veränderungen der Körper durch
die Bewegung und Gruppierung der Atome in den Molekeln,
in der Physik um Erklärung von Veränderungen der Körper
durch Bewegung und Gruppierung von Molekeln untereinander
handelt, findet sich hier eine solche Trennung noch nicht. Die
Prozesse der Wärme, der Verdunstung und Kondensation,
Festigkeit und Flüssigkeit u. s. w. werden nach denselben Prin-
zipien behandelt, wie Verbrennung und Verkalkung, Auflösung
und Verbindung von Körpern.

Diese Theorie trägt also einen kinetischen Charakter, sie
erklärt alles durch Bewegung der Atome innerhalb der Molekeln,
und als bewegendes Agens dient die Wirksamkeit des intra-
molekularen Weltäthers. Daß sie die Kinetik nicht in voller
Konsequenz durchführt, sondern die strenge Folgerichtigkeit
des Gedankengangs der antiken Atomistik noch durch den
Eklekticismus und die Nachwirkung der aristotelischen Formen-
und Elementenlehre beeinträchtigt wird, kann nicht hindern
anzuerkennen, welch wesentlichen Fortschritt hier die Physik
von den substanziellen Formen zu den unveränderlichen Sub-
stanzen der Korpuskeln gemacht hat. Die theoretischen Ent-
deckungen Bassos und der Zeitpunkt, zu welchem er sie klar
und entschieden ausspricht, machen es erforderlich, ihn als
einen der hervorragendsten Reformatoren in der Geschichte
der allgemeinen Physik zu nennen.

Daß Basso von Bruno beeinflußt ist, kann kaum einem
Zweifel unterliegen. Zu deutlich spricht dafür die Identifizierung
von Natur und Gott und die Einigung des Alls im Weltgeist,
welche wir ebenso in Brunos Metaphysik finden. Dazu kommt

1 Vgl. hierzu über Helmont S. 345, 350.
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[480/0498] Basso: Theoretischer Fortschritt. Einfluß Brunos. sich somit nicht auf eine Bewegung der Molekeln unterein- ander, sondern der primären Partikeln innerhalb der sekun- dären. 1 Ebenso ist die Verdunstung und sind die Aggregat- zustände nicht erklärt aus dem Verhalten der Molekeln zu ein- ander, sondern aus der eigentümlichen Konstitution der Mo- lekeln selbst. Es ist dies der interessante und wesentliche Unterschied zwischen diesen Anfängen der Korpuskulartheorie und ihrem ausgebildeten Zustande von heutzutage. Während wir Chemie und Physik dadurch scheiden, daß es sich in der Chemie um Erklärung von Veränderungen der Körper durch die Bewegung und Gruppierung der Atome in den Molekeln, in der Physik um Erklärung von Veränderungen der Körper durch Bewegung und Gruppierung von Molekeln untereinander handelt, findet sich hier eine solche Trennung noch nicht. Die Prozesse der Wärme, der Verdunstung und Kondensation, Festigkeit und Flüssigkeit u. s. w. werden nach denselben Prin- zipien behandelt, wie Verbrennung und Verkalkung, Auflösung und Verbindung von Körpern. Diese Theorie trägt also einen kinetischen Charakter, sie erklärt alles durch Bewegung der Atome innerhalb der Molekeln, und als bewegendes Agens dient die Wirksamkeit des intra- molekularen Weltäthers. Daß sie die Kinetik nicht in voller Konsequenz durchführt, sondern die strenge Folgerichtigkeit des Gedankengangs der antiken Atomistik noch durch den Eklekticismus und die Nachwirkung der aristotelischen Formen- und Elementenlehre beeinträchtigt wird, kann nicht hindern anzuerkennen, welch wesentlichen Fortschritt hier die Physik von den substanziellen Formen zu den unveränderlichen Sub- stanzen der Korpuskeln gemacht hat. Die theoretischen Ent- deckungen Bassos und der Zeitpunkt, zu welchem er sie klar und entschieden ausspricht, machen es erforderlich, ihn als einen der hervorragendsten Reformatoren in der Geschichte der allgemeinen Physik zu nennen. Daß Basso von Bruno beeinflußt ist, kann kaum einem Zweifel unterliegen. Zu deutlich spricht dafür die Identifizierung von Natur und Gott und die Einigung des Alls im Weltgeist, welche wir ebenso in Brunos Metaphysik finden. Dazu kommt 1 Vgl. hierzu über Helmont S. 345, 350.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 480. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/498>, abgerufen am 25.11.2024.