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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Lactantius: Verkennung der Atomistik.
sie wieder wie sinnliche Körper, deren Zerstörbarkeit von ihrer
Gestaltung abhängt. Vor allem aber ist ihm der Begriff der
mechanischen Naturerklärung unfaßbar; deshalb erscheint ihm
die Physik der Atomisten als etwas ganz Sinnloses. Er teilt
den freilich allgemein verbreiteten Irrtum, daß der Zufall die
Bewegung der Atome bestimme, ohne zu berücksichtigen, daß
nach der atomistischen Lehre, nachdem einmal eine bestimmte
Position der Atome -- die eine zufällige heißen kann --
gegeben war, alle andern Lagen durch notwendige Gesetze
der Bewegung bedingt sind. Er versteht daher nicht, daß
gerade die Atomenlehre die Regelmäßigkeit des Weltgeschehens
garantiert und daß sich Lukrez mit Recht gegen die Willkür
wendet, welche in einer Schöpfung aus nichts oder in einer
qualitativen Verwandlung der Stoffe liegt. Ebenso verständ-
nislos steht er vor dem Grundgedanken der Korpuskulartheorie,
neu auftretende Eigenschaften von Körpern aus einer Lage-
veränderung der Atome zu erklären. "Sind wohl gar in Eisen
oder Kiesel Atome (des Feuers) verborgen? Wer hat sie dort
eingeschlossen? Warum springen sie nicht von selbst hervor?"
Diese Fragen, sowie seine Ratlosigkeit bei der Erklärung der
Wirkung des Brennglases, zeigen in einleuchtender Weise die
Unfähigkeit des Lactantius, das Wesen einer physikalischen
Erklärung auch nur zu ahnen, und sie zeigen zugleich wieder,
wie fern seiner Zeit das Bedürfnis einer solchen lag. Man
braucht auf seine schwachen Einwände nicht weiter einzugehen;
einem Zeitalter, das überhaupt wieder physikalischer Erklärungs-
weise zugänglich wurde, konnten sie nicht gefährlich werden;
Gassendi hat sich der leichten Mühe unterzogen, sie ausführlich
einzeln zu widerlegen.1

Es bleibt auch bei Lactantius als wirksamer Einwand nur
das metaphysische Interesse, welches sich gegen die mate-
rialistische Weltanschauung überhaupt richtet. Hierbei ver-
folgt er denselben Gedankengang wie Eusebius: Die Zweck-
mäßigkeit der Welt ist nur aus der Weisheit des Schöpfers
zu erklären. Dieser Grundgedanke christlicher Weltbetrachtung
kann durch spezielle physikalische Ausführungen nicht berührt

1 Animadv. 3. Ed. Lugd. 1675. I, p. 107. -- Syntagma philosophicum.
Opera omnia.
Florent. 1727. I., p. 239 u. a.

Lactantius: Verkennung der Atomistik.
sie wieder wie sinnliche Körper, deren Zerstörbarkeit von ihrer
Gestaltung abhängt. Vor allem aber ist ihm der Begriff der
mechanischen Naturerklärung unfaßbar; deshalb erscheint ihm
die Physik der Atomisten als etwas ganz Sinnloses. Er teilt
den freilich allgemein verbreiteten Irrtum, daß der Zufall die
Bewegung der Atome bestimme, ohne zu berücksichtigen, daß
nach der atomistischen Lehre, nachdem einmal eine bestimmte
Position der Atome — die eine zufällige heißen kann —
gegeben war, alle andern Lagen durch notwendige Gesetze
der Bewegung bedingt sind. Er versteht daher nicht, daß
gerade die Atomenlehre die Regelmäßigkeit des Weltgeschehens
garantiert und daß sich Lukrez mit Recht gegen die Willkür
wendet, welche in einer Schöpfung aus nichts oder in einer
qualitativen Verwandlung der Stoffe liegt. Ebenso verständ-
nislos steht er vor dem Grundgedanken der Korpuskulartheorie,
neu auftretende Eigenschaften von Körpern aus einer Lage-
veränderung der Atome zu erklären. „Sind wohl gar in Eisen
oder Kiesel Atome (des Feuers) verborgen? Wer hat sie dort
eingeschlossen? Warum springen sie nicht von selbst hervor?‟
Diese Fragen, sowie seine Ratlosigkeit bei der Erklärung der
Wirkung des Brennglases, zeigen in einleuchtender Weise die
Unfähigkeit des Lactantius, das Wesen einer physikalischen
Erklärung auch nur zu ahnen, und sie zeigen zugleich wieder,
wie fern seiner Zeit das Bedürfnis einer solchen lag. Man
braucht auf seine schwachen Einwände nicht weiter einzugehen;
einem Zeitalter, das überhaupt wieder physikalischer Erklärungs-
weise zugänglich wurde, konnten sie nicht gefährlich werden;
Gassendi hat sich der leichten Mühe unterzogen, sie ausführlich
einzeln zu widerlegen.1

Es bleibt auch bei Lactantius als wirksamer Einwand nur
das metaphysische Interesse, welches sich gegen die mate-
rialistische Weltanschauung überhaupt richtet. Hierbei ver-
folgt er denselben Gedankengang wie Eusebius: Die Zweck-
mäßigkeit der Welt ist nur aus der Weisheit des Schöpfers
zu erklären. Dieser Grundgedanke christlicher Weltbetrachtung
kann durch spezielle physikalische Ausführungen nicht berührt

1 Animadv. 3. Ed. Lugd. 1675. I, p. 107. — Syntagma philosophicum.
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Florent. 1727. I., p. 239 u. a.
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[25/0043] Lactantius: Verkennung der Atomistik. sie wieder wie sinnliche Körper, deren Zerstörbarkeit von ihrer Gestaltung abhängt. Vor allem aber ist ihm der Begriff der mechanischen Naturerklärung unfaßbar; deshalb erscheint ihm die Physik der Atomisten als etwas ganz Sinnloses. Er teilt den freilich allgemein verbreiteten Irrtum, daß der Zufall die Bewegung der Atome bestimme, ohne zu berücksichtigen, daß nach der atomistischen Lehre, nachdem einmal eine bestimmte Position der Atome — die eine zufällige heißen kann — gegeben war, alle andern Lagen durch notwendige Gesetze der Bewegung bedingt sind. Er versteht daher nicht, daß gerade die Atomenlehre die Regelmäßigkeit des Weltgeschehens garantiert und daß sich Lukrez mit Recht gegen die Willkür wendet, welche in einer Schöpfung aus nichts oder in einer qualitativen Verwandlung der Stoffe liegt. Ebenso verständ- nislos steht er vor dem Grundgedanken der Korpuskulartheorie, neu auftretende Eigenschaften von Körpern aus einer Lage- veränderung der Atome zu erklären. „Sind wohl gar in Eisen oder Kiesel Atome (des Feuers) verborgen? Wer hat sie dort eingeschlossen? Warum springen sie nicht von selbst hervor?‟ Diese Fragen, sowie seine Ratlosigkeit bei der Erklärung der Wirkung des Brennglases, zeigen in einleuchtender Weise die Unfähigkeit des Lactantius, das Wesen einer physikalischen Erklärung auch nur zu ahnen, und sie zeigen zugleich wieder, wie fern seiner Zeit das Bedürfnis einer solchen lag. Man braucht auf seine schwachen Einwände nicht weiter einzugehen; einem Zeitalter, das überhaupt wieder physikalischer Erklärungs- weise zugänglich wurde, konnten sie nicht gefährlich werden; Gassendi hat sich der leichten Mühe unterzogen, sie ausführlich einzeln zu widerlegen. 1 Es bleibt auch bei Lactantius als wirksamer Einwand nur das metaphysische Interesse, welches sich gegen die mate- rialistische Weltanschauung überhaupt richtet. Hierbei ver- folgt er denselben Gedankengang wie Eusebius: Die Zweck- mäßigkeit der Welt ist nur aus der Weisheit des Schöpfers zu erklären. Dieser Grundgedanke christlicher Weltbetrachtung kann durch spezielle physikalische Ausführungen nicht berührt 1 Animadv. 3. Ed. Lugd. 1675. I, p. 107. — Syntagma philosophicum. Opera omnia. Florent. 1727. I., p. 239 u. a.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/43>, abgerufen am 23.11.2024.