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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Ibn Roschd: Interesse am Naturerkennen.
Keim, welcher die gesamte Weltentwickelung in sich trägt,
und die Erforschung derselben muß als ein des Geistes wür-
diger Gegenstand angesehen werden.

So führt die Philosophie der Araber in ihrer glänzendsten
Entwickelung auf eine Würdigung derjenigen Forschung, in
welcher sie selbst bereits Bedeutendes geleistet hatten, der Natur-
wissenschaft. Von allen arabischen Philosophen hat Ibn Roschd
am sichtbarsten und wirksamsten die aristotelische Philo-
sophie mit der eigentümlichen Richtung des arabischen Geistes
auf Welterkenntnis zu verschmelzen gewußt und dadurch ein
neues Lebenselement dem Abendlande zugeführt, die Wert-
schätzung der Naturwissenschaften.

Nun mochte wohl, was praktische Verwertung der Wissen-
schaften anbelangt, Heilkunde, Astronomie, Alchymie, -- der
Einfluß dieser Disciplinen für die Gestaltung des Lebens
von selbst ins Auge fallen, auch der Vorteil der Mächtigen
und Reichen derselben bedürfen. Was es dagegen für einen Wert
haben könnte, die reine Theorie der Naturerscheinungen zu
betreiben, das ließ sich viel schwerer einsehen. In Theologie,
Dialektik und Logik den subtilsten Grübeleien sich zu ergeben,
besaß seinen guten Sinn; denn warum sollte der Geist nicht
das Wesen des Geistes erkennen, mit welchem man es hier
zu thun hatte? Aber den Vorgängen in der Materie nachzu-
sinnen, die dunkle Nacht der stofflichen Körperwelt lichten
zu wollen, das mußte ebenso überflüssig und vergeblich er-
scheinen, als es dem theologischen Interesse gefährlich war.
Darum war es für die Entwickelung der Naturwissenschaften
von so großer Bedeutung, daß arabische Bildungselemente
in die Einseitigkeit der christlichen Theologie eindrangen und
zugleich mit der Physik des Aristoteles auch die averroistische
Auffassung seiner Philosophie bekannt wurde. Denn Ibn Roschd
sucht zu zeigen, daß die Körperwelt uns kein undurchdring-
liches Geheimnis zu bleiben braucht, da sie selbst die Formen
enthält, welche unser Geist zu erfassen vermag. Ibn Roschd
weist die reale Welt, die uns rings umgibt und unser Leben
in ihre wechselnden Wirbel hineinzieht, nicht von sich; er
will ihren vollen Inhalt umfassen, sie bildet ihm ein Ganzes,
dessen geschlossenem Kreise nichts Existierendes sich entziehen
kann. Und so bürgert er den Gedanken wieder ein, daß der

Ibn Roschd: Interesse am Naturerkennen.
Keim, welcher die gesamte Weltentwickelung in sich trägt,
und die Erforschung derselben muß als ein des Geistes wür-
diger Gegenstand angesehen werden.

So führt die Philosophie der Araber in ihrer glänzendsten
Entwickelung auf eine Würdigung derjenigen Forschung, in
welcher sie selbst bereits Bedeutendes geleistet hatten, der Natur-
wissenschaft. Von allen arabischen Philosophen hat Ibn Roschd
am sichtbarsten und wirksamsten die aristotelische Philo-
sophie mit der eigentümlichen Richtung des arabischen Geistes
auf Welterkenntnis zu verschmelzen gewußt und dadurch ein
neues Lebenselement dem Abendlande zugeführt, die Wert-
schätzung der Naturwissenschaften.

Nun mochte wohl, was praktische Verwertung der Wissen-
schaften anbelangt, Heilkunde, Astronomie, Alchymie, — der
Einfluß dieser Disciplinen für die Gestaltung des Lebens
von selbst ins Auge fallen, auch der Vorteil der Mächtigen
und Reichen derselben bedürfen. Was es dagegen für einen Wert
haben könnte, die reine Theorie der Naturerscheinungen zu
betreiben, das ließ sich viel schwerer einsehen. In Theologie,
Dialektik und Logik den subtilsten Grübeleien sich zu ergeben,
besaß seinen guten Sinn; denn warum sollte der Geist nicht
das Wesen des Geistes erkennen, mit welchem man es hier
zu thun hatte? Aber den Vorgängen in der Materie nachzu-
sinnen, die dunkle Nacht der stofflichen Körperwelt lichten
zu wollen, das mußte ebenso überflüssig und vergeblich er-
scheinen, als es dem theologischen Interesse gefährlich war.
Darum war es für die Entwickelung der Naturwissenschaften
von so großer Bedeutung, daß arabische Bildungselemente
in die Einseitigkeit der christlichen Theologie eindrangen und
zugleich mit der Physik des Aristoteles auch die averroistische
Auffassung seiner Philosophie bekannt wurde. Denn Ibn Roschd
sucht zu zeigen, daß die Körperwelt uns kein undurchdring-
liches Geheimnis zu bleiben braucht, da sie selbst die Formen
enthält, welche unser Geist zu erfassen vermag. Ibn Roschd
weist die reale Welt, die uns rings umgibt und unser Leben
in ihre wechselnden Wirbel hineinzieht, nicht von sich; er
will ihren vollen Inhalt umfassen, sie bildet ihm ein Ganzes,
dessen geschlossenem Kreise nichts Existierendes sich entziehen
kann. Und so bürgert er den Gedanken wieder ein, daß der

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[173/0191] Ibn Roschd: Interesse am Naturerkennen. Keim, welcher die gesamte Weltentwickelung in sich trägt, und die Erforschung derselben muß als ein des Geistes wür- diger Gegenstand angesehen werden. So führt die Philosophie der Araber in ihrer glänzendsten Entwickelung auf eine Würdigung derjenigen Forschung, in welcher sie selbst bereits Bedeutendes geleistet hatten, der Natur- wissenschaft. Von allen arabischen Philosophen hat Ibn Roschd am sichtbarsten und wirksamsten die aristotelische Philo- sophie mit der eigentümlichen Richtung des arabischen Geistes auf Welterkenntnis zu verschmelzen gewußt und dadurch ein neues Lebenselement dem Abendlande zugeführt, die Wert- schätzung der Naturwissenschaften. Nun mochte wohl, was praktische Verwertung der Wissen- schaften anbelangt, Heilkunde, Astronomie, Alchymie, — der Einfluß dieser Disciplinen für die Gestaltung des Lebens von selbst ins Auge fallen, auch der Vorteil der Mächtigen und Reichen derselben bedürfen. Was es dagegen für einen Wert haben könnte, die reine Theorie der Naturerscheinungen zu betreiben, das ließ sich viel schwerer einsehen. In Theologie, Dialektik und Logik den subtilsten Grübeleien sich zu ergeben, besaß seinen guten Sinn; denn warum sollte der Geist nicht das Wesen des Geistes erkennen, mit welchem man es hier zu thun hatte? Aber den Vorgängen in der Materie nachzu- sinnen, die dunkle Nacht der stofflichen Körperwelt lichten zu wollen, das mußte ebenso überflüssig und vergeblich er- scheinen, als es dem theologischen Interesse gefährlich war. Darum war es für die Entwickelung der Naturwissenschaften von so großer Bedeutung, daß arabische Bildungselemente in die Einseitigkeit der christlichen Theologie eindrangen und zugleich mit der Physik des Aristoteles auch die averroistische Auffassung seiner Philosophie bekannt wurde. Denn Ibn Roschd sucht zu zeigen, daß die Körperwelt uns kein undurchdring- liches Geheimnis zu bleiben braucht, da sie selbst die Formen enthält, welche unser Geist zu erfassen vermag. Ibn Roschd weist die reale Welt, die uns rings umgibt und unser Leben in ihre wechselnden Wirbel hineinzieht, nicht von sich; er will ihren vollen Inhalt umfassen, sie bildet ihm ein Ganzes, dessen geschlossenem Kreise nichts Existierendes sich entziehen kann. Und so bürgert er den Gedanken wieder ein, daß der

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/191>, abgerufen am 28.11.2024.