Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite
Sennert: Die ersten Ausgaben der Epitome.

Erst im folgenden Jahre hat sich Sennert in der Schrift
De chymicorum cum Galenicis et Peripateticis consensu ac dissensu
deutlicher für das Bestehen der Körper aus kleinen Elementar-

Herr cand. G. Landsberg in Breslau auf meine Bitte ausgeführt.) Sennert
führt in dieser und den späteren Ausgaben (Francof. 1650, p. 82 ff., Op.
[1676] p. 11 f.), wo er statt des 5. Kapitels des 1. Buches De continuo et
infinito
zwei Kapitel: V: De quantitate; VI: De qualitatibus in genere hat,
zunächst auch die Gründe des Aristoteles für das Kontinuum auf, unterdrückt
aber die Erklärung der eigenen Übereinstimmung und hebt lebhaft hervor,
daß man durchaus die Teilung des Kontinuums ins Unendliche im mathema-
tischen Sinne von der reellen physischen Teilung unterscheiden müsse. Die
erstere existiere unbedingt im Sinne eines successiven Fortschreitens bis ins
Unendliche; doch habe Aristoteles Unrecht, wenn er die für den mathema-
tischen Körper geltenden Betrachtungen auf den physischen (naturale) anwende,
und begehe damit selbst den Fehler, um dessentwillen er Platon getadelt und
Demokrit, der ihn vermieden, gelobt habe. Sicher hätten doch Demokrit und
andere vor Aristoteles, wenn sie von Unteilbarem sprechen, nicht das mathe-
matische Kontinuum, sondern nur den physischen, natürlichen Körper gemeint.
Nur um die Frage, ob der natürliche Körper aus unteilbaren Partikeln
aktuell bestehe, könne es sich handeln, und diese sei von jenen Philosophen
dahin beantwortet worden, daß die Körper aus unteilbaren Korpuskeln ent-
stehen, bestehen und wieder in sie aufgelöst werden, und daß die Elemente,
oder was jene sonst als erstes der Mischung ansahen, in die kleinsten Teilchen,
zu welchen die Physik bei der Erzeugung und Zerlegung der Körper gelangen
könne, aufgelöst werden; aus dem verschiedenartigen Zusammentreten derselben
sollten dann wieder die zusammengesetzten Körper entstehen. Dabei sehe er
nicht ein, wieso in dieser Meinung eine Absurdität liegen solle; vielmehr folgten
derselben sowohl Galen, als alle diejenigen Philosophen und Ärzte, welche
annahmen, daß die Elemente in den Mischungen unverändert verharren. Da
nämlich eine bestimmte Begrenzung und Gestalt zum Begriff des Körpers
gehöre, so sei jeder Körper notwendigerweise endlich und an gewisse bestimmte
Grenzen der Größe oder Kleinheit gebunden. In der Gesamtheit der Welt
wie in jeder Einzelart der Naturdinge gebe es actu ein Größtes und Kleinstes.
Doch stammt die beschränkte Größe der Elemente nicht aus deren Natur
selbst, sondern ist eine Folge der endlich beschränkten Masse der prima materia
und der Einwirkungen der äußeren Körper; durch beide wird die Ausdehnung
der Elemente bestimmt. Wie die Elemente nicht ins Unendliche vermehrt
werden können, so können sie auch nicht ins Unendliche geteilt werden,
sondern indem sie sich untereinander mischen, werden sie in #,
wie Galen (De elem. 1. I, c. ult.) sagt, d. h. in sehr kleine Teilchen zerlegt,
so daß die Körper von Natur in noch kleinere Teile nicht geteilt werden
können; daher wurden diese von den Alten Atome genannt. Ebenso erklärt S.
in der Frage nach dem Beharren der Bestandteile in der Mischung (1. 3,
c. 2) in den früheren Ausgaben der Meinung des Averroes zu folgen (1618 p.
222), dagegen später ganz entschieden dem Avicenna (1650, p. 263, Op. p. 36).
Sennert: Die ersten Ausgaben der Epitome.

Erst im folgenden Jahre hat sich Sennert in der Schrift
De chymicorum cum Galenicis et Peripateticis consensu ac dissensu
deutlicher für das Bestehen der Körper aus kleinen Elementar-

Herr cand. G. Landsberg in Breslau auf meine Bitte ausgeführt.) Sennert
führt in dieser und den späteren Ausgaben (Francof. 1650, p. 82 ff., Op.
[1676] p. 11 f.), wo er statt des 5. Kapitels des 1. Buches De continuo et
infinito
zwei Kapitel: V: De quantitate; VI: De qualitatibus in genere hat,
zunächst auch die Gründe des Aristoteles für das Kontinuum auf, unterdrückt
aber die Erklärung der eigenen Übereinstimmung und hebt lebhaft hervor,
daß man durchaus die Teilung des Kontinuums ins Unendliche im mathema-
tischen Sinne von der reellen physischen Teilung unterscheiden müsse. Die
erstere existiere unbedingt im Sinne eines successiven Fortschreitens bis ins
Unendliche; doch habe Aristoteles Unrecht, wenn er die für den mathema-
tischen Körper geltenden Betrachtungen auf den physischen (naturale) anwende,
und begehe damit selbst den Fehler, um dessentwillen er Platon getadelt und
Demokrit, der ihn vermieden, gelobt habe. Sicher hätten doch Demokrit und
andere vor Aristoteles, wenn sie von Unteilbarem sprechen, nicht das mathe-
matische Kontinuum, sondern nur den physischen, natürlichen Körper gemeint.
Nur um die Frage, ob der natürliche Körper aus unteilbaren Partikeln
aktuell bestehe, könne es sich handeln, und diese sei von jenen Philosophen
dahin beantwortet worden, daß die Körper aus unteilbaren Korpuskeln ent-
stehen, bestehen und wieder in sie aufgelöst werden, und daß die Elemente,
oder was jene sonst als erstes der Mischung ansahen, in die kleinsten Teilchen,
zu welchen die Physik bei der Erzeugung und Zerlegung der Körper gelangen
könne, aufgelöst werden; aus dem verschiedenartigen Zusammentreten derselben
sollten dann wieder die zusammengesetzten Körper entstehen. Dabei sehe er
nicht ein, wieso in dieser Meinung eine Absurdität liegen solle; vielmehr folgten
derselben sowohl Galen, als alle diejenigen Philosophen und Ärzte, welche
annahmen, daß die Elemente in den Mischungen unverändert verharren. Da
nämlich eine bestimmte Begrenzung und Gestalt zum Begriff des Körpers
gehöre, so sei jeder Körper notwendigerweise endlich und an gewisse bestimmte
Grenzen der Größe oder Kleinheit gebunden. In der Gesamtheit der Welt
wie in jeder Einzelart der Naturdinge gebe es actu ein Größtes und Kleinstes.
Doch stammt die beschränkte Größe der Elemente nicht aus deren Natur
selbst, sondern ist eine Folge der endlich beschränkten Masse der prima materia
und der Einwirkungen der äußeren Körper; durch beide wird die Ausdehnung
der Elemente bestimmt. Wie die Elemente nicht ins Unendliche vermehrt
werden können, so können sie auch nicht ins Unendliche geteilt werden,
sondern indem sie sich untereinander mischen, werden sie in #,
wie Galen (De elem. 1. I, c. ult.) sagt, d. h. in sehr kleine Teilchen zerlegt,
so daß die Körper von Natur in noch kleinere Teile nicht geteilt werden
können; daher wurden diese von den Alten Atome genannt. Ebenso erklärt S.
in der Frage nach dem Beharren der Bestandteile in der Mischung (1. 3,
c. 2) in den früheren Ausgaben der Meinung des Averroes zu folgen (1618 p.
222), dagegen später ganz entschieden dem Avicenna (1650, p. 263, Op. p. 36).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0457" n="439"/>
            <fw place="top" type="header"><hi rendition="#k">Sennert</hi>: Die ersten Ausgaben der <hi rendition="#i">Epitome.</hi></fw><lb/>
            <p>Erst im folgenden Jahre hat sich <hi rendition="#k">Sennert</hi> in der Schrift<lb/><hi rendition="#i">De chymicorum cum Galenicis et Peripateticis consensu ac dissensu</hi><lb/>
deutlicher für das Bestehen der Körper aus kleinen Elementar-<lb/><note xml:id="seg2pn_19_2" prev="#seg2pn_19_1" place="foot" n="6">Herr cand. G. <hi rendition="#k">Landsberg</hi> in Breslau auf meine Bitte ausgeführt.) <hi rendition="#k">Sennert</hi><lb/>
führt in dieser und den späteren Ausgaben (Francof. 1650, p. 82 ff., <hi rendition="#i">Op.</hi><lb/>
[1676] p. 11 f.), wo er statt des 5. Kapitels des 1. Buches <hi rendition="#i">De continuo et<lb/>
infinito</hi> zwei Kapitel: V: <hi rendition="#i">De quantitate;</hi> VI: <hi rendition="#i">De qualitatibus in genere</hi> hat,<lb/>
zunächst auch die Gründe des <hi rendition="#k">Aristoteles</hi> für das Kontinuum auf, unterdrückt<lb/>
aber die Erklärung der eigenen Übereinstimmung und hebt lebhaft hervor,<lb/>
daß man durchaus die Teilung des Kontinuums ins Unendliche im mathema-<lb/>
tischen Sinne von der reellen physischen Teilung unterscheiden müsse. Die<lb/>
erstere existiere unbedingt im Sinne eines successiven Fortschreitens bis ins<lb/>
Unendliche; doch habe <hi rendition="#k">Aristoteles</hi> Unrecht, wenn er die für den mathema-<lb/>
tischen Körper geltenden Betrachtungen auf den physischen (naturale) anwende,<lb/>
und begehe damit selbst den Fehler, um dessentwillen er <hi rendition="#k">Platon</hi> getadelt und<lb/><hi rendition="#k">Demokrit</hi>, der ihn vermieden, gelobt habe. Sicher hätten doch <hi rendition="#k">Demokrit</hi> und<lb/>
andere vor <hi rendition="#k">Aristoteles</hi>, wenn sie von Unteilbarem sprechen, nicht das mathe-<lb/>
matische Kontinuum, sondern nur den physischen, natürlichen Körper gemeint.<lb/>
Nur um die Frage, ob der <hi rendition="#g">natürliche</hi> Körper aus unteilbaren Partikeln<lb/>
aktuell bestehe, könne es sich handeln, und diese sei von jenen Philosophen<lb/>
dahin beantwortet worden, daß die Körper aus unteilbaren Korpuskeln ent-<lb/>
stehen, bestehen und wieder in sie aufgelöst werden, und daß die Elemente,<lb/>
oder was jene sonst als erstes der Mischung ansahen, in die kleinsten Teilchen,<lb/>
zu welchen die Physik bei der Erzeugung und Zerlegung der Körper gelangen<lb/>
könne, aufgelöst werden; aus dem verschiedenartigen Zusammentreten derselben<lb/>
sollten dann wieder die zusammengesetzten Körper entstehen. Dabei sehe er<lb/>
nicht ein, wieso in dieser Meinung eine Absurdität liegen solle; vielmehr folgten<lb/>
derselben sowohl <hi rendition="#k">Galen</hi>, als alle diejenigen <hi rendition="#g">Philosophen</hi> und <hi rendition="#g">Ärzte,</hi> welche<lb/>
annahmen, daß die Elemente in den Mischungen unverändert verharren. Da<lb/>
nämlich eine bestimmte Begrenzung und Gestalt zum Begriff des Körpers<lb/>
gehöre, so sei jeder Körper notwendigerweise endlich und an gewisse bestimmte<lb/>
Grenzen der Größe oder Kleinheit gebunden. In der Gesamtheit der Welt<lb/>
wie in jeder Einzelart der Naturdinge gebe es actu ein Größtes und Kleinstes.<lb/>
Doch stammt die beschränkte Größe der Elemente nicht aus deren Natur<lb/>
selbst, sondern ist eine Folge der endlich beschränkten Masse der <hi rendition="#i">prima materia</hi><lb/>
und der Einwirkungen der äußeren Körper; durch beide wird die Ausdehnung<lb/>
der Elemente bestimmt. Wie die Elemente nicht ins Unendliche vermehrt<lb/>
werden können, so können sie auch nicht ins Unendliche geteilt werden,<lb/>
sondern indem sie sich untereinander mischen, werden sie in #,<lb/>
wie <hi rendition="#k">Galen</hi> (<hi rendition="#i">De elem.</hi> 1. I, c. ult.) sagt, d. h. in sehr kleine Teilchen zerlegt,<lb/>
so daß die Körper von Natur in noch kleinere Teile nicht geteilt werden<lb/>
können; daher wurden diese von den Alten Atome genannt. Ebenso erklärt S.<lb/>
in der Frage nach dem Beharren der Bestandteile in der Mischung (1. 3,<lb/>
c. 2) in den früheren Ausgaben der Meinung des <hi rendition="#k">Averroes</hi> zu folgen (1618 p.<lb/>
222), dagegen später ganz entschieden dem <hi rendition="#k">Avicenna</hi> (1650, p. 263, <hi rendition="#i">Op.</hi> p. 36).</note><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[439/0457] Sennert: Die ersten Ausgaben der Epitome. Erst im folgenden Jahre hat sich Sennert in der Schrift De chymicorum cum Galenicis et Peripateticis consensu ac dissensu deutlicher für das Bestehen der Körper aus kleinen Elementar- 6 6 Herr cand. G. Landsberg in Breslau auf meine Bitte ausgeführt.) Sennert führt in dieser und den späteren Ausgaben (Francof. 1650, p. 82 ff., Op. [1676] p. 11 f.), wo er statt des 5. Kapitels des 1. Buches De continuo et infinito zwei Kapitel: V: De quantitate; VI: De qualitatibus in genere hat, zunächst auch die Gründe des Aristoteles für das Kontinuum auf, unterdrückt aber die Erklärung der eigenen Übereinstimmung und hebt lebhaft hervor, daß man durchaus die Teilung des Kontinuums ins Unendliche im mathema- tischen Sinne von der reellen physischen Teilung unterscheiden müsse. Die erstere existiere unbedingt im Sinne eines successiven Fortschreitens bis ins Unendliche; doch habe Aristoteles Unrecht, wenn er die für den mathema- tischen Körper geltenden Betrachtungen auf den physischen (naturale) anwende, und begehe damit selbst den Fehler, um dessentwillen er Platon getadelt und Demokrit, der ihn vermieden, gelobt habe. Sicher hätten doch Demokrit und andere vor Aristoteles, wenn sie von Unteilbarem sprechen, nicht das mathe- matische Kontinuum, sondern nur den physischen, natürlichen Körper gemeint. Nur um die Frage, ob der natürliche Körper aus unteilbaren Partikeln aktuell bestehe, könne es sich handeln, und diese sei von jenen Philosophen dahin beantwortet worden, daß die Körper aus unteilbaren Korpuskeln ent- stehen, bestehen und wieder in sie aufgelöst werden, und daß die Elemente, oder was jene sonst als erstes der Mischung ansahen, in die kleinsten Teilchen, zu welchen die Physik bei der Erzeugung und Zerlegung der Körper gelangen könne, aufgelöst werden; aus dem verschiedenartigen Zusammentreten derselben sollten dann wieder die zusammengesetzten Körper entstehen. Dabei sehe er nicht ein, wieso in dieser Meinung eine Absurdität liegen solle; vielmehr folgten derselben sowohl Galen, als alle diejenigen Philosophen und Ärzte, welche annahmen, daß die Elemente in den Mischungen unverändert verharren. Da nämlich eine bestimmte Begrenzung und Gestalt zum Begriff des Körpers gehöre, so sei jeder Körper notwendigerweise endlich und an gewisse bestimmte Grenzen der Größe oder Kleinheit gebunden. In der Gesamtheit der Welt wie in jeder Einzelart der Naturdinge gebe es actu ein Größtes und Kleinstes. Doch stammt die beschränkte Größe der Elemente nicht aus deren Natur selbst, sondern ist eine Folge der endlich beschränkten Masse der prima materia und der Einwirkungen der äußeren Körper; durch beide wird die Ausdehnung der Elemente bestimmt. Wie die Elemente nicht ins Unendliche vermehrt werden können, so können sie auch nicht ins Unendliche geteilt werden, sondern indem sie sich untereinander mischen, werden sie in #, wie Galen (De elem. 1. I, c. ult.) sagt, d. h. in sehr kleine Teilchen zerlegt, so daß die Körper von Natur in noch kleinere Teile nicht geteilt werden können; daher wurden diese von den Alten Atome genannt. Ebenso erklärt S. in der Frage nach dem Beharren der Bestandteile in der Mischung (1. 3, c. 2) in den früheren Ausgaben der Meinung des Averroes zu folgen (1618 p. 222), dagegen später ganz entschieden dem Avicenna (1650, p. 263, Op. p. 36).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/457
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/457>, abgerufen am 22.11.2024.