Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Stoiker. Plotin: Weltseele.
Häßliche, im Gegensatz zu dem absolut Realen, welches das
Schöne und Gute ist. Die Körperlichkeit erscheint als ein Mangel
an Realität, und das Fehlen des Seins macht die Dinge in ent-
sprechendem Verhältnis körperlicher.

Damit nun jene reine Ideenwelt Wirkungen in der Materie
hervorzurufen vermag, bedarf es einer Vermittelung zwischen
dem Geiste und der Körperwelt, eines Agens, welches zugleich
ungeteilt und geistiger Natur ist, aber sich doch mit der Be-
dingung der Teilbarkeit, der Materie, berührt und dadurch die
Mannigfaltigkeit der Erscheinungswelt erzeugt. Schon Platon
hatte, wie wir sahen, als ein solches dynamisches Prinzip die
Weltseele eingeführt. Eine besondere Ausbildung hatten die
Stoiker diesem Gedanken gegeben. Bei ihnen ist die Welt-
seele, wie alles, durchaus körperlich, aber der feinste Stoff,
das Pneuma, welches alle Dinge durchdringt und als gestaltende
und erzeugende Kraft in jedem Einzelnen in verschiedener
Reinheit und Stärke vorhanden ist. Unter Aufnahme der
Lehre des Anaximenes von der Verdichtung und Verdünnung
machen sie die Weltseele zu dem Mittel, das durch seine Ver-
dichtung und Verdünnung die Elemente erzeugt und den
Dingen die Spannung (#) gibt, die innere Intensität ihres
Wesens, die ihre Belebung und Beseelung ausmacht.1

Nicht unberührt von diesem Einfluß, bildet der Neu-
platonismus, insbesondere Plotin, die Theorie der Weltseele
aus, so daß es dann nur ein Schritt ist, die Weltseele als den
beseelten Raum selbst zu denken. Wie aus dem Urwesen der
Nus, so geht wieder aus dem Nus ein drittes, die Seele hervor.
Die einzelnen Seelen sind alle in der unendlichen, umfassenden
Weltseele vorhanden, welche zum körperlichen Universum der
Welt in demselben bestimmten Verhältnisse steht, wie die
Einzelseele zum Einzelkörper. Nicht die Seele tritt in den
Körper ein, sondern der Körper in die Seele; diese ist ein
Ganzes, ohne Quantität, ohne Masse; und indem der Körper
in sie eintritt, nimmt er an der Welt des Lebens teil, so daß
alle die verschiedenen Körper beseelt und die Seele selbst
doch eine ungeteilte ist. Die Weltseele erzeugt die Zeit. "Die
Zeit ist das Leben der Seele, betrachtet in der Bewegung,

1 Vgl. L. Stein, Stoa. I. S. 88, 89. S. auch oben S. 220.

Stoiker. Plotin: Weltseele.
Häßliche, im Gegensatz zu dem absolut Realen, welches das
Schöne und Gute ist. Die Körperlichkeit erscheint als ein Mangel
an Realität, und das Fehlen des Seins macht die Dinge in ent-
sprechendem Verhältnis körperlicher.

Damit nun jene reine Ideenwelt Wirkungen in der Materie
hervorzurufen vermag, bedarf es einer Vermittelung zwischen
dem Geiste und der Körperwelt, eines Agens, welches zugleich
ungeteilt und geistiger Natur ist, aber sich doch mit der Be-
dingung der Teilbarkeit, der Materie, berührt und dadurch die
Mannigfaltigkeit der Erscheinungswelt erzeugt. Schon Platon
hatte, wie wir sahen, als ein solches dynamisches Prinzip die
Weltseele eingeführt. Eine besondere Ausbildung hatten die
Stoiker diesem Gedanken gegeben. Bei ihnen ist die Welt-
seele, wie alles, durchaus körperlich, aber der feinste Stoff,
das Pneuma, welches alle Dinge durchdringt und als gestaltende
und erzeugende Kraft in jedem Einzelnen in verschiedener
Reinheit und Stärke vorhanden ist. Unter Aufnahme der
Lehre des Anaximenes von der Verdichtung und Verdünnung
machen sie die Weltseele zu dem Mittel, das durch seine Ver-
dichtung und Verdünnung die Elemente erzeugt und den
Dingen die Spannung (#) gibt, die innere Intensität ihres
Wesens, die ihre Belebung und Beseelung ausmacht.1

Nicht unberührt von diesem Einfluß, bildet der Neu-
platonismus, insbesondere Plotin, die Theorie der Weltseele
aus, so daß es dann nur ein Schritt ist, die Weltseele als den
beseelten Raum selbst zu denken. Wie aus dem Urwesen der
Nus, so geht wieder aus dem Nus ein drittes, die Seele hervor.
Die einzelnen Seelen sind alle in der unendlichen, umfassenden
Weltseele vorhanden, welche zum körperlichen Universum der
Welt in demselben bestimmten Verhältnisse steht, wie die
Einzelseele zum Einzelkörper. Nicht die Seele tritt in den
Körper ein, sondern der Körper in die Seele; diese ist ein
Ganzes, ohne Quantität, ohne Masse; und indem der Körper
in sie eintritt, nimmt er an der Welt des Lebens teil, so daß
alle die verschiedenen Körper beseelt und die Seele selbst
doch eine ungeteilte ist. Die Weltseele erzeugt die Zeit. „Die
Zeit ist das Leben der Seele, betrachtet in der Bewegung,

1 Vgl. L. Stein, Stoa. I. S. 88, 89. S. auch oben S. 220.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0284" n="266"/><fw place="top" type="header">Stoiker. <hi rendition="#k">Plotin</hi>: Weltseele.</fw><lb/>
Häßliche, im Gegensatz zu dem absolut Realen, welches das<lb/>
Schöne und Gute ist. Die Körperlichkeit erscheint als ein Mangel<lb/>
an Realität, und das Fehlen des Seins macht die Dinge in ent-<lb/>
sprechendem Verhältnis körperlicher.</p><lb/>
            <p>Damit nun jene reine Ideenwelt Wirkungen in der Materie<lb/>
hervorzurufen vermag, bedarf es einer Vermittelung zwischen<lb/>
dem Geiste und der Körperwelt, eines Agens, welches zugleich<lb/>
ungeteilt und geistiger Natur ist, aber sich doch mit der Be-<lb/>
dingung der Teilbarkeit, der Materie, berührt und dadurch die<lb/>
Mannigfaltigkeit der Erscheinungswelt erzeugt. Schon <hi rendition="#k">Platon</hi><lb/>
hatte, wie wir sahen, als ein solches dynamisches Prinzip die<lb/>
Weltseele eingeführt. Eine besondere Ausbildung hatten die<lb/><hi rendition="#g">Stoiker</hi> diesem Gedanken gegeben. Bei ihnen ist die Welt-<lb/>
seele, wie alles, durchaus körperlich, aber der feinste Stoff,<lb/>
das <hi rendition="#i">Pneuma</hi>, welches alle Dinge durchdringt und als gestaltende<lb/>
und erzeugende Kraft in jedem Einzelnen in verschiedener<lb/>
Reinheit und Stärke vorhanden ist. Unter Aufnahme der<lb/>
Lehre des <hi rendition="#k">Anaximenes</hi> von der Verdichtung und Verdünnung<lb/>
machen sie die Weltseele zu dem Mittel, das durch seine Ver-<lb/>
dichtung und Verdünnung die Elemente erzeugt und den<lb/>
Dingen die Spannung <hi rendition="#i">(</hi>#<hi rendition="#i">)</hi> gibt, die innere Intensität ihres<lb/>
Wesens, die ihre Belebung und Beseelung ausmacht.<note place="foot" n="1">Vgl. L. <hi rendition="#k">Stein</hi>, <hi rendition="#i">Stoa.</hi> I. S. 88, 89. S. auch oben S. 220.</note></p><lb/>
            <p>Nicht unberührt von diesem Einfluß, bildet der Neu-<lb/>
platonismus, insbesondere <hi rendition="#k">Plotin</hi>, die Theorie der Weltseele<lb/>
aus, so daß es dann nur ein Schritt ist, die Weltseele als den<lb/>
beseelten Raum selbst zu denken. Wie aus dem Urwesen der<lb/>
Nus, so geht wieder aus dem Nus ein drittes, die Seele hervor.<lb/>
Die einzelnen Seelen sind alle in der unendlichen, umfassenden<lb/>
Weltseele vorhanden, welche zum körperlichen Universum der<lb/>
Welt in demselben bestimmten Verhältnisse steht, wie die<lb/>
Einzelseele zum Einzelkörper. Nicht die Seele tritt in den<lb/>
Körper ein, sondern der Körper in die Seele; diese ist ein<lb/>
Ganzes, ohne Quantität, ohne Masse; und indem der Körper<lb/>
in sie eintritt, nimmt er an der Welt des Lebens teil, so daß<lb/>
alle die verschiedenen Körper beseelt und die Seele selbst<lb/>
doch eine ungeteilte ist. Die Weltseele erzeugt die Zeit. &#x201E;Die<lb/>
Zeit ist das Leben der Seele, betrachtet in der Bewegung,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[266/0284] Stoiker. Plotin: Weltseele. Häßliche, im Gegensatz zu dem absolut Realen, welches das Schöne und Gute ist. Die Körperlichkeit erscheint als ein Mangel an Realität, und das Fehlen des Seins macht die Dinge in ent- sprechendem Verhältnis körperlicher. Damit nun jene reine Ideenwelt Wirkungen in der Materie hervorzurufen vermag, bedarf es einer Vermittelung zwischen dem Geiste und der Körperwelt, eines Agens, welches zugleich ungeteilt und geistiger Natur ist, aber sich doch mit der Be- dingung der Teilbarkeit, der Materie, berührt und dadurch die Mannigfaltigkeit der Erscheinungswelt erzeugt. Schon Platon hatte, wie wir sahen, als ein solches dynamisches Prinzip die Weltseele eingeführt. Eine besondere Ausbildung hatten die Stoiker diesem Gedanken gegeben. Bei ihnen ist die Welt- seele, wie alles, durchaus körperlich, aber der feinste Stoff, das Pneuma, welches alle Dinge durchdringt und als gestaltende und erzeugende Kraft in jedem Einzelnen in verschiedener Reinheit und Stärke vorhanden ist. Unter Aufnahme der Lehre des Anaximenes von der Verdichtung und Verdünnung machen sie die Weltseele zu dem Mittel, das durch seine Ver- dichtung und Verdünnung die Elemente erzeugt und den Dingen die Spannung (#) gibt, die innere Intensität ihres Wesens, die ihre Belebung und Beseelung ausmacht. 1 Nicht unberührt von diesem Einfluß, bildet der Neu- platonismus, insbesondere Plotin, die Theorie der Weltseele aus, so daß es dann nur ein Schritt ist, die Weltseele als den beseelten Raum selbst zu denken. Wie aus dem Urwesen der Nus, so geht wieder aus dem Nus ein drittes, die Seele hervor. Die einzelnen Seelen sind alle in der unendlichen, umfassenden Weltseele vorhanden, welche zum körperlichen Universum der Welt in demselben bestimmten Verhältnisse steht, wie die Einzelseele zum Einzelkörper. Nicht die Seele tritt in den Körper ein, sondern der Körper in die Seele; diese ist ein Ganzes, ohne Quantität, ohne Masse; und indem der Körper in sie eintritt, nimmt er an der Welt des Lebens teil, so daß alle die verschiedenen Körper beseelt und die Seele selbst doch eine ungeteilte ist. Die Weltseele erzeugt die Zeit. „Die Zeit ist das Leben der Seele, betrachtet in der Bewegung, 1 Vgl. L. Stein, Stoa. I. S. 88, 89. S. auch oben S. 220.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/284
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/284>, abgerufen am 28.11.2024.