Gleichzeitig hatte Sennert, da ihn Freitag der Ketzerei und Gotteslästerung verdächtigt hatte, von acht theologischen Fakultäten ein Gutachten eingefordert, ob es Ketzerei und Blasphemie sei, zu behaupten, daß die Seelen der Tiere von Gott aus nichts geschaffen seien, und ob aus Gen. I. 24 sich die von Freitag gezogene Folgerung ergebe, daß die Seelen der Tiere aus der Materie hervorgegangen seien.1 Beide Fragen wurden im Laufe der Jahre 1635 bis 1637 von sämtlichen Fakultäten im Sinne Sennerts entschieden.
So war das allgemeine Interesse auf Sennerts neue Ver- öffentlichung gerichtet. In derselben legte er die Gedanken dar, welche er bei sorgfältigerer Erwägung einiger streitiger Kapitel der Physik gefaßt hatte. Zwar hätte er, wie er sagt,2 diese Überlegungen vor ungefähr dreißig Jahren schon be- gonnen und später in seiner Epitome veröffentlicht, aber die Lektüre andrer Autoren, namentlich die derjenigen Ärzte, welche die Physik besonders sorgfältig behandelt haben und darum auch schlechthin Physiker heißen, ferner die Betrachtung der Natur selbst, die Beschäftigung mit chemischen Versuchen und, mit einem Worte, die Berücksichtigung einer reichen Erfahrung haben ihn einsehen lassen, daß er das, was er zu wissen meinte, noch keineswegs wisse. Dennoch glaube er, daß das meiste, was er in jener Schrift gegeben habe, mit der Natur übereinstimme, einiges aber auch entweder richtiger oder deut- licher gesagt werden könne.
Von diesen ausdrücklichen Verbesserungen seines ersten physikalischen Werkes zeigt den bedeutungsvollsten Fortschritt die Ausbildung der Atomenlehre, welcher er nunmehr in Hypo- mnema III ein besonderes Kapitel widmet.3
1De origine et natura animarum in brutis sententiae clar. virorum in aliquod Germaniae academicis etc. -- Op. T. I. p. 285 ff.
2Hypomn. Prooem.
3Op. Tom. I. p. 115 ff. -- Dass "die von Demokrit, Epikur, Lukrez und später auch andern Philosophen und Aerzten angenommenen Atome keines- wegs zu leugnen seien", wird auch ausgesprochen in dem 6. Buche Practicae Medicinae, das 1635 herausgegeben wurde. Op. Tom. VI. p. 211. Pract. Lib. VI. Ps. II. c. 1. Dann heißt es weiter: Hae atomi et minima corpuscula a corporibus, a quibus fluunt, nonnisi magnitudine differunt et eandem essentiam, qualitates et vires cum iis habent.
Sennert: Gegner. Die Hypomnemata physica.
Gleichzeitig hatte Sennert, da ihn Freitag der Ketzerei und Gotteslästerung verdächtigt hatte, von acht theologischen Fakultäten ein Gutachten eingefordert, ob es Ketzerei und Blasphemie sei, zu behaupten, daß die Seelen der Tiere von Gott aus nichts geschaffen seien, und ob aus Gen. I. 24 sich die von Freitag gezogene Folgerung ergebe, daß die Seelen der Tiere aus der Materie hervorgegangen seien.1 Beide Fragen wurden im Laufe der Jahre 1635 bis 1637 von sämtlichen Fakultäten im Sinne Sennerts entschieden.
So war das allgemeine Interesse auf Sennerts neue Ver- öffentlichung gerichtet. In derselben legte er die Gedanken dar, welche er bei sorgfältigerer Erwägung einiger streitiger Kapitel der Physik gefaßt hatte. Zwar hätte er, wie er sagt,2 diese Überlegungen vor ungefähr dreißig Jahren schon be- gonnen und später in seiner Epitome veröffentlicht, aber die Lektüre andrer Autoren, namentlich die derjenigen Ärzte, welche die Physik besonders sorgfältig behandelt haben und darum auch schlechthin Physiker heißen, ferner die Betrachtung der Natur selbst, die Beschäftigung mit chemischen Versuchen und, mit einem Worte, die Berücksichtigung einer reichen Erfahrung haben ihn einsehen lassen, daß er das, was er zu wissen meinte, noch keineswegs wisse. Dennoch glaube er, daß das meiste, was er in jener Schrift gegeben habe, mit der Natur übereinstimme, einiges aber auch entweder richtiger oder deut- licher gesagt werden könne.
Von diesen ausdrücklichen Verbesserungen seines ersten physikalischen Werkes zeigt den bedeutungsvollsten Fortschritt die Ausbildung der Atomenlehre, welcher er nunmehr in Hypo- mnema III ein besonderes Kapitel widmet.3
1De origine et natura animarum in brutis sententiae clar. virorum in aliquod Germaniae academicis etc. — Op. T. I. p. 285 ff.
2Hypomn. Prooem.
3Op. Tom. I. p. 115 ff. — Dass „die von Demokrit, Epikur, Lukrez und später auch andern Philosophen und Aerzten angenommenen Atome keines- wegs zu leugnen seien‟, wird auch ausgesprochen in dem 6. Buche Practicae Medicinae, das 1635 herausgegeben wurde. Op. Tom. VI. p. 211. Pract. Lib. VI. Ps. II. c. 1. Dann heißt es weiter: Hae atomi et minima corpuscula a corporibus, a quibus fluunt, nonnisi magnitudine differunt et eandem essentiam, qualitates et vires cum iis habent.
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Fakultäten ein Gutachten eingefordert, ob es Ketzerei und
Blasphemie sei, zu behaupten, daß die Seelen der Tiere von
Gott aus nichts geschaffen seien, und ob aus Gen. I. 24 sich
die von Freitag gezogene Folgerung ergebe, daß die Seelen
der Tiere aus der Materie hervorgegangen seien. 1 Beide Fragen
wurden im Laufe der Jahre 1635 bis 1637 von sämtlichen
Fakultäten im Sinne Sennerts entschieden.
So war das allgemeine Interesse auf Sennerts neue Ver-
öffentlichung gerichtet. In derselben legte er die Gedanken
dar, welche er bei sorgfältigerer Erwägung einiger streitiger
Kapitel der Physik gefaßt hatte. Zwar hätte er, wie er sagt, 2
diese Überlegungen vor ungefähr dreißig Jahren schon be-
gonnen und später in seiner Epitome veröffentlicht, aber die
Lektüre andrer Autoren, namentlich die derjenigen Ärzte, welche
die Physik besonders sorgfältig behandelt haben und darum
auch schlechthin Physiker heißen, ferner die Betrachtung der
Natur selbst, die Beschäftigung mit chemischen Versuchen und,
mit einem Worte, die Berücksichtigung einer reichen Erfahrung
haben ihn einsehen lassen, daß er das, was er zu wissen
meinte, noch keineswegs wisse. Dennoch glaube er, daß das
meiste, was er in jener Schrift gegeben habe, mit der Natur
übereinstimme, einiges aber auch entweder richtiger oder deut-
licher gesagt werden könne.
Von diesen ausdrücklichen Verbesserungen seines ersten
physikalischen Werkes zeigt den bedeutungsvollsten Fortschritt
die Ausbildung der Atomenlehre, welcher er nunmehr in Hypo-
mnema III ein besonderes Kapitel widmet. 3
1 De origine et natura animarum in brutis sententiae clar. virorum in
aliquod Germaniae academicis etc. — Op. T. I. p. 285 ff.
2 Hypomn. Prooem.
3 Op. Tom. I. p. 115 ff. — Dass „die von Demokrit, Epikur, Lukrez
und später auch andern Philosophen und Aerzten angenommenen Atome keines-
wegs zu leugnen seien‟, wird auch ausgesprochen in dem 6. Buche Practicae
Medicinae, das 1635 herausgegeben wurde. Op. Tom. VI. p. 211. Pract. Lib.
VI. Ps. II. c. 1. Dann heißt es weiter: Hae atomi et minima corpuscula
a corporibus, a quibus fluunt, nonnisi magnitudine differunt et eandem essentiam,
qualitates et vires cum iis habent.
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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/460>, abgerufen am 16.08.2024.
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