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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Aristoteles als Gegner der Atomistik.
den Erklärungsgrund der Erscheinungen zu entnehmen streben.
Unter diesen behandelt Aristoteles Leukipp und Demokrit ver-
hältnismäßig mit Auszeichnung, er läßt ihnen nicht selten
Gerechtigkeit widerfahren und widmet ihnen die ausführlichsten
Widerlegungen. Hierbei kommt es zu weitläufigen Auseinander-
setzungen über physikalische, mitunter ziemlich ins Detail
gehende Fragen, und zu einer eingehenden Darstellung des
atomistischen Systems.1 Außer den Hauptstellen sind in seinen
physikalischen Schriften zahlreiche Bemerkungen eingestreut,
welche direkt oder indirekt von den Ansichten der Atomiker
Zeugnis ablegen und sie bekämpfen. Diese Mitteilungen des
Aristoteles wurden während des Mittelalters die Hauptquelle
für die Kenntnis der alten Atomistik, da sie von jedem Ge-
lehrten studiert werden mußten. Sie gaben zunächst Ver-
anlassung zu dialektischen Übungen, sodann zu Zweifeln,
endlich zum Umsturz. An sie knüpft sich der Streit der Schule
mit den Gegnern des Aristoteles; genaue Darlegung und
übersichtliche Anordnung der Gründe des Aristoteles gegen
die Korpuskulartheorie ist daher unerläßlich.

Die aristotelischen Einwendungen lassen sich in zwei
Hauptgruppen teilen. In der ersten wird bewiesen, daß die
Annahme von Atomen unzulässig, in der zweiten, daß sie
unnötig ist.

I. Gründe gegen die Zulässigkeit der Atomistik.

Die Gründe für die Unzulässigkeit der Atome richten
sich einerseits gegen die Möglichkeit einer unteilbaren Größe,
andrerseits gegen die Möglichkeit des leeren Raumes. Jeder
dieser beiden Begriffe wird seinerseits wieder bekämpft, erstens
aus mathematischen und zweitens aus mechanischen
Gründen; d. h. erstens aus Gründen, die hergenommen sind
von der Natur des Raumes und der stetigen Größe, zweitens
aus solchen, welche aus der Betrachtung der Bewegung stammen.

A. Gründe gegen die Ezistenz des Unteilbaren.

Die Unmöglichkeit unteilbarer Größen ergibt sich aus
folgenden Begriffsbestimmungen:2

1 Die Hauptstellen sind De gen. et corr. I, 8, De coelo III. 4 u. 7, Phys. IV, 6--9.
2 Phys. V, 3. 226 b u. 227 a.

Aristoteles als Gegner der Atomistik.
den Erklärungsgrund der Erscheinungen zu entnehmen streben.
Unter diesen behandelt Aristoteles Leukipp und Demokrit ver-
hältnismäßig mit Auszeichnung, er läßt ihnen nicht selten
Gerechtigkeit widerfahren und widmet ihnen die ausführlichsten
Widerlegungen. Hierbei kommt es zu weitläufigen Auseinander-
setzungen über physikalische, mitunter ziemlich ins Detail
gehende Fragen, und zu einer eingehenden Darstellung des
atomistischen Systems.1 Außer den Hauptstellen sind in seinen
physikalischen Schriften zahlreiche Bemerkungen eingestreut,
welche direkt oder indirekt von den Ansichten der Atomiker
Zeugnis ablegen und sie bekämpfen. Diese Mitteilungen des
Aristoteles wurden während des Mittelalters die Hauptquelle
für die Kenntnis der alten Atomistik, da sie von jedem Ge-
lehrten studiert werden mußten. Sie gaben zunächst Ver-
anlassung zu dialektischen Übungen, sodann zu Zweifeln,
endlich zum Umsturz. An sie knüpft sich der Streit der Schule
mit den Gegnern des Aristoteles; genaue Darlegung und
übersichtliche Anordnung der Gründe des Aristoteles gegen
die Korpuskulartheorie ist daher unerläßlich.

Die aristotelischen Einwendungen lassen sich in zwei
Hauptgruppen teilen. In der ersten wird bewiesen, daß die
Annahme von Atomen unzulässig, in der zweiten, daß sie
unnötig ist.

I. Gründe gegen die Zulässigkeit der Atomistik.

Die Gründe für die Unzulässigkeit der Atome richten
sich einerseits gegen die Möglichkeit einer unteilbaren Größe,
andrerseits gegen die Möglichkeit des leeren Raumes. Jeder
dieser beiden Begriffe wird seinerseits wieder bekämpft, erstens
aus mathematischen und zweitens aus mechanischen
Gründen; d. h. erstens aus Gründen, die hergenommen sind
von der Natur des Raumes und der stetigen Größe, zweitens
aus solchen, welche aus der Betrachtung der Bewegung stammen.

A. Gründe gegen die Ezistenz des Unteilbaren.

Die Unmöglichkeit unteilbarer Größen ergibt sich aus
folgenden Begriffsbestimmungen:2

1 Die Hauptstellen sind De gen. et corr. I, 8, De coelo III. 4 u. 7, Phys. IV, 6—9.
2 Phys. V, 3. 226 b u. 227 a.
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[103/0121] Aristoteles als Gegner der Atomistik. den Erklärungsgrund der Erscheinungen zu entnehmen streben. Unter diesen behandelt Aristoteles Leukipp und Demokrit ver- hältnismäßig mit Auszeichnung, er läßt ihnen nicht selten Gerechtigkeit widerfahren und widmet ihnen die ausführlichsten Widerlegungen. Hierbei kommt es zu weitläufigen Auseinander- setzungen über physikalische, mitunter ziemlich ins Detail gehende Fragen, und zu einer eingehenden Darstellung des atomistischen Systems. 1 Außer den Hauptstellen sind in seinen physikalischen Schriften zahlreiche Bemerkungen eingestreut, welche direkt oder indirekt von den Ansichten der Atomiker Zeugnis ablegen und sie bekämpfen. Diese Mitteilungen des Aristoteles wurden während des Mittelalters die Hauptquelle für die Kenntnis der alten Atomistik, da sie von jedem Ge- lehrten studiert werden mußten. Sie gaben zunächst Ver- anlassung zu dialektischen Übungen, sodann zu Zweifeln, endlich zum Umsturz. An sie knüpft sich der Streit der Schule mit den Gegnern des Aristoteles; genaue Darlegung und übersichtliche Anordnung der Gründe des Aristoteles gegen die Korpuskulartheorie ist daher unerläßlich. Die aristotelischen Einwendungen lassen sich in zwei Hauptgruppen teilen. In der ersten wird bewiesen, daß die Annahme von Atomen unzulässig, in der zweiten, daß sie unnötig ist. I. Gründe gegen die Zulässigkeit der Atomistik. Die Gründe für die Unzulässigkeit der Atome richten sich einerseits gegen die Möglichkeit einer unteilbaren Größe, andrerseits gegen die Möglichkeit des leeren Raumes. Jeder dieser beiden Begriffe wird seinerseits wieder bekämpft, erstens aus mathematischen und zweitens aus mechanischen Gründen; d. h. erstens aus Gründen, die hergenommen sind von der Natur des Raumes und der stetigen Größe, zweitens aus solchen, welche aus der Betrachtung der Bewegung stammen. A. Gründe gegen die Ezistenz des Unteilbaren. Die Unmöglichkeit unteilbarer Größen ergibt sich aus folgenden Begriffsbestimmungen: 2 1 Die Hauptstellen sind De gen. et corr. I, 8, De coelo III. 4 u. 7, Phys. IV, 6—9. 2 Phys. V, 3. 226 b u. 227 a.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/121>, abgerufen am 22.11.2024.