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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Korpuskulartheorie der Mediziner.
wir dafür in ihr das ausgeprägte Vorbild der Korpuskular-
theorie des 17. Jahrhunderts, eine Atomistik, welche nicht mehr
an ein bestimmtes philosophisches System gebunden ist, aber
wohlgeeignet, als Grundlage physikalischer Erklärung gebraucht
zu werden. Die Schule der "methodischen" Ärzte hat die Tra-
dition dieser Korpuskulartheorie in ihrer rein physikalischen
Bedeutung aufrecht erhalten und dem Humorismus Galens und
der Araber gegenüber immer wieder betont.1

Daher haben wir hier einen jener Nebenwege entdeckt,
auf welchem korpuskulartheoretische Gedanken zur Neuzeit
hinüberwanderten, während Aristoteles die große Heerstraße
der Philosophie besetzt hielt. Caelius Aurelianus, derjenige
Methodiker, welchem wir die einzige ausführliche Nachricht
über das System und die Atomistik des Asklepiades verdanken,
hat ein ausführliches Lehrbuch hinterlassen, welches das ganze
Mittelalter hindurch im Gebrauch und neben dem Herbarium
des Dioskorides und den Werken des Hippokrates und Galen
den Mönchen besonders empfohlen war.2 So liegt hier eine stete
Tradition atomistischer Lehren vor, welche für die Mediziner
als theoretische Grundlage eine Autorität besaß, die der von
Aristoteles verworfenen philosophischen Atomistik vollständig
abging.

Eine weitere Anwendung der Korpuskulartheorie finden
wir im Altertum bei dem berühmten Mechaniker Heron von
Alexandrien
(um 100 v. Chr.).3 Ihm ist der Gegensatz zwischen
der logischen Behandlungsweise der Phänomene durch die Philo-
sophen und der auf Beobachtung der sinnlichen Dinge durch
die empirischen Mechaniker beruhenden Erklärungsart voll-
ständig zum Bewußtsein gekommen.4 Die Erscheinungen der
Verdichtung und Verdünnung der Luft und andre Vorgänge
sind ihm nur durch die Annahme erklärlich, daß alle Körper
aus kleinen Körpern (#) bestehen, zwischen
denen leere Räume eingestreut sich befinden, die kleiner sind

1 S. 2. Buch, 6. Abschn.
2 Cassiodorus, De Instit. divin. liter. cap. 31. Op. ed. Garetus. 1679.
Tom. II, p. 556: Legite Hippocratem atque Galenum Latina lingua conver-
sos .... deinde Aurelii Coelii de medicina ...
3 Über die Zeit desselben S. Cantor, Gesch. d. Math. S. 313, 314.
4 Pneumatica. In Veterum mathematicorum opera. Paris 1693. p. 145.

Korpuskulartheorie der Mediziner.
wir dafür in ihr das ausgeprägte Vorbild der Korpuskular-
theorie des 17. Jahrhunderts, eine Atomistik, welche nicht mehr
an ein bestimmtes philosophisches System gebunden ist, aber
wohlgeeignet, als Grundlage physikalischer Erklärung gebraucht
zu werden. Die Schule der „methodischen‟ Ärzte hat die Tra-
dition dieser Korpuskulartheorie in ihrer rein physikalischen
Bedeutung aufrecht erhalten und dem Humorismus Galens und
der Araber gegenüber immer wieder betont.1

Daher haben wir hier einen jener Nebenwege entdeckt,
auf welchem korpuskulartheoretische Gedanken zur Neuzeit
hinüberwanderten, während Aristoteles die große Heerstraße
der Philosophie besetzt hielt. Caelius Aurelianus, derjenige
Methodiker, welchem wir die einzige ausführliche Nachricht
über das System und die Atomistik des Asklepiades verdanken,
hat ein ausführliches Lehrbuch hinterlassen, welches das ganze
Mittelalter hindurch im Gebrauch und neben dem Herbarium
des Dioskorides und den Werken des Hippokrates und Galen
den Mönchen besonders empfohlen war.2 So liegt hier eine stete
Tradition atomistischer Lehren vor, welche für die Mediziner
als theoretische Grundlage eine Autorität besaß, die der von
Aristoteles verworfenen philosophischen Atomistik vollständig
abging.

Eine weitere Anwendung der Korpuskulartheorie finden
wir im Altertum bei dem berühmten Mechaniker Heron von
Alexandrien
(um 100 v. Chr.).3 Ihm ist der Gegensatz zwischen
der logischen Behandlungsweise der Phänomene durch die Philo-
sophen und der auf Beobachtung der sinnlichen Dinge durch
die empirischen Mechaniker beruhenden Erklärungsart voll-
ständig zum Bewußtsein gekommen.4 Die Erscheinungen der
Verdichtung und Verdünnung der Luft und andre Vorgänge
sind ihm nur durch die Annahme erklärlich, daß alle Körper
aus kleinen Körpern (#) bestehen, zwischen
denen leere Räume eingestreut sich befinden, die kleiner sind

1 S. 2. Buch, 6. Abschn.
2 Cassiodorus, De Instit. divin. liter. cap. 31. Op. ed. Garetus. 1679.
Tom. II, p. 556: Legite Hippocratem atque Galenum Latina lingua conver-
sos .... deinde Aurelii Coelii de medicina …
3 Über die Zeit desselben S. Cantor, Gesch. d. Math. S. 313, 314.
4 Pneumatica. In Veterum mathematicorum opera. Paris 1693. p. 145.
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[214/0232] Korpuskulartheorie der Mediziner. wir dafür in ihr das ausgeprägte Vorbild der Korpuskular- theorie des 17. Jahrhunderts, eine Atomistik, welche nicht mehr an ein bestimmtes philosophisches System gebunden ist, aber wohlgeeignet, als Grundlage physikalischer Erklärung gebraucht zu werden. Die Schule der „methodischen‟ Ärzte hat die Tra- dition dieser Korpuskulartheorie in ihrer rein physikalischen Bedeutung aufrecht erhalten und dem Humorismus Galens und der Araber gegenüber immer wieder betont. 1 Daher haben wir hier einen jener Nebenwege entdeckt, auf welchem korpuskulartheoretische Gedanken zur Neuzeit hinüberwanderten, während Aristoteles die große Heerstraße der Philosophie besetzt hielt. Caelius Aurelianus, derjenige Methodiker, welchem wir die einzige ausführliche Nachricht über das System und die Atomistik des Asklepiades verdanken, hat ein ausführliches Lehrbuch hinterlassen, welches das ganze Mittelalter hindurch im Gebrauch und neben dem Herbarium des Dioskorides und den Werken des Hippokrates und Galen den Mönchen besonders empfohlen war. 2 So liegt hier eine stete Tradition atomistischer Lehren vor, welche für die Mediziner als theoretische Grundlage eine Autorität besaß, die der von Aristoteles verworfenen philosophischen Atomistik vollständig abging. Eine weitere Anwendung der Korpuskulartheorie finden wir im Altertum bei dem berühmten Mechaniker Heron von Alexandrien (um 100 v. Chr.). 3 Ihm ist der Gegensatz zwischen der logischen Behandlungsweise der Phänomene durch die Philo- sophen und der auf Beobachtung der sinnlichen Dinge durch die empirischen Mechaniker beruhenden Erklärungsart voll- ständig zum Bewußtsein gekommen. 4 Die Erscheinungen der Verdichtung und Verdünnung der Luft und andre Vorgänge sind ihm nur durch die Annahme erklärlich, daß alle Körper aus kleinen Körpern (#) bestehen, zwischen denen leere Räume eingestreut sich befinden, die kleiner sind 1 S. 2. Buch, 6. Abschn. 2 Cassiodorus, De Instit. divin. liter. cap. 31. Op. ed. Garetus. 1679. Tom. II, p. 556: Legite Hippocratem atque Galenum Latina lingua conver- sos .... deinde Aurelii Coelii de medicina … 3 Über die Zeit desselben S. Cantor, Gesch. d. Math. S. 313, 314. 4 Pneumatica. In Veterum mathematicorum opera. Paris 1693. p. 145.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/232>, abgerufen am 26.11.2024.