Wenn der Mensch die Eigenschaften dieser Substanz der Körperlichkeit kennt, so kennt er auch die Zweckursache, durch welche die Dinge von der Potenz zum Aktus übergehen. Diese Annahme der Formen geschieht durch den göttlichen Willen, und die Erkenntnis der Körperwelt leitet auf die Kenntnis der höheren intelligibeln Substanzen hin und dadurch auf die Kenntnis des göttlichen Willens.1
Die Substanz der Körperwelt ist nicht räumlich -- sie haftet ja nicht am Raume, sondern an der nächst höheren intelligibeln Substanz --, sie ist vielmehr die Trägerin der Räumlichkeit, der Ort der Quantität, in welcher der Raum real existiert.2 Es gibt aber nicht nur einen sichtbaren niedren Raum für die körperlichen Dinge, sondern auch das Urbild desselben, einen unsichtbaren höheren für das Geistige.3
In Wirklichkeit ist die ganze Welt eine einzige Einheit und ein Kontinuum, aber je weiter man von der absoluten und höchsten Einheit, in welcher es weder Anfang noch Ende, weder Veränderung noch Verschiedenheit gibt, zur Körperwelt herabsteigt, um so zerrissener und verworrener werden die Teile, um so mehr verschwindet die Klarheit der einheitlichen Existenz. Durch die Verkörperung werden die Einheiten der Substanzen zusammengesetzt und geteilt, vervielfältigt, ver- dichtet und eingeengt, und man kann die Verschiedenheit der Einheiten in der Materie, welche dieselben trägt, sichtlich wahrnehmen. So sind z. B. die Teile des Feuers außerordent- lich geeint, einfach und gleichartig, so daß seine Form als eine einzige ohne Vervielfachung erscheint, während wir die Teile der Luft und des Wassers in viel gröberer Weise getrennt und zerstreut finden, so daß ihre Teile und Einheiten vom Blicke durchdrungen werden können.4 In gleicher Art hat man auch das Haften der Größe an der Substanz zu verstehen, indem sich nämlich die Einheiten vervielfachen und durch ihre Vereinigung die Größe bilden. Die einfachen Substanzen lassen keine Teilung zu; die Einheit kann nur geteilt werden durch die zusammengesetzte Substanz, welche ihr zum Sub- strat dient. Die Größe besteht wieder aus Einheiten, denen
1 A. a. O. II, 17--20. p. 25--27.
2 A. a. O. II, 21. p. 28.
3 A. a. O. II, 25. p. 30.
4 A. a. O. II, 26, 27. p. 31--34.
Ibn Gabirol: Individuation.
Wenn der Mensch die Eigenschaften dieser Substanz der Körperlichkeit kennt, so kennt er auch die Zweckursache, durch welche die Dinge von der Potenz zum Aktus übergehen. Diese Annahme der Formen geschieht durch den göttlichen Willen, und die Erkenntnis der Körperwelt leitet auf die Kenntnis der höheren intelligibeln Substanzen hin und dadurch auf die Kenntnis des göttlichen Willens.1
Die Substanz der Körperwelt ist nicht räumlich — sie haftet ja nicht am Raume, sondern an der nächst höheren intelligibeln Substanz —, sie ist vielmehr die Trägerin der Räumlichkeit, der Ort der Quantität, in welcher der Raum real existiert.2 Es gibt aber nicht nur einen sichtbaren niedren Raum für die körperlichen Dinge, sondern auch das Urbild desselben, einen unsichtbaren höheren für das Geistige.3
In Wirklichkeit ist die ganze Welt eine einzige Einheit und ein Kontinuum, aber je weiter man von der absoluten und höchsten Einheit, in welcher es weder Anfang noch Ende, weder Veränderung noch Verschiedenheit gibt, zur Körperwelt herabsteigt, um so zerrissener und verworrener werden die Teile, um so mehr verschwindet die Klarheit der einheitlichen Existenz. Durch die Verkörperung werden die Einheiten der Substanzen zusammengesetzt und geteilt, vervielfältigt, ver- dichtet und eingeengt, und man kann die Verschiedenheit der Einheiten in der Materie, welche dieselben trägt, sichtlich wahrnehmen. So sind z. B. die Teile des Feuers außerordent- lich geeint, einfach und gleichartig, so daß seine Form als eine einzige ohne Vervielfachung erscheint, während wir die Teile der Luft und des Wassers in viel gröberer Weise getrennt und zerstreut finden, so daß ihre Teile und Einheiten vom Blicke durchdrungen werden können.4 In gleicher Art hat man auch das Haften der Größe an der Substanz zu verstehen, indem sich nämlich die Einheiten vervielfachen und durch ihre Vereinigung die Größe bilden. Die einfachen Substanzen lassen keine Teilung zu; die Einheit kann nur geteilt werden durch die zusammengesetzte Substanz, welche ihr zum Sub- strat dient. Die Größe besteht wieder aus Einheiten, denen
1 A. a. O. II, 17—20. p. 25—27.
2 A. a. O. II, 21. p. 28.
3 A. a. O. II, 25. p. 30.
4 A. a. O. II, 26, 27. p. 31—34.
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Ibn Gabirol: Individuation.
Wenn der Mensch die Eigenschaften dieser Substanz der
Körperlichkeit kennt, so kennt er auch die Zweckursache, durch
welche die Dinge von der Potenz zum Aktus übergehen. Diese
Annahme der Formen geschieht durch den göttlichen Willen,
und die Erkenntnis der Körperwelt leitet auf die Kenntnis
der höheren intelligibeln Substanzen hin und dadurch auf die
Kenntnis des göttlichen Willens. 1
Die Substanz der Körperwelt ist nicht räumlich — sie
haftet ja nicht am Raume, sondern an der nächst höheren
intelligibeln Substanz —, sie ist vielmehr die Trägerin der
Räumlichkeit, der Ort der Quantität, in welcher der Raum
real existiert. 2 Es gibt aber nicht nur einen sichtbaren niedren
Raum für die körperlichen Dinge, sondern auch das Urbild
desselben, einen unsichtbaren höheren für das Geistige. 3
In Wirklichkeit ist die ganze Welt eine einzige Einheit
und ein Kontinuum, aber je weiter man von der absoluten
und höchsten Einheit, in welcher es weder Anfang noch Ende,
weder Veränderung noch Verschiedenheit gibt, zur Körperwelt
herabsteigt, um so zerrissener und verworrener werden die
Teile, um so mehr verschwindet die Klarheit der einheitlichen
Existenz. Durch die Verkörperung werden die Einheiten der
Substanzen zusammengesetzt und geteilt, vervielfältigt, ver-
dichtet und eingeengt, und man kann die Verschiedenheit der
Einheiten in der Materie, welche dieselben trägt, sichtlich
wahrnehmen. So sind z. B. die Teile des Feuers außerordent-
lich geeint, einfach und gleichartig, so daß seine Form als
eine einzige ohne Vervielfachung erscheint, während wir die
Teile der Luft und des Wassers in viel gröberer Weise getrennt
und zerstreut finden, so daß ihre Teile und Einheiten vom
Blicke durchdrungen werden können. 4 In gleicher Art hat
man auch das Haften der Größe an der Substanz zu verstehen,
indem sich nämlich die Einheiten vervielfachen und durch
ihre Vereinigung die Größe bilden. Die einfachen Substanzen
lassen keine Teilung zu; die Einheit kann nur geteilt werden
durch die zusammengesetzte Substanz, welche ihr zum Sub-
strat dient. Die Größe besteht wieder aus Einheiten, denen
1 A. a. O. II, 17—20. p. 25—27.
2 A. a. O. II, 21. p. 28.
3 A. a. O. II, 25. p. 30.
4 A. a. O. II, 26, 27. p. 31—34.
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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/184>, abgerufen am 28.11.2024.
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