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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Wichtigkeit der Mischungsfrage.
ist ein Aggregat von so vielen Substanzen, als Atome oder
Elemente in demselben sich verbunden haben. Damit ist dann
aber auch die thomistische Lehre und überhaupt die scholastische
Körperlehre auf die Seite geschoben." "Da nun gerade in der
Lehre über das Vorhandensein der Elemente in den zusammen-
gesetzten Körpern die scholastische Lehre gipfelt, so ist eine
Abweichung hierin" (nämlich von der thomistischen Auffassung)
"soviel, als ein Aufgeben der peripatetischen Lehre."1

Hiernach ist es klar, daß in der Frage nach dem Begriff
der chemischen Verbindung der Gipfelpunkt der scholastischen
Physik zu finden ist und daß die Geschichte der Korpuskular-
lehre diese Spielereien mit den Begriffen von Materie und
Form nicht stillschweigend übergehen darf.2

2. Die Geschichte der Frage nach dem Beharren der Elemente
in der Verbindung.

Es läßt sich nicht leugnen, daß die Behandlung der er-
wähnten Frage bei Aristoteles eine gewisse Unklarheit ein-
schliefst, welche zur Kommentierung auffordert; wie gezeigt,
handelt es sich namentlich darum, die von Aristoteles zuge-
standene Thatsache, daß die Elemente in den Verbindungen,
wenn auch in den Eigenschaften verändert, doch nicht unter-
gehen,
in Übereinstimmung mit der Lehre zu bringen, daß
die "Mischung" eine gleichartige, homogene Masse sei.
Trotzdem gehen die älteren Kommentatoren des Aristoteles
auf diese Frage nicht näher ein und nirgends über Aristoteles

1 M. Schneid. Die Körperlehre des Johannes Duns Scotus und ihr Ver-
hältnis zum Thomismus und Atomismus.
Mainz 1879. S. 78.
2 Über die Bedeutung, welche gerade diese Fragen in der katholischen
Welt in letzter Zeit wieder gewonnen haben, führe ich noch die Worte
Schneids, a. a. O. S. 1, an: "Eine Lehre, die man vor noch nicht langer Zeit
selbst in katholischen Schulen als eine scholastische Spitzfindigkeit erklärte, ist
das Objekt des heftigsten Kampfes geworden. An der neugegründeten katho-
lischen Universität zu Poitiers teilt diese Lehre, wie uns Briefe berichten,
Lehrer und Schüler in zwei Parteien. Die einen halten zur alten Lehre, daß
die Körper aus Materie und Form bestehen, die andern lassen die Körper im
Sinne der modernen Chemie und Physik aus Atomen zusammengesetzt sein.
Viele Streitschriften sind in der jüngsten Zeit in Frankreich, Italien und auch
in Deutschland erschienen. Der Streit ist so heftig geworden, daß selbst der
h. Stuhl beschwichtigend einschreiten zu müssen glaubte."

Wichtigkeit der Mischungsfrage.
ist ein Aggregat von so vielen Substanzen, als Atome oder
Elemente in demselben sich verbunden haben. Damit ist dann
aber auch die thomistische Lehre und überhaupt die scholastische
Körperlehre auf die Seite geschoben.‟ „Da nun gerade in der
Lehre über das Vorhandensein der Elemente in den zusammen-
gesetzten Körpern die scholastische Lehre gipfelt, so ist eine
Abweichung hierin‟ (nämlich von der thomistischen Auffassung)
„soviel, als ein Aufgeben der peripatetischen Lehre.‟1

Hiernach ist es klar, daß in der Frage nach dem Begriff
der chemischen Verbindung der Gipfelpunkt der scholastischen
Physik zu finden ist und daß die Geschichte der Korpuskular-
lehre diese Spielereien mit den Begriffen von Materie und
Form nicht stillschweigend übergehen darf.2

2. Die Geschichte der Frage nach dem Beharren der Elemente
in der Verbindung.

Es läßt sich nicht leugnen, daß die Behandlung der er-
wähnten Frage bei Aristoteles eine gewisse Unklarheit ein-
schliefst, welche zur Kommentierung auffordert; wie gezeigt,
handelt es sich namentlich darum, die von Aristoteles zuge-
standene Thatsache, daß die Elemente in den Verbindungen,
wenn auch in den Eigenschaften verändert, doch nicht unter-
gehen,
in Übereinstimmung mit der Lehre zu bringen, daß
die „Mischung‟ eine gleichartige, homogene Masse sei.
Trotzdem gehen die älteren Kommentatoren des Aristoteles
auf diese Frage nicht näher ein und nirgends über Aristoteles

1 M. Schneid. Die Körperlehre des Johannes Duns Scotus und ihr Ver-
hältnis zum Thomismus und Atomismus.
Mainz 1879. S. 78.
2 Über die Bedeutung, welche gerade diese Fragen in der katholischen
Welt in letzter Zeit wieder gewonnen haben, führe ich noch die Worte
Schneids, a. a. O. S. 1, an: „Eine Lehre, die man vor noch nicht langer Zeit
selbst in katholischen Schulen als eine scholastische Spitzfindigkeit erklärte, ist
das Objekt des heftigsten Kampfes geworden. An der neugegründeten katho-
lischen Universität zu Poitiers teilt diese Lehre, wie uns Briefe berichten,
Lehrer und Schüler in zwei Parteien. Die einen halten zur alten Lehre, daß
die Körper aus Materie und Form bestehen, die andern lassen die Körper im
Sinne der modernen Chemie und Physik aus Atomen zusammengesetzt sein.
Viele Streitschriften sind in der jüngsten Zeit in Frankreich, Italien und auch
in Deutschland erschienen. Der Streit ist so heftig geworden, daß selbst der
h. Stuhl beschwichtigend einschreiten zu müssen glaubte.‟
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[239/0257] Wichtigkeit der Mischungsfrage. ist ein Aggregat von so vielen Substanzen, als Atome oder Elemente in demselben sich verbunden haben. Damit ist dann aber auch die thomistische Lehre und überhaupt die scholastische Körperlehre auf die Seite geschoben.‟ „Da nun gerade in der Lehre über das Vorhandensein der Elemente in den zusammen- gesetzten Körpern die scholastische Lehre gipfelt, so ist eine Abweichung hierin‟ (nämlich von der thomistischen Auffassung) „soviel, als ein Aufgeben der peripatetischen Lehre.‟ 1 Hiernach ist es klar, daß in der Frage nach dem Begriff der chemischen Verbindung der Gipfelpunkt der scholastischen Physik zu finden ist und daß die Geschichte der Korpuskular- lehre diese Spielereien mit den Begriffen von Materie und Form nicht stillschweigend übergehen darf. 2 2. Die Geschichte der Frage nach dem Beharren der Elemente in der Verbindung. Es läßt sich nicht leugnen, daß die Behandlung der er- wähnten Frage bei Aristoteles eine gewisse Unklarheit ein- schliefst, welche zur Kommentierung auffordert; wie gezeigt, handelt es sich namentlich darum, die von Aristoteles zuge- standene Thatsache, daß die Elemente in den Verbindungen, wenn auch in den Eigenschaften verändert, doch nicht unter- gehen, in Übereinstimmung mit der Lehre zu bringen, daß die „Mischung‟ eine gleichartige, homogene Masse sei. Trotzdem gehen die älteren Kommentatoren des Aristoteles auf diese Frage nicht näher ein und nirgends über Aristoteles 1 M. Schneid. Die Körperlehre des Johannes Duns Scotus und ihr Ver- hältnis zum Thomismus und Atomismus. Mainz 1879. S. 78. 2 Über die Bedeutung, welche gerade diese Fragen in der katholischen Welt in letzter Zeit wieder gewonnen haben, führe ich noch die Worte Schneids, a. a. O. S. 1, an: „Eine Lehre, die man vor noch nicht langer Zeit selbst in katholischen Schulen als eine scholastische Spitzfindigkeit erklärte, ist das Objekt des heftigsten Kampfes geworden. An der neugegründeten katho- lischen Universität zu Poitiers teilt diese Lehre, wie uns Briefe berichten, Lehrer und Schüler in zwei Parteien. Die einen halten zur alten Lehre, daß die Körper aus Materie und Form bestehen, die andern lassen die Körper im Sinne der modernen Chemie und Physik aus Atomen zusammengesetzt sein. Viele Streitschriften sind in der jüngsten Zeit in Frankreich, Italien und auch in Deutschland erschienen. Der Streit ist so heftig geworden, daß selbst der h. Stuhl beschwichtigend einschreiten zu müssen glaubte.‟

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/257>, abgerufen am 24.11.2024.