der Linie, die Linie als Modus der Fläche, die Fläche als Modus des Körpers betrachten.
Daß Flächen, Linien und Punkte wahrhafte und positive Wesen sind, welche in der Größe realiter existieren, dafür werden mannigfaltige Gründe beigebracht. Der Punkt kann nicht weiter teilbar sein, weil ja die Teile des Kontinuums mit ihren gemeinsamen Grenzen zusammenhängen sollen; wäre nun der Punkt noch teilbar, so würde er als Teil des Konti- nuums nicht als ein Ganzes und Einfaches, sondern gemäß seinen einzelnen Teilen jedem Teile des Kontinuums gemein- sam, also keine Grenze sein.1 Etwas Positives aber muß er sein, weil er als bloße Negation weiterer Erstreckung die Kontinuität an dieser Stelle abschneiden und aufheben würde.
Für die Realität der Indivisiblen sprechen zahlreiche phy- sikalische Thatsachen, vornehmlich für die der Fläche, aber auch für die der Punkte. Die Oberfläche muß schon darum real sein, weil ihr viele Eigenschaften anhaften, wie die Figur des Körpers, die Farbe, die Undurchsichtigkeit; wie könnte sie das Licht zurückwerfen, wenn sie nicht etwas Reales wäre? Die Körper berühren sich in Flächen, Linien und Punkten, also müssen dieselben in der Natur bestehen, so z. B. der Punkt, in welchem eine Kugel, und die Linie, in welcher ein Cylinder die Ebene berühren. Die Mathematik beweist viele Sätze von den Oberflächen u. s. w., welche wahre und reale Eigenschaften derselben lehren; also müssen sie auch wahre und positive Wesen im Kontinuum sein. Endlich läßt sich die actio uniformiter difformis, die gleichmäßige Ab- oder Zunahme der Intensität einer Wirkung im Kontinuum, nicht anders erklären als dadurch, daß die einzelnen Grade physischer Eigenschaften eines homogenen Körpers den ein- zelnen unteilbaren Punkten desselben zukommen. Wenn z. B. die Luft von einem leuchtenden Körper bestrahlt wird, so nimmt die Helligkeit allmählich ab und jedem Teile der Luft kommt ein bestimmter Helligkeitsgrad zu. Wenn nun dieser Helligkeitsgrad nicht von einem bestimmten unteilbaren Luft- teilchen aufgenommen würde, so könnte ja dieser Teil in zwei geteilt werden, von denen jeder die gleiche Helligkeit besäße;
1 Vgl. dagegen Arist. Phys., die oben S. 104 angeführten Stellen.
Realität des Indivisiblen i. d. Scholastik.
der Linie, die Linie als Modus der Fläche, die Fläche als Modus des Körpers betrachten.
Daß Flächen, Linien und Punkte wahrhafte und positive Wesen sind, welche in der Größe realiter existieren, dafür werden mannigfaltige Gründe beigebracht. Der Punkt kann nicht weiter teilbar sein, weil ja die Teile des Kontinuums mit ihren gemeinsamen Grenzen zusammenhängen sollen; wäre nun der Punkt noch teilbar, so würde er als Teil des Konti- nuums nicht als ein Ganzes und Einfaches, sondern gemäß seinen einzelnen Teilen jedem Teile des Kontinuums gemein- sam, also keine Grenze sein.1 Etwas Positives aber muß er sein, weil er als bloße Negation weiterer Erstreckung die Kontinuität an dieser Stelle abschneiden und aufheben würde.
Für die Realität der Indivisiblen sprechen zahlreiche phy- sikalische Thatsachen, vornehmlich für die der Fläche, aber auch für die der Punkte. Die Oberfläche muß schon darum real sein, weil ihr viele Eigenschaften anhaften, wie die Figur des Körpers, die Farbe, die Undurchsichtigkeit; wie könnte sie das Licht zurückwerfen, wenn sie nicht etwas Reales wäre? Die Körper berühren sich in Flächen, Linien und Punkten, also müssen dieselben in der Natur bestehen, so z. B. der Punkt, in welchem eine Kugel, und die Linie, in welcher ein Cylinder die Ebene berühren. Die Mathematik beweist viele Sätze von den Oberflächen u. s. w., welche wahre und reale Eigenschaften derselben lehren; also müssen sie auch wahre und positive Wesen im Kontinuum sein. Endlich läßt sich die actio uniformiter difformis, die gleichmäßige Ab- oder Zunahme der Intensität einer Wirkung im Kontinuum, nicht anders erklären als dadurch, daß die einzelnen Grade physischer Eigenschaften eines homogenen Körpers den ein- zelnen unteilbaren Punkten desselben zukommen. Wenn z. B. die Luft von einem leuchtenden Körper bestrahlt wird, so nimmt die Helligkeit allmählich ab und jedem Teile der Luft kommt ein bestimmter Helligkeitsgrad zu. Wenn nun dieser Helligkeitsgrad nicht von einem bestimmten unteilbaren Luft- teilchen aufgenommen würde, so könnte ja dieser Teil in zwei geteilt werden, von denen jeder die gleiche Helligkeit besäße;
1 Vgl. dagegen Arist. Phys., die oben S. 104 angeführten Stellen.
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Realität des Indivisiblen i. d. Scholastik.
der Linie, die Linie als Modus der Fläche, die Fläche als
Modus des Körpers betrachten.
Daß Flächen, Linien und Punkte wahrhafte und positive
Wesen sind, welche in der Größe realiter existieren, dafür
werden mannigfaltige Gründe beigebracht. Der Punkt kann
nicht weiter teilbar sein, weil ja die Teile des Kontinuums
mit ihren gemeinsamen Grenzen zusammenhängen sollen; wäre
nun der Punkt noch teilbar, so würde er als Teil des Konti-
nuums nicht als ein Ganzes und Einfaches, sondern gemäß
seinen einzelnen Teilen jedem Teile des Kontinuums gemein-
sam, also keine Grenze sein. 1 Etwas Positives aber muß er
sein, weil er als bloße Negation weiterer Erstreckung die
Kontinuität an dieser Stelle abschneiden und aufheben würde.
Für die Realität der Indivisiblen sprechen zahlreiche phy-
sikalische Thatsachen, vornehmlich für die der Fläche, aber
auch für die der Punkte. Die Oberfläche muß schon darum
real sein, weil ihr viele Eigenschaften anhaften, wie die
Figur des Körpers, die Farbe, die Undurchsichtigkeit; wie
könnte sie das Licht zurückwerfen, wenn sie nicht etwas
Reales wäre? Die Körper berühren sich in Flächen, Linien
und Punkten, also müssen dieselben in der Natur bestehen,
so z. B. der Punkt, in welchem eine Kugel, und die Linie, in
welcher ein Cylinder die Ebene berühren. Die Mathematik
beweist viele Sätze von den Oberflächen u. s. w., welche wahre
und reale Eigenschaften derselben lehren; also müssen sie
auch wahre und positive Wesen im Kontinuum sein. Endlich
läßt sich die actio uniformiter difformis, die gleichmäßige Ab-
oder Zunahme der Intensität einer Wirkung im Kontinuum,
nicht anders erklären als dadurch, daß die einzelnen Grade
physischer Eigenschaften eines homogenen Körpers den ein-
zelnen unteilbaren Punkten desselben zukommen. Wenn z. B.
die Luft von einem leuchtenden Körper bestrahlt wird, so
nimmt die Helligkeit allmählich ab und jedem Teile der Luft
kommt ein bestimmter Helligkeitsgrad zu. Wenn nun dieser
Helligkeitsgrad nicht von einem bestimmten unteilbaren Luft-
teilchen aufgenommen würde, so könnte ja dieser Teil in zwei
geteilt werden, von denen jeder die gleiche Helligkeit besäße;
1 Vgl. dagegen Arist. Phys., die oben S. 104 angeführten Stellen.
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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/207>, abgerufen am 28.11.2024.
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