Die Geometrie abstrahiert von der sinnlichen Erfüllung des Raumes, insofern sich diese nicht bloß auf Größe und Ge- stalt der Figuren, sondern auf ihre Undurchdringlichkeit und dynamische Wirkung bezieht, welche psychologisch als Tast- gefühl und Muskelempfindung gegeben ist. Die Physik dagegen hat gerade diese Thatsache der sinnlichen Raumerfüllung auf mathematische Begriffe zu bringen. In dieser Bemühung muß sie den Atombegriff erzeugen. Es handelt sich nämlich darum, die den Raum erfüllenden sinnlichen Komplexe als Größen darzustellen. Dies geschieht durch Einführung des Energie- begriffs, welcher jene sinnlichen Wirkungen und ihre Abän- derungen zu messen und gesetzlich zu bestimmen lehrt. Von diesem Begriff kann hier noch nicht gehandelt werden. Aber es wird sich zeigen, daß er zwar für einen Teil der mathema- tischen Physik, nicht aber zur erkenntniskritischen Fundierung der Physik überhaupt ausreicht. Es bedarf der Begriff des physischen Körpers, bevor kausale Beziehungen zwischen den Körpern und ihren Teilen faßbar werden, einer doppelten Fest- setzung, sowohl über die Möglichkeit der Veränderungen im Raume, als auch über die Möglichkeit, für diese Veränderungen ein Subjekt zu haben, von welchem sie ausgesagt werden können. Indem nämlich alle Veränderungen als räumliche Bewegungen dargestellt werden müssen, ergibt sich die Not- wendigkeit, diese Bewegungen an ein Substrat zu knüpfen. Man pflegt die bewegten und dadurch mit der intensiven Größe der Wirkungsfähigkeit ausgestatteten Raumteile als Materie zu bezeichnen. Damit aber der Begriff der räumlichen Bewegung anwendbar ist, müssen die bewegten Teile auch extensive Größe besitzen, d. h. es muß ein Mittel geben, welches be- stimmte Teile des Raumes zu einer geschlossenen Einheit ver- bindet, so daß jedem geometrischen Teil dieser Einheit das- selbe Prädikat der Bewegung, dieselbe intensive Größe der Geschwindigkeit zuerteilt werden kann. Es wird sonst unmög- lich, einen bewegten Teil des Raumes vom andren abzugrenzen und in der Bewegung selbst als mit sich identischen abzu- sondern. Dieses Mittel, welches die intensive Größe der Be- wegung mit der extensiven des Raumes zu einer konstanten Einheit verbindet, ist das Denkmittel der Substanzialität, durch welches ein Teil des Raumes als physische (d. h. mit
Notwendigkeit des Atombegriffs in der Physik.
Die Geometrie abstrahiert von der sinnlichen Erfüllung des Raumes, insofern sich diese nicht bloß auf Größe und Ge- stalt der Figuren, sondern auf ihre Undurchdringlichkeit und dynamische Wirkung bezieht, welche psychologisch als Tast- gefühl und Muskelempfindung gegeben ist. Die Physik dagegen hat gerade diese Thatsache der sinnlichen Raumerfüllung auf mathematische Begriffe zu bringen. In dieser Bemühung muß sie den Atombegriff erzeugen. Es handelt sich nämlich darum, die den Raum erfüllenden sinnlichen Komplexe als Größen darzustellen. Dies geschieht durch Einführung des Energie- begriffs, welcher jene sinnlichen Wirkungen und ihre Abän- derungen zu messen und gesetzlich zu bestimmen lehrt. Von diesem Begriff kann hier noch nicht gehandelt werden. Aber es wird sich zeigen, daß er zwar für einen Teil der mathema- tischen Physik, nicht aber zur erkenntniskritischen Fundierung der Physik überhaupt ausreicht. Es bedarf der Begriff des physischen Körpers, bevor kausale Beziehungen zwischen den Körpern und ihren Teilen faßbar werden, einer doppelten Fest- setzung, sowohl über die Möglichkeit der Veränderungen im Raume, als auch über die Möglichkeit, für diese Veränderungen ein Subjekt zu haben, von welchem sie ausgesagt werden können. Indem nämlich alle Veränderungen als räumliche Bewegungen dargestellt werden müssen, ergibt sich die Not- wendigkeit, diese Bewegungen an ein Substrat zu knüpfen. Man pflegt die bewegten und dadurch mit der intensiven Größe der Wirkungsfähigkeit ausgestatteten Raumteile als Materie zu bezeichnen. Damit aber der Begriff der räumlichen Bewegung anwendbar ist, müssen die bewegten Teile auch extensive Größe besitzen, d. h. es muß ein Mittel geben, welches be- stimmte Teile des Raumes zu einer geschlossenen Einheit ver- bindet, so daß jedem geometrischen Teil dieser Einheit das- selbe Prädikat der Bewegung, dieselbe intensive Größe der Geschwindigkeit zuerteilt werden kann. Es wird sonst unmög- lich, einen bewegten Teil des Raumes vom andren abzugrenzen und in der Bewegung selbst als mit sich identischen abzu- sondern. Dieses Mittel, welches die intensive Größe der Be- wegung mit der extensiven des Raumes zu einer konstanten Einheit verbindet, ist das Denkmittel der Substanzialität, durch welches ein Teil des Raumes als physische (d. h. mit
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Notwendigkeit des Atombegriffs in der Physik.
Die Geometrie abstrahiert von der sinnlichen Erfüllung
des Raumes, insofern sich diese nicht bloß auf Größe und Ge-
stalt der Figuren, sondern auf ihre Undurchdringlichkeit und
dynamische Wirkung bezieht, welche psychologisch als Tast-
gefühl und Muskelempfindung gegeben ist. Die Physik dagegen
hat gerade diese Thatsache der sinnlichen Raumerfüllung auf
mathematische Begriffe zu bringen. In dieser Bemühung muß
sie den Atombegriff erzeugen. Es handelt sich nämlich darum,
die den Raum erfüllenden sinnlichen Komplexe als Größen
darzustellen. Dies geschieht durch Einführung des Energie-
begriffs, welcher jene sinnlichen Wirkungen und ihre Abän-
derungen zu messen und gesetzlich zu bestimmen lehrt. Von
diesem Begriff kann hier noch nicht gehandelt werden. Aber
es wird sich zeigen, daß er zwar für einen Teil der mathema-
tischen Physik, nicht aber zur erkenntniskritischen Fundierung
der Physik überhaupt ausreicht. Es bedarf der Begriff des
physischen Körpers, bevor kausale Beziehungen zwischen den
Körpern und ihren Teilen faßbar werden, einer doppelten Fest-
setzung, sowohl über die Möglichkeit der Veränderungen im
Raume, als auch über die Möglichkeit, für diese Veränderungen
ein Subjekt zu haben, von welchem sie ausgesagt werden
können. Indem nämlich alle Veränderungen als räumliche
Bewegungen dargestellt werden müssen, ergibt sich die Not-
wendigkeit, diese Bewegungen an ein Substrat zu knüpfen.
Man pflegt die bewegten und dadurch mit der intensiven Größe
der Wirkungsfähigkeit ausgestatteten Raumteile als Materie zu
bezeichnen. Damit aber der Begriff der räumlichen Bewegung
anwendbar ist, müssen die bewegten Teile auch extensive
Größe besitzen, d. h. es muß ein Mittel geben, welches be-
stimmte Teile des Raumes zu einer geschlossenen Einheit ver-
bindet, so daß jedem geometrischen Teil dieser Einheit das-
selbe Prädikat der Bewegung, dieselbe intensive Größe der
Geschwindigkeit zuerteilt werden kann. Es wird sonst unmög-
lich, einen bewegten Teil des Raumes vom andren abzugrenzen
und in der Bewegung selbst als mit sich identischen abzu-
sondern. Dieses Mittel, welches die intensive Größe der Be-
wegung mit der extensiven des Raumes zu einer konstanten
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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/402>, abgerufen am 25.11.2024.
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