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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Sennert: Leben. Heilkunde und Chemie.
promovierte zu Wittenberg und wurde im folgenden Jahre da-
selbst Professor der Medizin. Sein Ruf als Arzt und Lehrer
wurde bald ein sehr ausgebreiteter, seine Anerkennung eine
allgemeine. Er starb den 21. Juli 1637 an der Pest.1

Sennerts Verdienste um die Heilkunde bestehen vor-
nehmlich darin, daß er zuerst das Studium der Chemie als
einen Teil des medizinischen Bildungsganges einführte und
wesentlich zur Anerkennung der Förderung beitrug, welche die
Paracelsisten der praktischen Chemie und der Bereitung der
Heilmittel verschafft hatten. In seinen physikalischen Lehren
trat er besonders der averroistischen Doktrin von der Educierung
der Formen aus der Materie entgegen und kämpfte gegen die
Annahme, daß bei den Mischungen stets neue Formen unter
Erhaltung der früheren Grade hinzutreten, sowie daß die Natur
erst die universalen und durch deren Vermittelung die partiku-
lären Formen hervorbringe. Doch bleibt er selbst innerhalb des
aristotelischen Begriffskreises vor Form und Materie stehen,
nur daß er die unmittelbare und anfängliche Erschaffung aller
Formen, mit der Materie zugleich, durch Gott lehrt.2 Auch
die Annahme von verborgenen Eigenschaften glaubt er ver-
treten zu müssen. Die besondere Beschaffenheit der Dinge
läßt sich seiner Ansicht nach nicht allein aus den Elementen,
welche nur die Materie liefern, erklären, sondern außer der
letzteren ist noch ein mehr göttliches Prinzip, eine Natura
quinta
, anzunehmen, durch welche die Dinge das sind, was sie
sind.3 Mit Entschiedenheit betont er die Wichtigkeit der Er-
fahrung für die Naturerkenntnis. Die Betrachtung des Allge-

1 Buchner, Orationes Panegyricae, Orat. XII. Wittenberg 1669, p. 333 ff.
Daselbst auch Buchners Rede an Sennerts Grabe, p. 432. -- Vita Dan. Sennerti
in Op. Lugd. 1676. Näheres in m. Abhandl. über Sennert in d. Viertelj. f. w. Ph.
III, S. 408--434 (1879), wo S. 412 Z. 10 v. u. statt "lehrte" zu lesen ist: "bestritt".
Von Sennerts Werken kommen hier besonders in Betracht: Epitome scientiae
naturalis
, zuerst Wittenberg 1618, dann 1624, 1633, 1650 u. a. De Chymicorum
cum Aristotelicis et Galenicis consensu ac dissensu
, zuerst Wittenberg 1619.
Hypomnemata physica, zuerst Wittenberg 1636. -- Gesamtausgaben werden an-
geführt Paris 1633, 45, Venet. 1641, 45, 51. Lugduni 1650, 57, 66, 76. -- Die
Citate nach Opera omnia, Lugd. 1676 in 6 Bd. (Fol.), soweit nicht Abweichungen
von den ersten Ausgaben vorliegen, welche verglichen wurden.
2 Epit. lib. I, c. 3. Hypomn. Praef. u. I, c. 3.
3 De Chym. c. 8. c. 12.

Sennert: Leben. Heilkunde und Chemie.
promovierte zu Wittenberg und wurde im folgenden Jahre da-
selbst Professor der Medizin. Sein Ruf als Arzt und Lehrer
wurde bald ein sehr ausgebreiteter, seine Anerkennung eine
allgemeine. Er starb den 21. Juli 1637 an der Pest.1

Sennerts Verdienste um die Heilkunde bestehen vor-
nehmlich darin, daß er zuerst das Studium der Chemie als
einen Teil des medizinischen Bildungsganges einführte und
wesentlich zur Anerkennung der Förderung beitrug, welche die
Paracelsisten der praktischen Chemie und der Bereitung der
Heilmittel verschafft hatten. In seinen physikalischen Lehren
trat er besonders der averroistischen Doktrin von der Educierung
der Formen aus der Materie entgegen und kämpfte gegen die
Annahme, daß bei den Mischungen stets neue Formen unter
Erhaltung der früheren Grade hinzutreten, sowie daß die Natur
erst die universalen und durch deren Vermittelung die partiku-
lären Formen hervorbringe. Doch bleibt er selbst innerhalb des
aristotelischen Begriffskreises vor Form und Materie stehen,
nur daß er die unmittelbare und anfängliche Erschaffung aller
Formen, mit der Materie zugleich, durch Gott lehrt.2 Auch
die Annahme von verborgenen Eigenschaften glaubt er ver-
treten zu müssen. Die besondere Beschaffenheit der Dinge
läßt sich seiner Ansicht nach nicht allein aus den Elementen,
welche nur die Materie liefern, erklären, sondern außer der
letzteren ist noch ein mehr göttliches Prinzip, eine Natura
quinta
, anzunehmen, durch welche die Dinge das sind, was sie
sind.3 Mit Entschiedenheit betont er die Wichtigkeit der Er-
fahrung für die Naturerkenntnis. Die Betrachtung des Allge-

1 Buchner, Orationes Panegyricae, Orat. XII. Wittenberg 1669, p. 333 ff.
Daselbst auch Buchners Rede an Sennerts Grabe, p. 432. — Vita Dan. Sennerti
in Op. Lugd. 1676. Näheres in m. Abhandl. über Sennert in d. Viertelj. f. w. Ph.
III, S. 408—434 (1879), wo S. 412 Z. 10 v. u. statt „lehrte‟ zu lesen ist: „bestritt‟.
Von Sennerts Werken kommen hier besonders in Betracht: Epitome scientiae
naturalis
, zuerst Wittenberg 1618, dann 1624, 1633, 1650 u. a. De Chymicorum
cum Aristotelicis et Galenicis consensu ac dissensu
, zuerst Wittenberg 1619.
Hypomnemata physica, zuerst Wittenberg 1636. — Gesamtausgaben werden an-
geführt Paris 1633, 45, Venet. 1641, 45, 51. Lugduni 1650, 57, 66, 76. — Die
Citate nach Opera omnia, Lugd. 1676 in 6 Bd. (Fol.), soweit nicht Abweichungen
von den ersten Ausgaben vorliegen, welche verglichen wurden.
2 Epit. lib. I, c. 3. Hypomn. Praef. u. I, c. 3.
3 De Chym. c. 8. c. 12.
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[437/0455] Sennert: Leben. Heilkunde und Chemie. promovierte zu Wittenberg und wurde im folgenden Jahre da- selbst Professor der Medizin. Sein Ruf als Arzt und Lehrer wurde bald ein sehr ausgebreiteter, seine Anerkennung eine allgemeine. Er starb den 21. Juli 1637 an der Pest. 1 Sennerts Verdienste um die Heilkunde bestehen vor- nehmlich darin, daß er zuerst das Studium der Chemie als einen Teil des medizinischen Bildungsganges einführte und wesentlich zur Anerkennung der Förderung beitrug, welche die Paracelsisten der praktischen Chemie und der Bereitung der Heilmittel verschafft hatten. In seinen physikalischen Lehren trat er besonders der averroistischen Doktrin von der Educierung der Formen aus der Materie entgegen und kämpfte gegen die Annahme, daß bei den Mischungen stets neue Formen unter Erhaltung der früheren Grade hinzutreten, sowie daß die Natur erst die universalen und durch deren Vermittelung die partiku- lären Formen hervorbringe. Doch bleibt er selbst innerhalb des aristotelischen Begriffskreises vor Form und Materie stehen, nur daß er die unmittelbare und anfängliche Erschaffung aller Formen, mit der Materie zugleich, durch Gott lehrt. 2 Auch die Annahme von verborgenen Eigenschaften glaubt er ver- treten zu müssen. Die besondere Beschaffenheit der Dinge läßt sich seiner Ansicht nach nicht allein aus den Elementen, welche nur die Materie liefern, erklären, sondern außer der letzteren ist noch ein mehr göttliches Prinzip, eine Natura quinta, anzunehmen, durch welche die Dinge das sind, was sie sind. 3 Mit Entschiedenheit betont er die Wichtigkeit der Er- fahrung für die Naturerkenntnis. Die Betrachtung des Allge- 1 Buchner, Orationes Panegyricae, Orat. XII. Wittenberg 1669, p. 333 ff. Daselbst auch Buchners Rede an Sennerts Grabe, p. 432. — Vita Dan. Sennerti in Op. Lugd. 1676. Näheres in m. Abhandl. über Sennert in d. Viertelj. f. w. Ph. III, S. 408—434 (1879), wo S. 412 Z. 10 v. u. statt „lehrte‟ zu lesen ist: „bestritt‟. Von Sennerts Werken kommen hier besonders in Betracht: Epitome scientiae naturalis, zuerst Wittenberg 1618, dann 1624, 1633, 1650 u. a. De Chymicorum cum Aristotelicis et Galenicis consensu ac dissensu, zuerst Wittenberg 1619. Hypomnemata physica, zuerst Wittenberg 1636. — Gesamtausgaben werden an- geführt Paris 1633, 45, Venet. 1641, 45, 51. Lugduni 1650, 57, 66, 76. — Die Citate nach Opera omnia, Lugd. 1676 in 6 Bd. (Fol.), soweit nicht Abweichungen von den ersten Ausgaben vorliegen, welche verglichen wurden. 2 Epit. lib. I, c. 3. Hypomn. Praef. u. I, c. 3. 3 De Chym. c. 8. c. 12.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/455>, abgerufen am 22.11.2024.