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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Aristoteles als notwendiger Ausgangspunkt.
dem Begriff der substanziellen Formen, welcher ihr Denken
beherrschte. Die Schule, durch welche sie selbst in ihren
Jünglingsjahren gegangen, wirkte bewußt oder unbewußt auf
ihre Manneskraft; in sich selbst mußten sie den Entwickelungs-
prozeß durchmachen, der sie von den Vorurteilen der Schule
befreite. Und nicht minder stand die Gewalt der aristotelischen
Lehre, deren Urheber als praecursor Christi in naturalibus
von der Kirche mit einer unantastbaren Autorität versehen,
deren Geist in der Gesamtbildung der Jahrhunderte festge-
wurzelt war, der äußeren Aufnahme und Verbreitung neuer und
andersartiger Begriffe hemmend entgegen. Es ist vielleicht
der größte Kampf, der auf dem Gebiete der Erkenntnis
ausgefochten wurde, welcher im 17. Jahrhundert die
aristotelische Physik stürzte. Die einzelnen Phasen dieses
Kampfes sind nur zu verstehen, wenn man zuvor des Inhalts
der aristotelischen Lehre sich bemächtigt hat. Von ihr muß
die geschichtliche Darstellung der Korpuskulartheorie ihren
Ausgang nehmen. Wir können daher, obwohl es an trefflichen
Darstellungen der aristotelischen Philosophie nicht fehlt, uns
der Aufgabe nicht entziehen, in Rücksicht auf unsren besondren
Zweck die für die Theorie der Materie in Betracht kommenden
Teile derselben im Folgenden ausführlich zu entwickeln.

2. Das Bekanntwerden der aristotelischen Physik.

Durch syrische Christen, welche als Ärzte unter den
Arabern verkehrten, erhielten diese Kenntnis von den Schriften
griechischer Philosophen. Nachdem schon vorher medizinische
Schriften zuerst in das Syrische, dann aus dem Syrischen ins
Arabische übersetzt worden waren, wurden Werke des Aristo-
teles
zuerst unter der Herrschaft von Almamun (813--833) ins
Arabische übertragen. Neue Übersetzungen, welche im 10. Jahr-
hundert durch christliche Syrer (Abu Bischr Matta, Jahja ben
Adi, Isa ben Zaraa
u. a.) angefertigt wurden, fanden die
weiteste Verbreitung und förderten wesentlich das Studium der
Philosophie; sie sind es, deren sich Männer wie Ibn Sina
(Avicenna)
und Ibn Roschd (Averroes) bedienten. Infolge
der Neigung der Araber zu medizinischen und naturwissen-
schaftlichen Studien fanden bei ihnen auch die physikalischen

Aristoteles als notwendiger Ausgangspunkt.
dem Begriff der substanziellen Formen, welcher ihr Denken
beherrschte. Die Schule, durch welche sie selbst in ihren
Jünglingsjahren gegangen, wirkte bewußt oder unbewußt auf
ihre Manneskraft; in sich selbst mußten sie den Entwickelungs-
prozeß durchmachen, der sie von den Vorurteilen der Schule
befreite. Und nicht minder stand die Gewalt der aristotelischen
Lehre, deren Urheber als praecursor Christi in naturalibus
von der Kirche mit einer unantastbaren Autorität versehen,
deren Geist in der Gesamtbildung der Jahrhunderte festge-
wurzelt war, der äußeren Aufnahme und Verbreitung neuer und
andersartiger Begriffe hemmend entgegen. Es ist vielleicht
der größte Kampf, der auf dem Gebiete der Erkenntnis
ausgefochten wurde, welcher im 17. Jahrhundert die
aristotelische Physik stürzte. Die einzelnen Phasen dieses
Kampfes sind nur zu verstehen, wenn man zuvor des Inhalts
der aristotelischen Lehre sich bemächtigt hat. Von ihr muß
die geschichtliche Darstellung der Korpuskulartheorie ihren
Ausgang nehmen. Wir können daher, obwohl es an trefflichen
Darstellungen der aristotelischen Philosophie nicht fehlt, uns
der Aufgabe nicht entziehen, in Rücksicht auf unsren besondren
Zweck die für die Theorie der Materie in Betracht kommenden
Teile derselben im Folgenden ausführlich zu entwickeln.

2. Das Bekanntwerden der aristotelischen Physik.

Durch syrische Christen, welche als Ärzte unter den
Arabern verkehrten, erhielten diese Kenntnis von den Schriften
griechischer Philosophen. Nachdem schon vorher medizinische
Schriften zuerst in das Syrische, dann aus dem Syrischen ins
Arabische übersetzt worden waren, wurden Werke des Aristo-
teles
zuerst unter der Herrschaft von Almamun (813—833) ins
Arabische übertragen. Neue Übersetzungen, welche im 10. Jahr-
hundert durch christliche Syrer (Abu Bischr Matta, Jahja ben
Adi, Isa ben Zaraa
u. a.) angefertigt wurden, fanden die
weiteste Verbreitung und förderten wesentlich das Studium der
Philosophie; sie sind es, deren sich Männer wie Ibn Sina
(Avicenna)
und Ibn Roschd (Averroes) bedienten. Infolge
der Neigung der Araber zu medizinischen und naturwissen-
schaftlichen Studien fanden bei ihnen auch die physikalischen

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[85/0103] Aristoteles als notwendiger Ausgangspunkt. dem Begriff der substanziellen Formen, welcher ihr Denken beherrschte. Die Schule, durch welche sie selbst in ihren Jünglingsjahren gegangen, wirkte bewußt oder unbewußt auf ihre Manneskraft; in sich selbst mußten sie den Entwickelungs- prozeß durchmachen, der sie von den Vorurteilen der Schule befreite. Und nicht minder stand die Gewalt der aristotelischen Lehre, deren Urheber als praecursor Christi in naturalibus von der Kirche mit einer unantastbaren Autorität versehen, deren Geist in der Gesamtbildung der Jahrhunderte festge- wurzelt war, der äußeren Aufnahme und Verbreitung neuer und andersartiger Begriffe hemmend entgegen. Es ist vielleicht der größte Kampf, der auf dem Gebiete der Erkenntnis ausgefochten wurde, welcher im 17. Jahrhundert die aristotelische Physik stürzte. Die einzelnen Phasen dieses Kampfes sind nur zu verstehen, wenn man zuvor des Inhalts der aristotelischen Lehre sich bemächtigt hat. Von ihr muß die geschichtliche Darstellung der Korpuskulartheorie ihren Ausgang nehmen. Wir können daher, obwohl es an trefflichen Darstellungen der aristotelischen Philosophie nicht fehlt, uns der Aufgabe nicht entziehen, in Rücksicht auf unsren besondren Zweck die für die Theorie der Materie in Betracht kommenden Teile derselben im Folgenden ausführlich zu entwickeln. 2. Das Bekanntwerden der aristotelischen Physik. Durch syrische Christen, welche als Ärzte unter den Arabern verkehrten, erhielten diese Kenntnis von den Schriften griechischer Philosophen. Nachdem schon vorher medizinische Schriften zuerst in das Syrische, dann aus dem Syrischen ins Arabische übersetzt worden waren, wurden Werke des Aristo- teles zuerst unter der Herrschaft von Almamun (813—833) ins Arabische übertragen. Neue Übersetzungen, welche im 10. Jahr- hundert durch christliche Syrer (Abu Bischr Matta, Jahja ben Adi, Isa ben Zaraa u. a.) angefertigt wurden, fanden die weiteste Verbreitung und förderten wesentlich das Studium der Philosophie; sie sind es, deren sich Männer wie Ibn Sina (Avicenna) und Ibn Roschd (Averroes) bedienten. Infolge der Neigung der Araber zu medizinischen und naturwissen- schaftlichen Studien fanden bei ihnen auch die physikalischen

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/103>, abgerufen am 22.11.2024.