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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Saadia: Auferstehung.

Eine dieser Fragen, über welche sich Saadia ausführlich
ausspricht, ist die nach der Auferstehung des Leibes, und sie
gibt Gelegenheit, einen Blick auf die für die Theorie der
Materie historisch so bedeutungsvoll gewordene Ansicht über
die Natur der chemischen Verbindung zu werfen, wie sich die-
selbe zu jener Zeit darstellt. Da die Grundstoffe des Körpers,
nachdem sein Leben entflohen ist, sich auseinanderlösen
und zu ihren natürlichen Orten zurückkehren, dann aber
zur Entstehung neuer Körper wieder verwendet werden können,
so entsteht die schwierige Frage, wie es unter diesen Umständen
möglich sein soll, daß bei der Auferstehung der Toten die
Leiber reproduziert werden, im Falle ihre Elementarstoffe
wiederholt verschiedenen Körpern angehört haben. Saadia
macht in dieser Hinsicht geltend, daß die Menge der Elemente
unzählige Male größer sei als derjenige Teil derselben, welcher
zur Zusammensetzung der Körper verwendet wird. Die Natur-
forscher wissen z. B., sagt er, daß das Luftelement zwischen
der Erde und dem ersten himmelskörperlichen Teil um tausend-
neunundachtzigmal (weil aus 33 mal 33 gewonnen) umfäng-
licher ist, als die ganze Erde mit ihren Bergen, Meeren,
Pflanzen und lebenden Wesen.1 Unter diesen Umständen ist
es nicht nötig, daß der Schöpfer dieselben Elementarteile
zweimal zur Herstellung eines Körpers benutze, sondern es
steht ihm ausreichender Stoff zu Gebote, um jedem Körper
seine Elemente für die Auferstehung aufzuheben. Wenn ein
Körper durch einen andren geschaffenen Körper (z. B. durch
Feuer) zerstört wird, so werden nur seine Teile voneinander
gelöst, diese, als Elemente, bleiben unverändert und kehren
nur an ihre uranfänglichen Orte zurück, "die im Körper
schon liegende Wärme zum Feuerelement, seine Feuchtig-
keit und Kälte zu ihren Urstoffen."2 Während bei den nicht
menschlichen Körpern die Elemente nach der Auflösung sich
mit den übrigen Elementen wieder vermischen, bleiben die
Bestandteile des Menschen unvermischt mit den ursprünglichen
Elementen für die Auferstehung bewahrt.

Man darf hieraus folgern, daß Saadia die Eigenschaften

1 Saadia, Emunot we-Deot, übsrs. v. Fürst. VII, 4. S. 383, 384.
2 Saadia, a. a. O. VII, 5. S. 386.
Saadia: Auferstehung.

Eine dieser Fragen, über welche sich Saadia ausführlich
ausspricht, ist die nach der Auferstehung des Leibes, und sie
gibt Gelegenheit, einen Blick auf die für die Theorie der
Materie historisch so bedeutungsvoll gewordene Ansicht über
die Natur der chemischen Verbindung zu werfen, wie sich die-
selbe zu jener Zeit darstellt. Da die Grundstoffe des Körpers,
nachdem sein Leben entflohen ist, sich auseinanderlösen
und zu ihren natürlichen Orten zurückkehren, dann aber
zur Entstehung neuer Körper wieder verwendet werden können,
so entsteht die schwierige Frage, wie es unter diesen Umständen
möglich sein soll, daß bei der Auferstehung der Toten die
Leiber reproduziert werden, im Falle ihre Elementarstoffe
wiederholt verschiedenen Körpern angehört haben. Saadia
macht in dieser Hinsicht geltend, daß die Menge der Elemente
unzählige Male größer sei als derjenige Teil derselben, welcher
zur Zusammensetzung der Körper verwendet wird. Die Natur-
forscher wissen z. B., sagt er, daß das Luftelement zwischen
der Erde und dem ersten himmelskörperlichen Teil um tausend-
neunundachtzigmal (weil aus 33 mal 33 gewonnen) umfäng-
licher ist, als die ganze Erde mit ihren Bergen, Meeren,
Pflanzen und lebenden Wesen.1 Unter diesen Umständen ist
es nicht nötig, daß der Schöpfer dieselben Elementarteile
zweimal zur Herstellung eines Körpers benutze, sondern es
steht ihm ausreichender Stoff zu Gebote, um jedem Körper
seine Elemente für die Auferstehung aufzuheben. Wenn ein
Körper durch einen andren geschaffenen Körper (z. B. durch
Feuer) zerstört wird, so werden nur seine Teile voneinander
gelöst, diese, als Elemente, bleiben unverändert und kehren
nur an ihre uranfänglichen Orte zurück, „die im Körper
schon liegende Wärme zum Feuerelement, seine Feuchtig-
keit und Kälte zu ihren Urstoffen.‟2 Während bei den nicht
menschlichen Körpern die Elemente nach der Auflösung sich
mit den übrigen Elementen wieder vermischen, bleiben die
Bestandteile des Menschen unvermischt mit den ursprünglichen
Elementen für die Auferstehung bewahrt.

Man darf hieraus folgern, daß Saadia die Eigenschaften

1 Saadia, Emunot we-Dëot, übsrs. v. Fürst. VII, 4. S. 383, 384.
2 Saadia, a. a. O. VII, 5. S. 386.
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[156/0174] Saadia: Auferstehung. Eine dieser Fragen, über welche sich Saadia ausführlich ausspricht, ist die nach der Auferstehung des Leibes, und sie gibt Gelegenheit, einen Blick auf die für die Theorie der Materie historisch so bedeutungsvoll gewordene Ansicht über die Natur der chemischen Verbindung zu werfen, wie sich die- selbe zu jener Zeit darstellt. Da die Grundstoffe des Körpers, nachdem sein Leben entflohen ist, sich auseinanderlösen und zu ihren natürlichen Orten zurückkehren, dann aber zur Entstehung neuer Körper wieder verwendet werden können, so entsteht die schwierige Frage, wie es unter diesen Umständen möglich sein soll, daß bei der Auferstehung der Toten die Leiber reproduziert werden, im Falle ihre Elementarstoffe wiederholt verschiedenen Körpern angehört haben. Saadia macht in dieser Hinsicht geltend, daß die Menge der Elemente unzählige Male größer sei als derjenige Teil derselben, welcher zur Zusammensetzung der Körper verwendet wird. Die Natur- forscher wissen z. B., sagt er, daß das Luftelement zwischen der Erde und dem ersten himmelskörperlichen Teil um tausend- neunundachtzigmal (weil aus 33 mal 33 gewonnen) umfäng- licher ist, als die ganze Erde mit ihren Bergen, Meeren, Pflanzen und lebenden Wesen. 1 Unter diesen Umständen ist es nicht nötig, daß der Schöpfer dieselben Elementarteile zweimal zur Herstellung eines Körpers benutze, sondern es steht ihm ausreichender Stoff zu Gebote, um jedem Körper seine Elemente für die Auferstehung aufzuheben. Wenn ein Körper durch einen andren geschaffenen Körper (z. B. durch Feuer) zerstört wird, so werden nur seine Teile voneinander gelöst, diese, als Elemente, bleiben unverändert und kehren nur an ihre uranfänglichen Orte zurück, „die im Körper schon liegende Wärme zum Feuerelement, seine Feuchtig- keit und Kälte zu ihren Urstoffen.‟ 2 Während bei den nicht menschlichen Körpern die Elemente nach der Auflösung sich mit den übrigen Elementen wieder vermischen, bleiben die Bestandteile des Menschen unvermischt mit den ursprünglichen Elementen für die Auferstehung bewahrt. Man darf hieraus folgern, daß Saadia die Eigenschaften 1 Saadia, Emunot we-Dëot, übsrs. v. Fürst. VII, 4. S. 383, 384. 2 Saadia, a. a. O. VII, 5. S. 386.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/174>, abgerufen am 27.11.2024.