Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.Mutakallimun: Aufhebung jedes Zusammenhangs. Folgerung, daß der Unterschied zwischen Materie und Form,sowie überhaupt alle spezifischen und generischen Verschieden- heiten in den Dingen fortfallen. Es gibt nichts als die Sub- stanz (das Atom) mit ihren Accidentien, die physischen Formen sind lediglich Zustände und nur durch diese unterscheiden sich die im übrigen als Substanzen völlig gleichartigen Atome. Kein Zustand kann einem andren Zustande zukommen oder von ihm getragen werden, sondern alle Eigenschaften haben ihren Sitz unmittelbar in derselben einzigen Substanz. Denn könnte eine Eigenschaft einer andren inhärent sein, so würde ja mit dieser die erstere verschwinden und die absolute Unab- hängigkeit alles Seienden voneinander unterbrochen werden. Mit dem Verschwinden jedes Art- und Gattungsunterschiedes ist auch die Nichtexistenz der Universalien ausgesprochen und eine Art von Konzeptualismus erklärt. Es giebt kein Ver- hältnis der Dinge zu einander und nichts, was eine Vermittelung zwischen niederen und höheren Begriffen vorstellt, sondern alles ist unmittelbar abhängig von Gott. Man wird nicht erwarten, aus den atomistischen Voraus- Ihre Philosophie gipfelt in dem von ihnen aufgestellten Mit diesen absurden Konsequenzen haben die Mutakallimun Mutakallimun: Aufhebung jedes Zusammenhangs. Folgerung, daß der Unterschied zwischen Materie und Form,sowie überhaupt alle spezifischen und generischen Verschieden- heiten in den Dingen fortfallen. Es gibt nichts als die Sub- stanz (das Atom) mit ihren Accidentien, die physischen Formen sind lediglich Zustände und nur durch diese unterscheiden sich die im übrigen als Substanzen völlig gleichartigen Atome. Kein Zustand kann einem andren Zustande zukommen oder von ihm getragen werden, sondern alle Eigenschaften haben ihren Sitz unmittelbar in derselben einzigen Substanz. Denn könnte eine Eigenschaft einer andren inhärent sein, so würde ja mit dieser die erstere verschwinden und die absolute Unab- hängigkeit alles Seienden voneinander unterbrochen werden. Mit dem Verschwinden jedes Art- und Gattungsunterschiedes ist auch die Nichtexistenz der Universalien ausgesprochen und eine Art von Konzeptualismus erklärt. Es giebt kein Ver- hältnis der Dinge zu einander und nichts, was eine Vermittelung zwischen niederen und höheren Begriffen vorstellt, sondern alles ist unmittelbar abhängig von Gott. 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Es ist daher unwesentlich, daß sie noch<lb/> besonders die Nicht-Existenz einer wirklichen Unendlichkeit<lb/> betonen; die Zahl der Atome steht doch jedenfalls in Gottes<lb/> Hand.</p><lb/> <p>Ihre Philosophie gipfelt in dem von ihnen aufgestellten<lb/> Begriffe der uneingeschränkten <hi rendition="#g">Zulässigkeit</hi>. Sie behaupten,<lb/> daß alles, was die Einbildungskraft sich vorstellen könne,<lb/> auch für die Vernunft zulässig sei. Der regelmäßige Verlauf<lb/> der Dinge ist nur Gewohnheitssache; ebensogut könnte das<lb/> Gegenteil von allem Wirklichen geschehen, das Feuer könnte<lb/> statt nach oben sich nach unten bewegen und kalt sein und<lb/> doch Feuer bleiben, das Wasser nach oben gehen und Wärme<lb/> erzeugen und doch Wasser bleiben; Elephanten können die<lb/> Größe von Mücken haben und Mücken die von Elephanten.</p><lb/> <p>Mit diesen absurden Konsequenzen haben die Mutakallimun<lb/> ihre Absicht erreicht. Sie haben für Gott die absolute Freiheit<lb/> des Agierens, aber für sich zugleich die des Behauptens geschaffen.<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [144/0162]
Mutakallimun: Aufhebung jedes Zusammenhangs.
Folgerung, daß der Unterschied zwischen Materie und Form,
sowie überhaupt alle spezifischen und generischen Verschieden-
heiten in den Dingen fortfallen. Es gibt nichts als die Sub-
stanz (das Atom) mit ihren Accidentien, die physischen Formen
sind lediglich Zustände und nur durch diese unterscheiden
sich die im übrigen als Substanzen völlig gleichartigen Atome.
Kein Zustand kann einem andren Zustande zukommen oder
von ihm getragen werden, sondern alle Eigenschaften haben
ihren Sitz unmittelbar in derselben einzigen Substanz. Denn
könnte eine Eigenschaft einer andren inhärent sein, so würde
ja mit dieser die erstere verschwinden und die absolute Unab-
hängigkeit alles Seienden voneinander unterbrochen werden.
Mit dem Verschwinden jedes Art- und Gattungsunterschiedes
ist auch die Nichtexistenz der Universalien ausgesprochen und
eine Art von Konzeptualismus erklärt. Es giebt kein Ver-
hältnis der Dinge zu einander und nichts, was eine Vermittelung
zwischen niederen und höheren Begriffen vorstellt, sondern
alles ist unmittelbar abhängig von Gott.
Man wird nicht erwarten, aus den atomistischen Voraus-
setzungen der Mutakallimun irgend welche Konsequenzen zur
Erklärung der Natur gezogen zu sehen; denn ihr einziger
Zweck ist, die Natur zu zerstören und Gott allein an ihre
Stelle zu setzen. Es ist daher unwesentlich, daß sie noch
besonders die Nicht-Existenz einer wirklichen Unendlichkeit
betonen; die Zahl der Atome steht doch jedenfalls in Gottes
Hand.
Ihre Philosophie gipfelt in dem von ihnen aufgestellten
Begriffe der uneingeschränkten Zulässigkeit. Sie behaupten,
daß alles, was die Einbildungskraft sich vorstellen könne,
auch für die Vernunft zulässig sei. Der regelmäßige Verlauf
der Dinge ist nur Gewohnheitssache; ebensogut könnte das
Gegenteil von allem Wirklichen geschehen, das Feuer könnte
statt nach oben sich nach unten bewegen und kalt sein und
doch Feuer bleiben, das Wasser nach oben gehen und Wärme
erzeugen und doch Wasser bleiben; Elephanten können die
Größe von Mücken haben und Mücken die von Elephanten.
Mit diesen absurden Konsequenzen haben die Mutakallimun
ihre Absicht erreicht. Sie haben für Gott die absolute Freiheit
des Agierens, aber für sich zugleich die des Behauptens geschaffen.
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