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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Gesetzlichkeit der Entwickelung.
erkennen, und zwar schloß sich dieselbe an jene Modifikation
an, welche Averroes der Lehre des Aristoteles gegeben hatte.
Die Frage, wie die Form zur Materie, die Individuation aus
der unterschiedslosen Allgemeinheit kommt, hatte Averroes
dahin entschieden, daß die Form aus der Materie educiert
wird, in welcher sie bereits keimartig beschlossen liegt. Diese
Anschauung finden wir nun mit Hilfe der platonischen Lehre
von der Weltseele zu einer vollständigen Theorie der Ent-
wickelung nach Analogie des organischen Lebens ausgestaltet.
Von Nicolaus Cusanus durch Paracelsus und die italienischen
Naturphilosophen bis zu dem Chemiker Helmont zieht sich
dieses Bestreben, der Materie durch das Hineinverlegen des
formgestaltenden Prinzips und die Explikation dieser keim-
artigen Anlage durch einen beseelten und beseelenden Archäus
Selbständigkeit zu verleihen, um Raum zu gewinnen für die
gesetzmäßige Erforschung der Natur. So wird das Ringen
nach Naturerkenntnis und nach allgemeinen Prinzipien der
Physik zugleich bestimmend für die Entwickelung einer be-
sonderen Richtung der Philosophie.

Mit der Wiedererweckung des naturwissenschaftlichen
Interesses im 16. Jahrhundert war der Anstoß gegeben, die
Probleme der Körperwelt in neue Erwägung zu ziehen. Man
hatte erkannt, daß das System der substanziellen Formen die
Bedürfnisse der erweiterten Empirie nicht zu decken ver-
mochte. Der Wechsel der Formen bot nicht mehr als das
bloße Kommen und Gehen der Eigenschaften; das Interesse
der Naturerkenntnis aber verlangte eine durch den Versuch zu
kontrollierende Feststellung dieser Aufeinanderfolge des Ge-
schehens im einzelnen, einen notwendigen kausalen Zusammen-
hang der Erscheinungen. Dieser bedurfte einer neuen Fundierung.

Das Prinzip der Allbeseelung und der Entwickelung aus
der keimartigen Einheit nach Analogie des organischen Lebens
konnte nach einer Richtung hin befriedigen; der Wechsel
der Erscheinungen war garantiert durch eine innere Not-
wendigkeit; alles Gegebene enthält die zukünftigen Zustände
zugleich in sich, und die Tendenz sich zu entfalten ist das
eigentlich Reale im Weltlauf selbst. Damit wird es zwar
denkbar, daß eine Wechselwirkung aller Dinge besteht. Aber
diese Wechselwirkung selbst zu erkennen, zu den Ursachen zu

Laßwitz. 23

Gesetzlichkeit der Entwickelung.
erkennen, und zwar schloß sich dieselbe an jene Modifikation
an, welche Averroes der Lehre des Aristoteles gegeben hatte.
Die Frage, wie die Form zur Materie, die Individuation aus
der unterschiedslosen Allgemeinheit kommt, hatte Averroes
dahin entschieden, daß die Form aus der Materie educiert
wird, in welcher sie bereits keimartig beschlossen liegt. Diese
Anschauung finden wir nun mit Hilfe der platonischen Lehre
von der Weltseele zu einer vollständigen Theorie der Ent-
wickelung nach Analogie des organischen Lebens ausgestaltet.
Von Nicolaus Cusanus durch Paracelsus und die italienischen
Naturphilosophen bis zu dem Chemiker Helmont zieht sich
dieses Bestreben, der Materie durch das Hineinverlegen des
formgestaltenden Prinzips und die Explikation dieser keim-
artigen Anlage durch einen beseelten und beseelenden Archäus
Selbständigkeit zu verleihen, um Raum zu gewinnen für die
gesetzmäßige Erforschung der Natur. So wird das Ringen
nach Naturerkenntnis und nach allgemeinen Prinzipien der
Physik zugleich bestimmend für die Entwickelung einer be-
sonderen Richtung der Philosophie.

Mit der Wiedererweckung des naturwissenschaftlichen
Interesses im 16. Jahrhundert war der Anstoß gegeben, die
Probleme der Körperwelt in neue Erwägung zu ziehen. Man
hatte erkannt, daß das System der substanziellen Formen die
Bedürfnisse der erweiterten Empirie nicht zu decken ver-
mochte. Der Wechsel der Formen bot nicht mehr als das
bloße Kommen und Gehen der Eigenschaften; das Interesse
der Naturerkenntnis aber verlangte eine durch den Versuch zu
kontrollierende Feststellung dieser Aufeinanderfolge des Ge-
schehens im einzelnen, einen notwendigen kausalen Zusammen-
hang der Erscheinungen. Dieser bedurfte einer neuen Fundierung.

Das Prinzip der Allbeseelung und der Entwickelung aus
der keimartigen Einheit nach Analogie des organischen Lebens
konnte nach einer Richtung hin befriedigen; der Wechsel
der Erscheinungen war garantiert durch eine innere Not-
wendigkeit; alles Gegebene enthält die zukünftigen Zustände
zugleich in sich, und die Tendenz sich zu entfalten ist das
eigentlich Reale im Weltlauf selbst. Damit wird es zwar
denkbar, daß eine Wechselwirkung aller Dinge besteht. Aber
diese Wechselwirkung selbst zu erkennen, zu den Ursachen zu

Laßwitz. 23
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[353/0371] Gesetzlichkeit der Entwickelung. erkennen, und zwar schloß sich dieselbe an jene Modifikation an, welche Averroes der Lehre des Aristoteles gegeben hatte. Die Frage, wie die Form zur Materie, die Individuation aus der unterschiedslosen Allgemeinheit kommt, hatte Averroes dahin entschieden, daß die Form aus der Materie educiert wird, in welcher sie bereits keimartig beschlossen liegt. Diese Anschauung finden wir nun mit Hilfe der platonischen Lehre von der Weltseele zu einer vollständigen Theorie der Ent- wickelung nach Analogie des organischen Lebens ausgestaltet. Von Nicolaus Cusanus durch Paracelsus und die italienischen Naturphilosophen bis zu dem Chemiker Helmont zieht sich dieses Bestreben, der Materie durch das Hineinverlegen des formgestaltenden Prinzips und die Explikation dieser keim- artigen Anlage durch einen beseelten und beseelenden Archäus Selbständigkeit zu verleihen, um Raum zu gewinnen für die gesetzmäßige Erforschung der Natur. So wird das Ringen nach Naturerkenntnis und nach allgemeinen Prinzipien der Physik zugleich bestimmend für die Entwickelung einer be- sonderen Richtung der Philosophie. Mit der Wiedererweckung des naturwissenschaftlichen Interesses im 16. Jahrhundert war der Anstoß gegeben, die Probleme der Körperwelt in neue Erwägung zu ziehen. Man hatte erkannt, daß das System der substanziellen Formen die Bedürfnisse der erweiterten Empirie nicht zu decken ver- mochte. Der Wechsel der Formen bot nicht mehr als das bloße Kommen und Gehen der Eigenschaften; das Interesse der Naturerkenntnis aber verlangte eine durch den Versuch zu kontrollierende Feststellung dieser Aufeinanderfolge des Ge- schehens im einzelnen, einen notwendigen kausalen Zusammen- hang der Erscheinungen. Dieser bedurfte einer neuen Fundierung. Das Prinzip der Allbeseelung und der Entwickelung aus der keimartigen Einheit nach Analogie des organischen Lebens konnte nach einer Richtung hin befriedigen; der Wechsel der Erscheinungen war garantiert durch eine innere Not- wendigkeit; alles Gegebene enthält die zukünftigen Zustände zugleich in sich, und die Tendenz sich zu entfalten ist das eigentlich Reale im Weltlauf selbst. Damit wird es zwar denkbar, daß eine Wechselwirkung aller Dinge besteht. Aber diese Wechselwirkung selbst zu erkennen, zu den Ursachen zu Laßwitz. 23

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/371>, abgerufen am 25.11.2024.