Zunächst zeigte sich seit der Mitte des 15. Jahrhunderts eine Veränderung in der Naturbetrachtung, die an sich zwar im Gegensatz stand zu den Prinzipien, auf welche sich später der wirkliche Fortschritt einer wissenschaftlichen Physik grün- dete, aber doch eins der wichtigsten Mittel zum Umsturze der aristotelischen Auffassung wurde. Diese Veränderung war die Folge des griechischen Einflusses auf die Entwickelung der Philosophie im Abendlande, der Einführung griechischer Werke und der Einwanderung gelehrter Griechen; es ist die Erneuerung des Platonismus oder vielmehr des Neuplato- mus, welche in den peripatetischen Gedankenkreis umge- staltend eindringt. Für eine neue Auffassung der Natur liefert dieselbe zwei vielversprechende Gesichtspunkte, den Begriff einer Entwickelung der Vielheit und Mannig- faltigkeit der Sinnenwelt aus der Einheit und Einfachheit der Idee, und damit im Zusammenhange den Begriff der Weltseele, der allgemeinen innerlichen Belebtheit des Uni- versums. Es ist hier der Ort, kurz die Gedanken zusammen- zustellen, welche das Altertum in dieser Hinsicht denen darbot, die auf das Studium der platonischen Schulen zurück- gingen, um die Grundlagen einer neuen Naturerklärung zu finden. Wir werden alsdann sehen, wie die Naturphilosophie dieselben verarbeitete und welchen Einfluß jene Begriffe auf die Ge- schichte der allgemeinen Physik gewannen. Was von jenen Lehren rein platonisch ist, was den einzelnen Vertretern des Neuplatonismus oder der Verschmelzung mit andern Systemen zukommt, das braucht hier nicht im einzelnen untersucht zu werden, wo nur die Gesamtwirkung dieser philosophischen Richtung in Betracht fällt.1
Der Neuplatonismus hatte sich allerdings mit der Physik am wenigsten beschäftigt und die physikalischen Erklärungen direkt verworfen. Aber gerade für die metaphysische Grundfrage nach dem Prinzip des Zusammenhangs der Dinge schien er eine Antwort zu haben. Es handelte sich dabei einerseits um die Entstehung der Dinge und andrerseits um ihre Wechselwirkung. Wie ein einziges,
1 Über das Folgende vgl. außer den betreffenden Abschnitten bei Zeller, III B, insbes. Arth. Richter, Die Theologie und Physik des Plotin, Halle 1867. Für Plotin benutze ich die Ausgabe von H. F. Müller, Berol. 1878.
Neuplatonismus: Entwickelung. Weltseele.
Zunächst zeigte sich seit der Mitte des 15. Jahrhunderts eine Veränderung in der Naturbetrachtung, die an sich zwar im Gegensatz stand zu den Prinzipien, auf welche sich später der wirkliche Fortschritt einer wissenschaftlichen Physik grün- dete, aber doch eins der wichtigsten Mittel zum Umsturze der aristotelischen Auffassung wurde. Diese Veränderung war die Folge des griechischen Einflusses auf die Entwickelung der Philosophie im Abendlande, der Einführung griechischer Werke und der Einwanderung gelehrter Griechen; es ist die Erneuerung des Platonismus oder vielmehr des Neuplato- mus, welche in den peripatetischen Gedankenkreis umge- staltend eindringt. Für eine neue Auffassung der Natur liefert dieselbe zwei vielversprechende Gesichtspunkte, den Begriff einer Entwickelung der Vielheit und Mannig- faltigkeit der Sinnenwelt aus der Einheit und Einfachheit der Idee, und damit im Zusammenhange den Begriff der Weltseele, der allgemeinen innerlichen Belebtheit des Uni- versums. Es ist hier der Ort, kurz die Gedanken zusammen- zustellen, welche das Altertum in dieser Hinsicht denen darbot, die auf das Studium der platonischen Schulen zurück- gingen, um die Grundlagen einer neuen Naturerklärung zu finden. Wir werden alsdann sehen, wie die Naturphilosophie dieselben verarbeitete und welchen Einfluß jene Begriffe auf die Ge- schichte der allgemeinen Physik gewannen. Was von jenen Lehren rein platonisch ist, was den einzelnen Vertretern des Neuplatonismus oder der Verschmelzung mit andern Systemen zukommt, das braucht hier nicht im einzelnen untersucht zu werden, wo nur die Gesamtwirkung dieser philosophischen Richtung in Betracht fällt.1
Der Neuplatonismus hatte sich allerdings mit der Physik am wenigsten beschäftigt und die physikalischen Erklärungen direkt verworfen. Aber gerade für die metaphysische Grundfrage nach dem Prinzip des Zusammenhangs der Dinge schien er eine Antwort zu haben. Es handelte sich dabei einerseits um die Entstehung der Dinge und andrerseits um ihre Wechselwirkung. Wie ein einziges,
1 Über das Folgende vgl. außer den betreffenden Abschnitten bei Zeller, III B, insbes. Arth. Richter, Die Theologie und Physik des Plotin, Halle 1867. Für Plotin benutze ich die Ausgabe von H. F. Müller, Berol. 1878.
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Neuplatonismus: Entwickelung. Weltseele.
Zunächst zeigte sich seit der Mitte des 15. Jahrhunderts
eine Veränderung in der Naturbetrachtung, die an sich zwar
im Gegensatz stand zu den Prinzipien, auf welche sich später
der wirkliche Fortschritt einer wissenschaftlichen Physik grün-
dete, aber doch eins der wichtigsten Mittel zum Umsturze der
aristotelischen Auffassung wurde. Diese Veränderung war die
Folge des griechischen Einflusses auf die Entwickelung der
Philosophie im Abendlande, der Einführung griechischer
Werke und der Einwanderung gelehrter Griechen; es ist
die Erneuerung des Platonismus oder vielmehr des Neuplato-
mus, welche in den peripatetischen Gedankenkreis umge-
staltend eindringt. Für eine neue Auffassung der Natur
liefert dieselbe zwei vielversprechende Gesichtspunkte, den
Begriff einer Entwickelung der Vielheit und Mannig-
faltigkeit der Sinnenwelt aus der Einheit und Einfachheit
der Idee, und damit im Zusammenhange den Begriff der
Weltseele, der allgemeinen innerlichen Belebtheit des Uni-
versums. Es ist hier der Ort, kurz die Gedanken zusammen-
zustellen, welche das Altertum in dieser Hinsicht denen
darbot, die auf das Studium der platonischen Schulen zurück-
gingen, um die Grundlagen einer neuen Naturerklärung zu finden.
Wir werden alsdann sehen, wie die Naturphilosophie dieselben
verarbeitete und welchen Einfluß jene Begriffe auf die Ge-
schichte der allgemeinen Physik gewannen. Was von jenen
Lehren rein platonisch ist, was den einzelnen Vertretern des
Neuplatonismus oder der Verschmelzung mit andern Systemen
zukommt, das braucht hier nicht im einzelnen untersucht zu
werden, wo nur die Gesamtwirkung dieser philosophischen
Richtung in Betracht fällt. 1
Der Neuplatonismus hatte sich allerdings mit der Physik am
wenigsten beschäftigt und die physikalischen Erklärungen direkt
verworfen. Aber gerade für die metaphysische Grundfrage nach
dem Prinzip des Zusammenhangs der Dinge schien er eine Antwort
zu haben. Es handelte sich dabei einerseits um die Entstehung der
Dinge und andrerseits um ihre Wechselwirkung. Wie ein einziges,
1 Über das Folgende vgl. außer den betreffenden Abschnitten bei Zeller,
III B, insbes. Arth. Richter, Die Theologie und Physik des Plotin, Halle 1867.
Für Plotin benutze ich die Ausgabe von H. F. Müller, Berol. 1878.
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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/282>, abgerufen am 24.11.2024.
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