verborgen sich erhalten kann und ist geneigt, in den Samen solche Atome mit latenter Beseelung zu sehen. Fortuninus Licetus soll auf solche beseelte Atome seine Theorie des gene- ratio spontanea gegründet haben.1
2. Vermittelnde Stellung.
In der hier dargestellten Korpuskulartheorie Sennerts haben wir den ersten Versuch zu sehen, die Atomistik der Alten für die Physik als eine fruchtbare Hypothese verwend- bar zu machen. Es war nicht Sennerts Absicht, die aristo- telische Naturlehre von Grund aus umzustürzen oder gar durch neue Gedanken zu ersetzen; er strebte nur nach einer allmäh- lichen Fortbildung der Physik; er wollte, was ihm gut schien, beibehalten, aber von allen Neuerungen das aufnehmen, was er als der Wissenschaft förderlich erachtete.
Gerade in dieser vermittelnden Wirksamkeit liegt der Grund, daß Sennert so großen Einfluß gewann und daß seine Lehre in allmählicher Ausbreitung sich schließlich die Schulen er- oberte und dem Peripatetismus verderblicher wurde als etwa das revolutionär-stürmische Auftreten eines Bruno. Den in aristo- telischen Anschauungen erzogenen und gebildeten Professoren der Physik und Medizin, die zugleich mit fertigem und histo- risch vermitteltem Systeme vor ihre Schüler treten mußten, den konservativen Vertretern altbegründeter Wissenschaft war es nicht möglich, in raschem Umschwunge mit einem Schlage die Doktrin vieler Jahrhunderte umzuwerfen. Ein durchaus origineller Denker, dem sie nicht Satz für Satz einzeln wider- legen oder bestätigen konnten, dessen neue Idee den Umsturz aller anerkannten Begriffe zu ihrem Verständnis forderte und damit die Spezialdiskussion ausschloß, ein solcher mußte ihnen unheimlich und feindlich erscheinen. Ihn durften und mußten sie von vornherein verwerfen, mit solchem war ihnen Verständi- gung nicht möglich. Aber Sennert war ein andrer Mann, er machte keinen Anspruch auf Originalität, und nur Fanatiker des Averroismus konnten ihn für einen Neuerer erklären. Sen-
1Hypomn. V, c. 7. Op. I. p. 160, 161. Fortunio Liceti (1577--1657).
Sennert: Beseelung. — Vermittlung.
verborgen sich erhalten kann und ist geneigt, in den Samen solche Atome mit latenter Beseelung zu sehen. Fortuninus Licetus soll auf solche beseelte Atome seine Theorie des gene- ratio spontanea gegründet haben.1
2. Vermittelnde Stellung.
In der hier dargestellten Korpuskulartheorie Sennerts haben wir den ersten Versuch zu sehen, die Atomistik der Alten für die Physik als eine fruchtbare Hypothese verwend- bar zu machen. Es war nicht Sennerts Absicht, die aristo- telische Naturlehre von Grund aus umzustürzen oder gar durch neue Gedanken zu ersetzen; er strebte nur nach einer allmäh- lichen Fortbildung der Physik; er wollte, was ihm gut schien, beibehalten, aber von allen Neuerungen das aufnehmen, was er als der Wissenschaft förderlich erachtete.
Gerade in dieser vermittelnden Wirksamkeit liegt der Grund, daß Sennert so großen Einfluß gewann und daß seine Lehre in allmählicher Ausbreitung sich schließlich die Schulen er- oberte und dem Peripatetismus verderblicher wurde als etwa das revolutionär-stürmische Auftreten eines Bruno. Den in aristo- telischen Anschauungen erzogenen und gebildeten Professoren der Physik und Medizin, die zugleich mit fertigem und histo- risch vermitteltem Systeme vor ihre Schüler treten mußten, den konservativen Vertretern altbegründeter Wissenschaft war es nicht möglich, in raschem Umschwunge mit einem Schlage die Doktrin vieler Jahrhunderte umzuwerfen. Ein durchaus origineller Denker, dem sie nicht Satz für Satz einzeln wider- legen oder bestätigen konnten, dessen neue Idee den Umsturz aller anerkannten Begriffe zu ihrem Verständnis forderte und damit die Spezialdiskussion ausschloß, ein solcher mußte ihnen unheimlich und feindlich erscheinen. Ihn durften und mußten sie von vornherein verwerfen, mit solchem war ihnen Verständi- gung nicht möglich. Aber Sennert war ein andrer Mann, er machte keinen Anspruch auf Originalität, und nur Fanatiker des Averroismus konnten ihn für einen Neuerer erklären. Sen-
1Hypomn. V, c. 7. Op. I. p. 160, 161. Fortunio Liceti (1577—1657).
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Sennert: Beseelung. — Vermittlung.
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Licetus soll auf solche beseelte Atome seine Theorie des gene-
ratio spontanea gegründet haben. 1
2. Vermittelnde Stellung.
In der hier dargestellten Korpuskulartheorie Sennerts
haben wir den ersten Versuch zu sehen, die Atomistik der
Alten für die Physik als eine fruchtbare Hypothese verwend-
bar zu machen. Es war nicht Sennerts Absicht, die aristo-
telische Naturlehre von Grund aus umzustürzen oder gar durch
neue Gedanken zu ersetzen; er strebte nur nach einer allmäh-
lichen Fortbildung der Physik; er wollte, was ihm gut schien,
beibehalten, aber von allen Neuerungen das aufnehmen, was
er als der Wissenschaft förderlich erachtete.
Gerade in dieser vermittelnden Wirksamkeit liegt der Grund,
daß Sennert so großen Einfluß gewann und daß seine Lehre
in allmählicher Ausbreitung sich schließlich die Schulen er-
oberte und dem Peripatetismus verderblicher wurde als etwa das
revolutionär-stürmische Auftreten eines Bruno. Den in aristo-
telischen Anschauungen erzogenen und gebildeten Professoren
der Physik und Medizin, die zugleich mit fertigem und histo-
risch vermitteltem Systeme vor ihre Schüler treten mußten,
den konservativen Vertretern altbegründeter Wissenschaft war
es nicht möglich, in raschem Umschwunge mit einem Schlage
die Doktrin vieler Jahrhunderte umzuwerfen. Ein durchaus
origineller Denker, dem sie nicht Satz für Satz einzeln wider-
legen oder bestätigen konnten, dessen neue Idee den Umsturz
aller anerkannten Begriffe zu ihrem Verständnis forderte und
damit die Spezialdiskussion ausschloß, ein solcher mußte ihnen
unheimlich und feindlich erscheinen. Ihn durften und mußten
sie von vornherein verwerfen, mit solchem war ihnen Verständi-
gung nicht möglich. Aber Sennert war ein andrer Mann, er
machte keinen Anspruch auf Originalität, und nur Fanatiker
des Averroismus konnten ihn für einen Neuerer erklären. Sen-
1 Hypomn. V, c. 7. Op. I. p. 160, 161. Fortunio Liceti (1577—1657).
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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/465>, abgerufen am 25.11.2024.
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