Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Lactantius: Aus Atomen nichts Himmlisches.
Umriß der Gestalt zu geben, nicht Leben und Empfindung,
geschweige denn Sehen, Hören, Riechen und die übrigen be-
wundernswerten Anwendungen der sichtbaren wie verborgenen
Organe. Welcher Künstler hat ein Menschenherz, eine Stimme
oder die Weisheit selbst herstellen können? Welcher Mensch
mit gesunden Sinnen glaubt, daß das, was der Mensch mit
Vernunft und Überlegung nicht machen kann, durch den Zu-
sammenstoß hie und da zusammenhängender Atome vollendet
werden möge? Man sieht, in welche Sinnlosigkeit man ver-
fällt, wenn man Erzeugung und Erhaltung der Dinge nicht
Gott zuschreiben will.

Mögen wir zugeben, daß aus Atomen werde, was irdisch
ist; soll das etwa auch vom Himmlischen gelten? Die Götter,
sagen sie, sind unvergänglich, ewig, selig, und sie allein sprechen
sie frei von dem Entstehen aus dem Zusammentreffen der
Atome. Denn wenn auch die Götter aus solchen beständen,
so wären sie leicht zu zerstreuen, indem die Keime sich auf-
lösen und in ihre Natur zurückkehren. Wenn also etwas ist,
was die Atome nicht bewirken, warum denken wir nicht das
Übrige ebenso?

Warum erbauten sich die Götter nicht eine Wohnung, ehe
sie jene Anfänge der Welt erzeugten? Freilich, wenn nicht
die Atome durch ihren Zusammenstoß den Himmel gemacht
hätten, würden die Götter noch mitten im Leeren baumeln.

Durch welchen vernünftigen Ratschluß also haben sich die
Atome aus dem verworrenen Haufen gesammelt, daß aus den
einen drunten die Erde sich ballte, darüber der Himmel sich
spannte mit seiner Mannigfaltigkeit von Sternen, herrlicher
als alles, was man auszudenken vermag? Wer diese großen
und erstaunlichen Wunder schaut, kann der glauben, daß sie
ohne Überlegung, ohne Vorsehung, ohne göttliche Vernunft,
vielmehr aus feinen, kleinen Atomen erwachsen seien? Gleicht
es nicht einem Wunder, sowohl daß ein Mensch geboren wurde,
der so etwas behauptete, als auch daß es Leute gab, die
es glaubten, wie Demokritos, der Schüler des Leukipp, oder
Epikur, auf welchen die ganze Sinnlosigkeit jener Quelle nieder-
strömte?

Nach dieser Abweisung der Atomisten wendet sich Lactan-
tius
noch gegen die verwandte Lehre, daß die Welt von

Lactantius: Aus Atomen nichts Himmlisches.
Umriß der Gestalt zu geben, nicht Leben und Empfindung,
geschweige denn Sehen, Hören, Riechen und die übrigen be-
wundernswerten Anwendungen der sichtbaren wie verborgenen
Organe. Welcher Künstler hat ein Menschenherz, eine Stimme
oder die Weisheit selbst herstellen können? Welcher Mensch
mit gesunden Sinnen glaubt, daß das, was der Mensch mit
Vernunft und Überlegung nicht machen kann, durch den Zu-
sammenstoß hie und da zusammenhängender Atome vollendet
werden möge? Man sieht, in welche Sinnlosigkeit man ver-
fällt, wenn man Erzeugung und Erhaltung der Dinge nicht
Gott zuschreiben will.

Mögen wir zugeben, daß aus Atomen werde, was irdisch
ist; soll das etwa auch vom Himmlischen gelten? Die Götter,
sagen sie, sind unvergänglich, ewig, selig, und sie allein sprechen
sie frei von dem Entstehen aus dem Zusammentreffen der
Atome. Denn wenn auch die Götter aus solchen beständen,
so wären sie leicht zu zerstreuen, indem die Keime sich auf-
lösen und in ihre Natur zurückkehren. Wenn also etwas ist,
was die Atome nicht bewirken, warum denken wir nicht das
Übrige ebenso?

Warum erbauten sich die Götter nicht eine Wohnung, ehe
sie jene Anfänge der Welt erzeugten? Freilich, wenn nicht
die Atome durch ihren Zusammenstoß den Himmel gemacht
hätten, würden die Götter noch mitten im Leeren baumeln.

Durch welchen vernünftigen Ratschluß also haben sich die
Atome aus dem verworrenen Haufen gesammelt, daß aus den
einen drunten die Erde sich ballte, darüber der Himmel sich
spannte mit seiner Mannigfaltigkeit von Sternen, herrlicher
als alles, was man auszudenken vermag? Wer diese großen
und erstaunlichen Wunder schaut, kann der glauben, daß sie
ohne Überlegung, ohne Vorsehung, ohne göttliche Vernunft,
vielmehr aus feinen, kleinen Atomen erwachsen seien? Gleicht
es nicht einem Wunder, sowohl daß ein Mensch geboren wurde,
der so etwas behauptete, als auch daß es Leute gab, die
es glaubten, wie Demokritos, der Schüler des Leukipp, oder
Epikur, auf welchen die ganze Sinnlosigkeit jener Quelle nieder-
strömte?

Nach dieser Abweisung der Atomisten wendet sich Lactan-
tius
noch gegen die verwandte Lehre, daß die Welt von

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0041" n="23"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#k">Lactantius</hi>: Aus Atomen nichts Himmlisches.</fw><lb/>
Umriß der Gestalt zu geben, nicht Leben und Empfindung,<lb/>
geschweige denn Sehen, Hören, Riechen und die übrigen be-<lb/>
wundernswerten Anwendungen der sichtbaren wie verborgenen<lb/>
Organe. Welcher Künstler hat ein Menschenherz, eine Stimme<lb/>
oder die Weisheit selbst herstellen können? Welcher Mensch<lb/>
mit gesunden Sinnen glaubt, daß das, was der Mensch mit<lb/>
Vernunft und Überlegung nicht machen kann, durch den Zu-<lb/>
sammenstoß hie und da zusammenhängender Atome vollendet<lb/>
werden möge? Man sieht, in welche Sinnlosigkeit man ver-<lb/>
fällt, wenn man Erzeugung und Erhaltung der Dinge nicht<lb/>
Gott zuschreiben will.</p><lb/>
            <p>Mögen wir zugeben, daß aus Atomen werde, was irdisch<lb/>
ist; soll das etwa auch vom Himmlischen gelten? Die Götter,<lb/>
sagen sie, sind unvergänglich, ewig, selig, und sie allein sprechen<lb/>
sie frei von dem Entstehen aus dem Zusammentreffen der<lb/>
Atome. Denn wenn auch die Götter aus solchen beständen,<lb/>
so wären sie leicht zu zerstreuen, indem die Keime sich auf-<lb/>
lösen und in ihre Natur zurückkehren. Wenn also etwas ist,<lb/>
was die Atome nicht bewirken, warum denken wir nicht das<lb/>
Übrige ebenso?</p><lb/>
            <p>Warum erbauten sich die Götter nicht eine Wohnung, ehe<lb/>
sie jene Anfänge der Welt erzeugten? Freilich, wenn nicht<lb/>
die Atome durch ihren Zusammenstoß den Himmel gemacht<lb/>
hätten, würden die Götter noch mitten im Leeren baumeln.</p><lb/>
            <p>Durch welchen vernünftigen Ratschluß also haben sich die<lb/>
Atome aus dem verworrenen Haufen gesammelt, daß aus den<lb/>
einen drunten die Erde sich ballte, darüber der Himmel sich<lb/>
spannte mit seiner Mannigfaltigkeit von Sternen, herrlicher<lb/>
als alles, was man auszudenken vermag? Wer diese großen<lb/>
und erstaunlichen Wunder schaut, kann der glauben, daß sie<lb/>
ohne Überlegung, ohne Vorsehung, ohne göttliche Vernunft,<lb/>
vielmehr aus feinen, kleinen Atomen erwachsen seien? Gleicht<lb/>
es nicht einem Wunder, sowohl daß ein Mensch geboren wurde,<lb/>
der so etwas behauptete, als auch daß es Leute gab, die<lb/>
es glaubten, wie <hi rendition="#k">Demokritos</hi>, der Schüler des <hi rendition="#k">Leukipp</hi>, oder<lb/><hi rendition="#k">Epikur</hi>, auf welchen die ganze Sinnlosigkeit jener Quelle nieder-<lb/>
strömte?</p><lb/>
            <p>Nach dieser Abweisung der Atomisten wendet sich <hi rendition="#k">Lactan-<lb/>
tius</hi> noch gegen die verwandte Lehre, daß die Welt von<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0041] Lactantius: Aus Atomen nichts Himmlisches. Umriß der Gestalt zu geben, nicht Leben und Empfindung, geschweige denn Sehen, Hören, Riechen und die übrigen be- wundernswerten Anwendungen der sichtbaren wie verborgenen Organe. Welcher Künstler hat ein Menschenherz, eine Stimme oder die Weisheit selbst herstellen können? Welcher Mensch mit gesunden Sinnen glaubt, daß das, was der Mensch mit Vernunft und Überlegung nicht machen kann, durch den Zu- sammenstoß hie und da zusammenhängender Atome vollendet werden möge? Man sieht, in welche Sinnlosigkeit man ver- fällt, wenn man Erzeugung und Erhaltung der Dinge nicht Gott zuschreiben will. Mögen wir zugeben, daß aus Atomen werde, was irdisch ist; soll das etwa auch vom Himmlischen gelten? Die Götter, sagen sie, sind unvergänglich, ewig, selig, und sie allein sprechen sie frei von dem Entstehen aus dem Zusammentreffen der Atome. Denn wenn auch die Götter aus solchen beständen, so wären sie leicht zu zerstreuen, indem die Keime sich auf- lösen und in ihre Natur zurückkehren. Wenn also etwas ist, was die Atome nicht bewirken, warum denken wir nicht das Übrige ebenso? Warum erbauten sich die Götter nicht eine Wohnung, ehe sie jene Anfänge der Welt erzeugten? Freilich, wenn nicht die Atome durch ihren Zusammenstoß den Himmel gemacht hätten, würden die Götter noch mitten im Leeren baumeln. Durch welchen vernünftigen Ratschluß also haben sich die Atome aus dem verworrenen Haufen gesammelt, daß aus den einen drunten die Erde sich ballte, darüber der Himmel sich spannte mit seiner Mannigfaltigkeit von Sternen, herrlicher als alles, was man auszudenken vermag? Wer diese großen und erstaunlichen Wunder schaut, kann der glauben, daß sie ohne Überlegung, ohne Vorsehung, ohne göttliche Vernunft, vielmehr aus feinen, kleinen Atomen erwachsen seien? Gleicht es nicht einem Wunder, sowohl daß ein Mensch geboren wurde, der so etwas behauptete, als auch daß es Leute gab, die es glaubten, wie Demokritos, der Schüler des Leukipp, oder Epikur, auf welchen die ganze Sinnlosigkeit jener Quelle nieder- strömte? Nach dieser Abweisung der Atomisten wendet sich Lactan- tius noch gegen die verwandte Lehre, daß die Welt von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/41
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/41>, abgerufen am 24.11.2024.