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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Mutakallimun: Die Atomistik.
zu zeigen, daß die Welt nicht ewig, sondern geschaffen sei,
um von da aus auf den Schöpfer zu schließen. Um Gottes
absolute Allmacht und Freiheit unantastbar zu machen und
die Schöpfung der uneingeschränktesten Willkür preiszugeben,
zerstückten sie jeden Zusammenhang der Erfahrungswelt und
lösten Körper und Bewegung, Raum und Zeit in Splitter auf,
deren unausgesetzte Schöpfung und Zusammensetzung sie dem
Belieben Gottes überließen, wodurch allein ihnen die Freiheit
des Welt-Wirkenden garantiert schien. Nicht den Urgrund
der Welt wollten sie in Gott sehen, denn diese Bezeichnung
hätte schon die Notwendigkeit der Wirkung vorausgesetzt;
sondern sie nannten ihn lediglich den "Wirkenden".1

Unter den philosophischen Grundansichten, welche den
Mutakallimun überliefert waren, eignete sich keine mehr als
die Atomistik, eine für ihre Zwecke brauchbare Naturauffassung
zuzulassen und ihrem theologischen Bedürfnisse zu genügen.
Die Lehren der Atomisten waren durch Aristoteles' ausführ-
liche Darstellungen bekannt. Es existierten auch, durch das
Syrische vermittelt, Übersetzungen von Schriften, welche De-
mokrit
selbst zugeschrieben wurden,2 doch waren diese jeden-
falls nur alchymistischen Inhalts. Dagegen dürften Über-
lieferungen der skeptischen Schule von wesentlichem Einflusse
gewesen sein. Mag es im ersten Augenblick wunderlich
erscheinen, daß die griechische Atomistik, welche die absolute
Notwendigkeit des Weltgeschehens, den gesetzmäßigen Mecha-
nismus des Universums lehrt und dadurch als zum Materialis-
mus und Atheismus führend betrachtet wird, hier dazu dienen
muß, eine direkt entgegenstehende Weltauffassung zu stützen,
so genügt doch eine einzige Wendung des atomistischen Ge-
dankens, um diese Gegensätze ineinander umschlagen zu
machen. Daß die Atomisten den Zufall in der Welt regieren
lassen, ist ihnen nicht weniger oft zum Vorwurfe gemacht
worden, als daß sie die Notwendigkeit auf den Thron erheben.
Führt man das atomistische Prinzip konsequent durch, so ver-
lieren die Atome jeden Zusammenhang untereinander; gegen
die transcendenten Atome des Materialismus, ja überhaupt,

1 More Nev. I. c. 69. p. 313.
2 Munk, Melanges etc. p. 322.

Mutakallimun: Die Atomistik.
zu zeigen, daß die Welt nicht ewig, sondern geschaffen sei,
um von da aus auf den Schöpfer zu schließen. Um Gottes
absolute Allmacht und Freiheit unantastbar zu machen und
die Schöpfung der uneingeschränktesten Willkür preiszugeben,
zerstückten sie jeden Zusammenhang der Erfahrungswelt und
lösten Körper und Bewegung, Raum und Zeit in Splitter auf,
deren unausgesetzte Schöpfung und Zusammensetzung sie dem
Belieben Gottes überließen, wodurch allein ihnen die Freiheit
des Welt-Wirkenden garantiert schien. Nicht den Urgrund
der Welt wollten sie in Gott sehen, denn diese Bezeichnung
hätte schon die Notwendigkeit der Wirkung vorausgesetzt;
sondern sie nannten ihn lediglich den „Wirkenden‟.1

Unter den philosophischen Grundansichten, welche den
Mutakallimun überliefert waren, eignete sich keine mehr als
die Atomistik, eine für ihre Zwecke brauchbare Naturauffassung
zuzulassen und ihrem theologischen Bedürfnisse zu genügen.
Die Lehren der Atomisten waren durch Aristoteles’ ausführ-
liche Darstellungen bekannt. Es existierten auch, durch das
Syrische vermittelt, Übersetzungen von Schriften, welche De-
mokrit
selbst zugeschrieben wurden,2 doch waren diese jeden-
falls nur alchymistischen Inhalts. Dagegen dürften Über-
lieferungen der skeptischen Schule von wesentlichem Einflusse
gewesen sein. Mag es im ersten Augenblick wunderlich
erscheinen, daß die griechische Atomistik, welche die absolute
Notwendigkeit des Weltgeschehens, den gesetzmäßigen Mecha-
nismus des Universums lehrt und dadurch als zum Materialis-
mus und Atheismus führend betrachtet wird, hier dazu dienen
muß, eine direkt entgegenstehende Weltauffassung zu stützen,
so genügt doch eine einzige Wendung des atomistischen Ge-
dankens, um diese Gegensätze ineinander umschlagen zu
machen. Daß die Atomisten den Zufall in der Welt regieren
lassen, ist ihnen nicht weniger oft zum Vorwurfe gemacht
worden, als daß sie die Notwendigkeit auf den Thron erheben.
Führt man das atomistische Prinzip konsequent durch, so ver-
lieren die Atome jeden Zusammenhang untereinander; gegen
die transcendenten Atome des Materialismus, ja überhaupt,

1 More Nev. I. c. 69. p. 313.
2 Munk, Mélanges etc. p. 322.
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[137/0155] Mutakallimun: Die Atomistik. zu zeigen, daß die Welt nicht ewig, sondern geschaffen sei, um von da aus auf den Schöpfer zu schließen. Um Gottes absolute Allmacht und Freiheit unantastbar zu machen und die Schöpfung der uneingeschränktesten Willkür preiszugeben, zerstückten sie jeden Zusammenhang der Erfahrungswelt und lösten Körper und Bewegung, Raum und Zeit in Splitter auf, deren unausgesetzte Schöpfung und Zusammensetzung sie dem Belieben Gottes überließen, wodurch allein ihnen die Freiheit des Welt-Wirkenden garantiert schien. Nicht den Urgrund der Welt wollten sie in Gott sehen, denn diese Bezeichnung hätte schon die Notwendigkeit der Wirkung vorausgesetzt; sondern sie nannten ihn lediglich den „Wirkenden‟. 1 Unter den philosophischen Grundansichten, welche den Mutakallimun überliefert waren, eignete sich keine mehr als die Atomistik, eine für ihre Zwecke brauchbare Naturauffassung zuzulassen und ihrem theologischen Bedürfnisse zu genügen. Die Lehren der Atomisten waren durch Aristoteles’ ausführ- liche Darstellungen bekannt. Es existierten auch, durch das Syrische vermittelt, Übersetzungen von Schriften, welche De- mokrit selbst zugeschrieben wurden, 2 doch waren diese jeden- falls nur alchymistischen Inhalts. Dagegen dürften Über- lieferungen der skeptischen Schule von wesentlichem Einflusse gewesen sein. Mag es im ersten Augenblick wunderlich erscheinen, daß die griechische Atomistik, welche die absolute Notwendigkeit des Weltgeschehens, den gesetzmäßigen Mecha- nismus des Universums lehrt und dadurch als zum Materialis- mus und Atheismus führend betrachtet wird, hier dazu dienen muß, eine direkt entgegenstehende Weltauffassung zu stützen, so genügt doch eine einzige Wendung des atomistischen Ge- dankens, um diese Gegensätze ineinander umschlagen zu machen. Daß die Atomisten den Zufall in der Welt regieren lassen, ist ihnen nicht weniger oft zum Vorwurfe gemacht worden, als daß sie die Notwendigkeit auf den Thron erheben. Führt man das atomistische Prinzip konsequent durch, so ver- lieren die Atome jeden Zusammenhang untereinander; gegen die transcendenten Atome des Materialismus, ja überhaupt, 1 More Nev. I. c. 69. p. 313. 2 Munk, Mélanges etc. p. 322.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/155>, abgerufen am 25.11.2024.