der Farbe, unter Beibehaltung anderer, wie der Härte, muß zugleich die Frage nach dem Erkenntniswerte dieser Eigen- schaften auftreten, und damit haben wir ein erkenntniskritisches Problem. Es handelt sich dann um die Untersuchung, nicht wie die Vorstellung von der Körperwelt psychologisch zustande kommt, auch nicht welche logischen Operationen die Be- schreibung der Körper vereinfachen, sondern welcher Wert der Gewißheit den einzelnen Aussagen beizulegen ist. "Der Körper ist rot" und "der Körper ist hart" erscheinen als Ur- teile, denen ein verschiedenes Gewicht in bezug auf ihre Allgemeingültigkeit zukommt, und es entsteht die Frage, in welchem Sinne einem Dinge überhaupt eine Eigenschaft zuge- sprochen werden kann. Wie ist es möglich, daß wir etwas schwer oder rund, oder beides zugleich nennen? Damit sind wir ganz im Gebiete der Erkenntniskritik, welche die Möglich- keit der Erkenntnis nur an einem gesicherten Faktum wissen- schaftlicher Erfahrung studieren und ergründen kann. Und eine solche historische Thatsache ist das Denken, welches in der Entwickelung der Korpuskulartheorie vorliegt.
Aus dieser eigentümlichen Grenzstellung der Korpuskular- theorie entspringen Bedeutung und Wert ihres Studiums. Handelte es sich nur um eine Zusammenstellung der zahllosen Versuche, passende Hypothesen über die Konstitution der Materie aufzufinden, so wäre ein solches Unternehmen vielleicht nicht unbrauchbar als Material zur Geschichte einer allgemeinen Physik, aber der systematische Gewinn, welchen die Philosophie daraus ziehen könnte, dürfte ziemlich gering ausfallen. Weil aber diese Hypothesen in engem Konnex mit der allgemeineren Aufgabe der Theorie der Materie und dadurch mit der Er- kenntniskritik stehen, eröffnet eine derartige Arbeit viel weiter- reichende Aussichten. Die Gestaltung der Theorie der Materie durch das physikalische Interesse ist ein phi- losophisches Problem für sich. Hier muß die Wirkung der mehr und mehr sich ausdehnenden empirischen Forschung auf das systematische Denken zu Tage treten. Indem die fortschrei- tende Erkenntnis des Verhaltens der Körperwelt zu neuen An- sichten über die Grundlagen und Bedingungen dieser letzteren führt, klärt sich die Frage nach der gegenseitigen Abhängig- keit der physikalischen Erkenntnis und der Bedingungen der
Einleitung: Erkenntniskritisches Problem.
der Farbe, unter Beibehaltung anderer, wie der Härte, muß zugleich die Frage nach dem Erkenntniswerte dieser Eigen- schaften auftreten, und damit haben wir ein erkenntniskritisches Problem. Es handelt sich dann um die Untersuchung, nicht wie die Vorstellung von der Körperwelt psychologisch zustande kommt, auch nicht welche logischen Operationen die Be- schreibung der Körper vereinfachen, sondern welcher Wert der Gewißheit den einzelnen Aussagen beizulegen ist. „Der Körper ist rot‟ und „der Körper ist hart‟ erscheinen als Ur- teile, denen ein verschiedenes Gewicht in bezug auf ihre Allgemeingültigkeit zukommt, und es entsteht die Frage, in welchem Sinne einem Dinge überhaupt eine Eigenschaft zuge- sprochen werden kann. Wie ist es möglich, daß wir etwas schwer oder rund, oder beides zugleich nennen? Damit sind wir ganz im Gebiete der Erkenntniskritik, welche die Möglich- keit der Erkenntnis nur an einem gesicherten Faktum wissen- schaftlicher Erfahrung studieren und ergründen kann. Und eine solche historische Thatsache ist das Denken, welches in der Entwickelung der Korpuskulartheorie vorliegt.
Aus dieser eigentümlichen Grenzstellung der Korpuskular- theorie entspringen Bedeutung und Wert ihres Studiums. Handelte es sich nur um eine Zusammenstellung der zahllosen Versuche, passende Hypothesen über die Konstitution der Materie aufzufinden, so wäre ein solches Unternehmen vielleicht nicht unbrauchbar als Material zur Geschichte einer allgemeinen Physik, aber der systematische Gewinn, welchen die Philosophie daraus ziehen könnte, dürfte ziemlich gering ausfallen. Weil aber diese Hypothesen in engem Konnex mit der allgemeineren Aufgabe der Theorie der Materie und dadurch mit der Er- kenntniskritik stehen, eröffnet eine derartige Arbeit viel weiter- reichende Aussichten. Die Gestaltung der Theorie der Materie durch das physikalische Interesse ist ein phi- losophisches Problem für sich. Hier muß die Wirkung der mehr und mehr sich ausdehnenden empirischen Forschung auf das systematische Denken zu Tage treten. Indem die fortschrei- tende Erkenntnis des Verhaltens der Körperwelt zu neuen An- sichten über die Grundlagen und Bedingungen dieser letzteren führt, klärt sich die Frage nach der gegenseitigen Abhängig- keit der physikalischen Erkenntnis und der Bedingungen der
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[5/0023]
Einleitung: Erkenntniskritisches Problem.
der Farbe, unter Beibehaltung anderer, wie der Härte, muß
zugleich die Frage nach dem Erkenntniswerte dieser Eigen-
schaften auftreten, und damit haben wir ein erkenntniskritisches
Problem. Es handelt sich dann um die Untersuchung, nicht
wie die Vorstellung von der Körperwelt psychologisch zustande
kommt, auch nicht welche logischen Operationen die Be-
schreibung der Körper vereinfachen, sondern welcher Wert
der Gewißheit den einzelnen Aussagen beizulegen ist. „Der
Körper ist rot‟ und „der Körper ist hart‟ erscheinen als Ur-
teile, denen ein verschiedenes Gewicht in bezug auf ihre
Allgemeingültigkeit zukommt, und es entsteht die Frage, in
welchem Sinne einem Dinge überhaupt eine Eigenschaft zuge-
sprochen werden kann. Wie ist es möglich, daß wir etwas
schwer oder rund, oder beides zugleich nennen? Damit sind
wir ganz im Gebiete der Erkenntniskritik, welche die Möglich-
keit der Erkenntnis nur an einem gesicherten Faktum wissen-
schaftlicher Erfahrung studieren und ergründen kann. Und
eine solche historische Thatsache ist das Denken, welches in
der Entwickelung der Korpuskulartheorie vorliegt.
Aus dieser eigentümlichen Grenzstellung der Korpuskular-
theorie entspringen Bedeutung und Wert ihres Studiums.
Handelte es sich nur um eine Zusammenstellung der zahllosen
Versuche, passende Hypothesen über die Konstitution der
Materie aufzufinden, so wäre ein solches Unternehmen vielleicht
nicht unbrauchbar als Material zur Geschichte einer allgemeinen
Physik, aber der systematische Gewinn, welchen die Philosophie
daraus ziehen könnte, dürfte ziemlich gering ausfallen. Weil
aber diese Hypothesen in engem Konnex mit der allgemeineren
Aufgabe der Theorie der Materie und dadurch mit der Er-
kenntniskritik stehen, eröffnet eine derartige Arbeit viel weiter-
reichende Aussichten. Die Gestaltung der Theorie der
Materie durch das physikalische Interesse ist ein phi-
losophisches Problem für sich. Hier muß die Wirkung der mehr
und mehr sich ausdehnenden empirischen Forschung auf das
systematische Denken zu Tage treten. Indem die fortschrei-
tende Erkenntnis des Verhaltens der Körperwelt zu neuen An-
sichten über die Grundlagen und Bedingungen dieser letzteren
führt, klärt sich die Frage nach der gegenseitigen Abhängig-
keit der physikalischen Erkenntnis und der Bedingungen der
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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/23>, abgerufen am 16.07.2024.
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