Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Sennert: Aguillon. Titelmann. Pereira.
Lichtes mit der Entfernung, indem er den Einwurf zu ent-
kräften sucht, daß bei einer allmählichen Abnahme des Lichtes
mit der Entfernung dasselbe niemals verschwinden könne.
Es gäbe nämlich einen gewissen kleinsten Grad, unterhalb
desselben die Körper ihrem Wesen nach nicht bestehen
könnten.1

Das sind diejenigen Quellen, welche Sennert unter den
neueren als Empfehlung für die Atomistik zu Gebote standen.
Bei seinem eifrigen Bestreben, Autoritäten für jede neue An-
sicht anzuführen, hätte es Sennert sicherlich nicht unterlassen,
seinen Gewährsmann zu nennen, wenn ihm noch irgend eine
atomistisch angehauchte Stelle in einem Schriftsteller bekannt
gewesen wäre. Bezieht2 er sich doch sogar auf Titelmann
(+ 1550 od. 1553), welcher sich gegen die Integrität der For-
men in der Mistis erklärt, weil derselbe die Bemerkung macht,
daß uns die Ansichten der Alten über die Atome, wenn wir
sie richtig verstünden, vielleicht nicht so unbillig erscheinen
würden,3 und auf Pererius,4 weil dieser den Aristoteles für
nicht immer ganz gerecht hält und meint, daß ein so ge-
scheiter und im übrigen von Aristoteles so vielfach berück-
sichtigter Mann wie Demokrit doch keinen offenbaren Unsinn
vorbringen dürfte.5

Daß auf Sennert Giordano Brunos Lehre einen direkten
Einfluß gehabt habe, läßt sich nicht nachweisen. Bruno ver-
ließ Wittenberg, wo seine physikalischen Thesen erschienen,
im Jahre 1588, und erst fünf Jahre später (1593) war der

1 Francisci Aquilonii. Opticorum libri VI. Antw. 1613. Lib. 5. praepos
8: Corporum naturalium minima dantur, quae nimirum, si amplius dividantur,
formam essentiamque deperdunt. Uti namque corpora ad naturalem subsisten-
tiam nonnullam exposcunt quantitatis molem, cum ipsa nil aliud sit, quam
ipsius substantiae corporeae modulus, ita et quantitates, nisi aliquo excellentiae
gradu praeditae sint, sponte depereunt. -- Am Ende des Buches sagt Aquilonius,
daß die Wärme sich, wie die Gerüche, durch die Luft als materielle Aus-
strömung fortpflanze.
2 Hypomn. p. 115.
3 Titelmann. Compend. philos. natur. ll. XII. Lugd. 1574. 1. 5. c.
15. p. 134.
4 Pereira, Benedict. 1535--1610. Physicorum. s. De principiis rerum
naturalium libr. XV.
Romae 1565.
5 Pererius, Compend. de rer. nat. princip. l. 4. c. 16. -- Phys. l. 4, c. 4.

Sennert: Aguillon. Titelmann. Pereira.
Lichtes mit der Entfernung, indem er den Einwurf zu ent-
kräften sucht, daß bei einer allmählichen Abnahme des Lichtes
mit der Entfernung dasselbe niemals verschwinden könne.
Es gäbe nämlich einen gewissen kleinsten Grad, unterhalb
desselben die Körper ihrem Wesen nach nicht bestehen
könnten.1

Das sind diejenigen Quellen, welche Sennert unter den
neueren als Empfehlung für die Atomistik zu Gebote standen.
Bei seinem eifrigen Bestreben, Autoritäten für jede neue An-
sicht anzuführen, hätte es Sennert sicherlich nicht unterlassen,
seinen Gewährsmann zu nennen, wenn ihm noch irgend eine
atomistisch angehauchte Stelle in einem Schriftsteller bekannt
gewesen wäre. Bezieht2 er sich doch sogar auf Titelmann
(† 1550 od. 1553), welcher sich gegen die Integrität der For-
men in der Mistis erklärt, weil derselbe die Bemerkung macht,
daß uns die Ansichten der Alten über die Atome, wenn wir
sie richtig verstünden, vielleicht nicht so unbillig erscheinen
würden,3 und auf Pererius,4 weil dieser den Aristoteles für
nicht immer ganz gerecht hält und meint, daß ein so ge-
scheiter und im übrigen von Aristoteles so vielfach berück-
sichtigter Mann wie Demokrit doch keinen offenbaren Unsinn
vorbringen dürfte.5

Daß auf Sennert Giordano Brunos Lehre einen direkten
Einfluß gehabt habe, läßt sich nicht nachweisen. Bruno ver-
ließ Wittenberg, wo seine physikalischen Thesen erschienen,
im Jahre 1588, und erst fünf Jahre später (1593) war der

1 Francisci Aquilonii. Opticorum libri VI. Antw. 1613. Lib. 5. praepos
8: Corporum naturalium minima dantur, quae nimirum, si amplius dividantur,
formam essentiamque deperdunt. Uti namque corpora ad naturalem subsisten-
tiam nonnullam exposcunt quantitatis molem, cum ipsa nil aliud sit, quam
ipsius substantiae corporeae modulus, ita et quantitates, nisi aliquo excellentiae
gradu praeditae sint, sponte depereunt. — Am Ende des Buches sagt Aquilonius,
daß die Wärme sich, wie die Gerüche, durch die Luft als materielle Aus-
strömung fortpflanze.
2 Hypomn. p. 115.
3 Titelmann. Compend. philos. natur. ll. XII. Lugd. 1574. 1. 5. c.
15. p. 134.
4 Pereira, Benedict. 1535—1610. Physicorum. s. De principiis rerum
naturalium libr. XV.
Romae 1565.
5 Pererius, Compend. de rer. nat. princip. l. 4. c. 16. — Phys. l. 4, c. 4.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0471" n="453"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#k">Sennert: Aguillon. Titelmann. Pereira</hi>.</fw><lb/>
Lichtes mit der Entfernung, indem er den Einwurf zu ent-<lb/>
kräften sucht, daß bei einer allmählichen Abnahme des Lichtes<lb/>
mit der Entfernung dasselbe niemals verschwinden könne.<lb/>
Es gäbe nämlich einen gewissen kleinsten Grad, unterhalb<lb/>
desselben die Körper ihrem Wesen nach nicht bestehen<lb/>
könnten.<note place="foot" n="1"><hi rendition="#k">Francisci Aquilonii</hi>. <hi rendition="#i">Opticorum libri VI.</hi> Antw. 1613. Lib. 5. praepos<lb/>
8: Corporum naturalium minima dantur, quae nimirum, si amplius dividantur,<lb/>
formam essentiamque deperdunt. Uti namque corpora ad naturalem subsisten-<lb/>
tiam nonnullam exposcunt quantitatis molem, cum ipsa nil aliud sit, quam<lb/>
ipsius substantiae corporeae modulus, ita et quantitates, nisi aliquo excellentiae<lb/>
gradu praeditae sint, sponte depereunt. &#x2014; Am Ende des Buches sagt <hi rendition="#k">Aquilonius</hi>,<lb/>
daß die Wärme sich, wie die Gerüche, durch die Luft als materielle Aus-<lb/>
strömung fortpflanze.</note></p><lb/>
            <p>Das sind diejenigen Quellen, welche <hi rendition="#k">Sennert</hi> unter den<lb/>
neueren als Empfehlung für die Atomistik zu Gebote standen.<lb/>
Bei seinem eifrigen Bestreben, Autoritäten für jede neue An-<lb/>
sicht anzuführen, hätte es <hi rendition="#k">Sennert</hi> sicherlich nicht unterlassen,<lb/>
seinen Gewährsmann zu nennen, wenn ihm noch irgend eine<lb/>
atomistisch angehauchte Stelle in einem Schriftsteller bekannt<lb/>
gewesen wäre. Bezieht<note place="foot" n="2"><hi rendition="#i">Hypomn.</hi> p. 115.</note> er sich doch sogar auf <hi rendition="#k">Titelmann</hi><lb/>
(&#x2020; 1550 od. 1553), welcher sich <hi rendition="#g">gegen</hi> die Integrität der For-<lb/>
men in der <hi rendition="#i">Mistis</hi> erklärt, weil derselbe die Bemerkung macht,<lb/>
daß uns die Ansichten der Alten über die Atome, wenn wir<lb/>
sie richtig verstünden, vielleicht nicht so unbillig erscheinen<lb/>
würden,<note place="foot" n="3"><hi rendition="#k">Titelmann</hi>. <hi rendition="#i">Compend. philos. natur. ll. XII.</hi> Lugd. 1574. 1. 5. c.<lb/>
15. p. 134.</note> und auf <hi rendition="#k">Pererius</hi>,<note place="foot" n="4"><hi rendition="#k">Pereira, Benedict</hi>. 1535&#x2014;1610. <hi rendition="#i">Physicorum.</hi> s. <hi rendition="#i">De principiis rerum<lb/>
naturalium libr. XV.</hi> Romae 1565.</note> weil dieser den <hi rendition="#k">Aristoteles</hi> für<lb/>
nicht immer ganz gerecht hält und meint, daß ein so ge-<lb/>
scheiter und im übrigen von <hi rendition="#k">Aristoteles</hi> so vielfach berück-<lb/>
sichtigter Mann wie <hi rendition="#k">Demokrit</hi> doch keinen offenbaren Unsinn<lb/>
vorbringen dürfte.<note place="foot" n="5"><hi rendition="#k">Pererius</hi>, <hi rendition="#i">Compend. de rer. nat. princip.</hi> l. 4. c. 16. &#x2014; <hi rendition="#i">Phys.</hi> l. 4, c. 4.</note></p><lb/>
            <p>Daß auf <hi rendition="#k">Sennert Giordano Brunos</hi> Lehre einen direkten<lb/>
Einfluß gehabt habe, läßt sich nicht nachweisen. <hi rendition="#k">Bruno</hi> ver-<lb/>
ließ Wittenberg, wo seine physikalischen Thesen erschienen,<lb/>
im Jahre 1588, und erst fünf Jahre später (1593) war der<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[453/0471] Sennert: Aguillon. Titelmann. Pereira. Lichtes mit der Entfernung, indem er den Einwurf zu ent- kräften sucht, daß bei einer allmählichen Abnahme des Lichtes mit der Entfernung dasselbe niemals verschwinden könne. Es gäbe nämlich einen gewissen kleinsten Grad, unterhalb desselben die Körper ihrem Wesen nach nicht bestehen könnten. 1 Das sind diejenigen Quellen, welche Sennert unter den neueren als Empfehlung für die Atomistik zu Gebote standen. Bei seinem eifrigen Bestreben, Autoritäten für jede neue An- sicht anzuführen, hätte es Sennert sicherlich nicht unterlassen, seinen Gewährsmann zu nennen, wenn ihm noch irgend eine atomistisch angehauchte Stelle in einem Schriftsteller bekannt gewesen wäre. Bezieht 2 er sich doch sogar auf Titelmann († 1550 od. 1553), welcher sich gegen die Integrität der For- men in der Mistis erklärt, weil derselbe die Bemerkung macht, daß uns die Ansichten der Alten über die Atome, wenn wir sie richtig verstünden, vielleicht nicht so unbillig erscheinen würden, 3 und auf Pererius, 4 weil dieser den Aristoteles für nicht immer ganz gerecht hält und meint, daß ein so ge- scheiter und im übrigen von Aristoteles so vielfach berück- sichtigter Mann wie Demokrit doch keinen offenbaren Unsinn vorbringen dürfte. 5 Daß auf Sennert Giordano Brunos Lehre einen direkten Einfluß gehabt habe, läßt sich nicht nachweisen. Bruno ver- ließ Wittenberg, wo seine physikalischen Thesen erschienen, im Jahre 1588, und erst fünf Jahre später (1593) war der 1 Francisci Aquilonii. Opticorum libri VI. Antw. 1613. Lib. 5. praepos 8: Corporum naturalium minima dantur, quae nimirum, si amplius dividantur, formam essentiamque deperdunt. Uti namque corpora ad naturalem subsisten- tiam nonnullam exposcunt quantitatis molem, cum ipsa nil aliud sit, quam ipsius substantiae corporeae modulus, ita et quantitates, nisi aliquo excellentiae gradu praeditae sint, sponte depereunt. — Am Ende des Buches sagt Aquilonius, daß die Wärme sich, wie die Gerüche, durch die Luft als materielle Aus- strömung fortpflanze. 2 Hypomn. p. 115. 3 Titelmann. Compend. philos. natur. ll. XII. Lugd. 1574. 1. 5. c. 15. p. 134. 4 Pereira, Benedict. 1535—1610. Physicorum. s. De principiis rerum naturalium libr. XV. Romae 1565. 5 Pererius, Compend. de rer. nat. princip. l. 4. c. 16. — Phys. l. 4, c. 4.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/471
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/471>, abgerufen am 25.11.2024.