In diesem Kosmos herrscht das Gesetz des Zweckes, dessen scheinbare Abweichungen aus dem Widerstand der Materie erklärt werden, was allerdings im einzelnen der Willkür freien Spielraum läßt. Im ganzen aber, entsprechend der ästhetischen Richtung des griechischen Geistes auf die schöne Form, waltet Harmonie und Einklang.
Der Übergang der Elemente in einander hängt von der Bewegung des Himmels ab. Darauf wird Aristoteles durch den Einfluß der Tages- und Jahreszeiten, also astronomischer Vorgänge, auf die Entwickelung des organischen Lebens hin- gewiesen. Denn in Folge des allgemeinen Naturzusammen- hangs wird alles Bewegte von einem andern bewegt, und das erste Bewegende, von dem alle Bewegung ausgeht, ist der Himmel. Wärme und Kälte sind die aktiven Grundeigen- schaften der Elemente, und sie werden beeinflußt von den Gestirnen. Wäre nun die Bewegung der Gestirne in Bezug auf die Erde stets eine gleichartige, so würde sie nach Aristoteles auch nur eine gleichartige Wirkung hervorbringen können -- ein ewiges Werden oder ein ewiges Vergehen. Sie ist aber ungleichmäßig, und zwar wegen der Neigung der Ekliptik, der Schiefe der Sonnenbahn. Weil die Sonne den verschiedenen Teilen der Erde bald näher, bald ferner steht, lösen sich Ent- stehen und Vergehen in ewigem Wechsel auf Erden ab. Im Frühjahr sprießt das Leben in Blüten auf, im Winter geht es zu Grunde. Wer vermag die Komplikation der Einflüsse zu erkennen? Den Menschen zeugt der Mensch und auch die Sonne1 -- dieser Satz könnte etwa in einem modernen populären Aufsatze über die Erhaltung der Kraft stehen -- er besagt weiter nichts, als daß das organische Leben physiologischen und kosmischen Einflüssen unterworfen ist. Unmittelbarer und in anderer Weise vermittelt mag sich Aristoteles den Zusammen- hang zwischen kosmischen und elementaren Vorgängen vor- stellen, weil aus Mangel an physikalischen Einzelkenntnissen zufällige äußere Ähnlichkeiten in den Eigenschaften der Dinge für innere Beziehungen genommen wurden -- aber es ist kein Grund vorhanden, aus dergleichen Behauptungen, welche uns wie eine Frucht des Aberglaubens erscheinen, auf Unwissen-
1 Phys. II, 2, p. 194 b. 13: #.
Aristoteles: Der kosmische Zusammenhang.
In diesem Kosmos herrscht das Gesetz des Zweckes, dessen scheinbare Abweichungen aus dem Widerstand der Materie erklärt werden, was allerdings im einzelnen der Willkür freien Spielraum läßt. Im ganzen aber, entsprechend der ästhetischen Richtung des griechischen Geistes auf die schöne Form, waltet Harmonie und Einklang.
Der Übergang der Elemente in einander hängt von der Bewegung des Himmels ab. Darauf wird Aristoteles durch den Einfluß der Tages- und Jahreszeiten, also astronomischer Vorgänge, auf die Entwickelung des organischen Lebens hin- gewiesen. Denn in Folge des allgemeinen Naturzusammen- hangs wird alles Bewegte von einem andern bewegt, und das erste Bewegende, von dem alle Bewegung ausgeht, ist der Himmel. Wärme und Kälte sind die aktiven Grundeigen- schaften der Elemente, und sie werden beeinflußt von den Gestirnen. Wäre nun die Bewegung der Gestirne in Bezug auf die Erde stets eine gleichartige, so würde sie nach Aristoteles auch nur eine gleichartige Wirkung hervorbringen können — ein ewiges Werden oder ein ewiges Vergehen. Sie ist aber ungleichmäßig, und zwar wegen der Neigung der Ekliptik, der Schiefe der Sonnenbahn. Weil die Sonne den verschiedenen Teilen der Erde bald näher, bald ferner steht, lösen sich Ent- stehen und Vergehen in ewigem Wechsel auf Erden ab. Im Frühjahr sprießt das Leben in Blüten auf, im Winter geht es zu Grunde. Wer vermag die Komplikation der Einflüsse zu erkennen? Den Menschen zeugt der Mensch und auch die Sonne1 — dieser Satz könnte etwa in einem modernen populären Aufsatze über die Erhaltung der Kraft stehen — er besagt weiter nichts, als daß das organische Leben physiologischen und kosmischen Einflüssen unterworfen ist. Unmittelbarer und in anderer Weise vermittelt mag sich Aristoteles den Zusammen- hang zwischen kosmischen und elementaren Vorgängen vor- stellen, weil aus Mangel an physikalischen Einzelkenntnissen zufällige äußere Ähnlichkeiten in den Eigenschaften der Dinge für innere Beziehungen genommen wurden — aber es ist kein Grund vorhanden, aus dergleichen Behauptungen, welche uns wie eine Frucht des Aberglaubens erscheinen, auf Unwissen-
1 Phys. II, 2, p. 194 b. 13: #.
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Aristoteles: Der kosmische Zusammenhang.
In diesem Kosmos herrscht das Gesetz des Zweckes, dessen
scheinbare Abweichungen aus dem Widerstand der Materie
erklärt werden, was allerdings im einzelnen der Willkür freien
Spielraum läßt. Im ganzen aber, entsprechend der ästhetischen
Richtung des griechischen Geistes auf die schöne Form, waltet
Harmonie und Einklang.
Der Übergang der Elemente in einander hängt von der
Bewegung des Himmels ab. Darauf wird Aristoteles durch
den Einfluß der Tages- und Jahreszeiten, also astronomischer
Vorgänge, auf die Entwickelung des organischen Lebens hin-
gewiesen. Denn in Folge des allgemeinen Naturzusammen-
hangs wird alles Bewegte von einem andern bewegt, und das
erste Bewegende, von dem alle Bewegung ausgeht, ist der
Himmel. Wärme und Kälte sind die aktiven Grundeigen-
schaften der Elemente, und sie werden beeinflußt von den
Gestirnen. Wäre nun die Bewegung der Gestirne in Bezug
auf die Erde stets eine gleichartige, so würde sie nach Aristoteles
auch nur eine gleichartige Wirkung hervorbringen können —
ein ewiges Werden oder ein ewiges Vergehen. Sie ist aber
ungleichmäßig, und zwar wegen der Neigung der Ekliptik, der
Schiefe der Sonnenbahn. Weil die Sonne den verschiedenen
Teilen der Erde bald näher, bald ferner steht, lösen sich Ent-
stehen und Vergehen in ewigem Wechsel auf Erden ab. Im
Frühjahr sprießt das Leben in Blüten auf, im Winter geht es
zu Grunde. Wer vermag die Komplikation der Einflüsse zu
erkennen? Den Menschen zeugt der Mensch und auch die
Sonne 1 — dieser Satz könnte etwa in einem modernen populären
Aufsatze über die Erhaltung der Kraft stehen — er besagt
weiter nichts, als daß das organische Leben physiologischen
und kosmischen Einflüssen unterworfen ist. Unmittelbarer und
in anderer Weise vermittelt mag sich Aristoteles den Zusammen-
hang zwischen kosmischen und elementaren Vorgängen vor-
stellen, weil aus Mangel an physikalischen Einzelkenntnissen
zufällige äußere Ähnlichkeiten in den Eigenschaften der Dinge
für innere Beziehungen genommen wurden — aber es ist kein
Grund vorhanden, aus dergleichen Behauptungen, welche uns
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1 Phys. II, 2, p. 194 b. 13: #.
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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/119>, abgerufen am 22.11.2024.
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