matisch genauer Kreis existieren können. Hier müßten die reinen mathematischen Formen ihren Platz haben, und der Untersuchung über die Bildung mathematischer Figuren aus Kugeln und Kreisen bedürfte es nicht.
Aber diese Abstraktion vom Körperlichen ist bei Bruno nicht möglich wegen der Allgemeingiltigkeit des Monadenbe- griffs. In dem Augenblicke, in welchem man sich im leeren Raume eine Figur vorstellt, muß dieselbe auch als aus Minimen bestehend vorgestellt werden; die bloße Vorstellung macht sie schon zur physischen Figur. Und dächte man sie sich gar gezeichnet, so müßte sie ja gesehen werden, Licht aber erfor- dert feste Materie, der Raum oder Äther liefert nur den Ort für die leuchtende Materie. Es gibt eben keine mathematischen, sondern nur physische Figuren.1 Darum kann Bruno von den räumlichen Minimen noch äthererfüllte Zwischenräume unter- scheiden und diesen Äther nicht mehr atomistisch fassen. Der Äther soll lediglich die Möglichkeit zur Existenz der Körper dar- stellen. Der Raum als Gegenstand der Mathematik besteht aus Atomen; denn Gestaltung gibt es nur durch die Minima. Der Raum als leerer Raum wird nicht atomistisch gedacht, denn hierbei wird ja gerade von jeder Gestaltung abgesehen.
Es liegt in dieser Lehre eine tiefe Wahrheit und ein grobes Mißverständnis noch ungesichtet zusammen. Die Wahr- heit besteht in der Relativität und erkenntniskritischen Be- deutung des Atombegriffs. In der That ist das Atom nicht ein transcendentes Ding an sich, sondern ein zu den Bedin- gungen der Erkenntnis gehörender Begriff, der dort hervor- tritt, wo wir unser Erkennen auf die empirische Körperwelt richten. Der Mißgriff Brunos besteht aber darin, daß er die Schlüsse, welche für die Materie unumgänglich notwendig sind, auf den (allerdings erfüllten, jedoch als Gegenstand der Mathematik behandelten) Raum anwendet, wo sie nicht nur entbehrlich, sondern absolut haltlos sind. Der Atombegriff gewinnt seine Berechtigung erst dort, wo Mathematik und Physik sich trennen, wo der Unterschied zwischen Raum und Körper bemerklich wird.
1Acrot. art. 11. p. 29.
Das Minimum als Erzeugungsmittel der Gestaltung.
matisch genauer Kreis existieren können. Hier müßten die reinen mathematischen Formen ihren Platz haben, und der Untersuchung über die Bildung mathematischer Figuren aus Kugeln und Kreisen bedürfte es nicht.
Aber diese Abstraktion vom Körperlichen ist bei Bruno nicht möglich wegen der Allgemeingiltigkeit des Monadenbe- griffs. In dem Augenblicke, in welchem man sich im leeren Raume eine Figur vorstellt, muß dieselbe auch als aus Minimen bestehend vorgestellt werden; die bloße Vorstellung macht sie schon zur physischen Figur. Und dächte man sie sich gar gezeichnet, so müßte sie ja gesehen werden, Licht aber erfor- dert feste Materie, der Raum oder Äther liefert nur den Ort für die leuchtende Materie. Es gibt eben keine mathematischen, sondern nur physische Figuren.1 Darum kann Bruno von den räumlichen Minimen noch äthererfüllte Zwischenräume unter- scheiden und diesen Äther nicht mehr atomistisch fassen. Der Äther soll lediglich die Möglichkeit zur Existenz der Körper dar- stellen. Der Raum als Gegenstand der Mathematik besteht aus Atomen; denn Gestaltung gibt es nur durch die Minima. Der Raum als leerer Raum wird nicht atomistisch gedacht, denn hierbei wird ja gerade von jeder Gestaltung abgesehen.
Es liegt in dieser Lehre eine tiefe Wahrheit und ein grobes Mißverständnis noch ungesichtet zusammen. Die Wahr- heit besteht in der Relativität und erkenntniskritischen Be- deutung des Atombegriffs. In der That ist das Atom nicht ein transcendentes Ding an sich, sondern ein zu den Bedin- gungen der Erkenntnis gehörender Begriff, der dort hervor- tritt, wo wir unser Erkennen auf die empirische Körperwelt richten. Der Mißgriff Brunos besteht aber darin, daß er die Schlüsse, welche für die Materie unumgänglich notwendig sind, auf den (allerdings erfüllten, jedoch als Gegenstand der Mathematik behandelten) Raum anwendet, wo sie nicht nur entbehrlich, sondern absolut haltlos sind. Der Atombegriff gewinnt seine Berechtigung erst dort, wo Mathematik und Physik sich trennen, wo der Unterschied zwischen Raum und Körper bemerklich wird.
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Das Minimum als Erzeugungsmittel der Gestaltung.
matisch genauer Kreis existieren können. Hier müßten die
reinen mathematischen Formen ihren Platz haben, und der
Untersuchung über die Bildung mathematischer Figuren aus
Kugeln und Kreisen bedürfte es nicht.
Aber diese Abstraktion vom Körperlichen ist bei Bruno
nicht möglich wegen der Allgemeingiltigkeit des Monadenbe-
griffs. In dem Augenblicke, in welchem man sich im leeren
Raume eine Figur vorstellt, muß dieselbe auch als aus Minimen
bestehend vorgestellt werden; die bloße Vorstellung macht sie
schon zur physischen Figur. Und dächte man sie sich gar
gezeichnet, so müßte sie ja gesehen werden, Licht aber erfor-
dert feste Materie, der Raum oder Äther liefert nur den Ort
für die leuchtende Materie. Es gibt eben keine mathematischen,
sondern nur physische Figuren. 1 Darum kann Bruno von den
räumlichen Minimen noch äthererfüllte Zwischenräume unter-
scheiden und diesen Äther nicht mehr atomistisch fassen. Der
Äther soll lediglich die Möglichkeit zur Existenz der Körper dar-
stellen. Der Raum als Gegenstand der Mathematik
besteht aus Atomen; denn Gestaltung gibt es nur
durch die Minima. Der Raum als leerer Raum wird
nicht atomistisch gedacht, denn hierbei wird ja
gerade von jeder Gestaltung abgesehen.
Es liegt in dieser Lehre eine tiefe Wahrheit und ein
grobes Mißverständnis noch ungesichtet zusammen. Die Wahr-
heit besteht in der Relativität und erkenntniskritischen Be-
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ein transcendentes Ding an sich, sondern ein zu den Bedin-
gungen der Erkenntnis gehörender Begriff, der dort hervor-
tritt, wo wir unser Erkennen auf die empirische Körperwelt
richten. Der Mißgriff Brunos besteht aber darin, daß er die
Schlüsse, welche für die Materie unumgänglich notwendig sind,
auf den (allerdings erfüllten, jedoch als Gegenstand der
Mathematik behandelten) Raum anwendet, wo sie nicht nur
entbehrlich, sondern absolut haltlos sind. Der Atombegriff
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Physik sich trennen, wo der Unterschied zwischen Raum und
Körper bemerklich wird.
1 Acrot. art. 11. p. 29.
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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/401>, abgerufen am 25.11.2024.
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