Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Objektivierung der Sinnesempfindungen.
Erscheinungen der Farben waren der Menschheit immer be-
kannt, aber ihre begriffliche Fixierung ist erst Newton durch
die Größe des Brechungsindex und weiterhin der Undulations-
theorie durch die Bestimmung der Wellenlänge gelungen; seit-
dem sind die Farben Natur geworden; vorher waren sie nur
ein Erlebnis mehr oder weniger subjektiver Art. Zwar besaßen
sie auch eine gewisse Objektivität, insofern sie nach Regeln
technisch erzeugt werden konnten; aber diese Stufe der Wirk-
lichkeit beruhte auf sinnlicher Vergleichung, nicht auf be-
grifflicher Fixierung; erst die Einreihung in die mathematisch
darstellbare Erfahrung gab ihnen den Charakter wissenschaft-
licher Objektivität. Die Objektivität der Natur erstreckt sich
nur, soweit wir die Natur gesetzlich beherrschen. In der gegen-
wärtigen Entwickelung des menschlichen Denkens sind wir mit
der Erkenntnis der Gerüche nicht weiter, als mit den Tönen
und Farben vor ihrer begrifflichen Fixierung. Es sind Em-
pfindungen, die hauptsächlich Wert haben durch ihren Ge-
fühlston und als Zeichen andrer Erscheinungen dienen können;
so war es mit den Tönen, so mit den Farben. Gerüche be-
sitzen nur Objektivität, insofern sie mit gesetzlichen Erschei-
nungen gesetzlich verknüpfbar sind. Zur naturwissenschaft-
lichen Objektivierung derselben durch das Denken gehört ihre
mathematische Theorie. Wenn dieselbe der Menschheit ge-
schenkt sein wird, dann wird das Gebiet der objektiven Natur
um eine neue Provinz bereichert sein, und niemand vermag zu
sagen, welche neuen Thatsachen der Erfahrung, welche neuen
Verkehrsmittel der Bewußtseinszentren mit dieser Objekti-
vierung der Empfindung verknüpft sein werden. Eine wissen-
schaftliche Ozotik würde ebenso wie die Akustik und die
Optik neue Naturobjekte schaffen. Dieselben sind jetzt so
wenig vorhanden, wie die Spektrallinien für Aristoteles. Sie
werden einst vorhanden sein; zwischen Pythagoras und Newton
lagen über zwei Jahrtausende.

Unter diesem Gesichtspunkte dürfen wir auch das aristote-
lische Wissen von der Natur, insofern es systematische Wissen-
schaft enthielt, nicht ohne weiteres falsch nennen; es war nur
das Wissen von einer andren Natur, die Erzeugung eines
andren Naturinhalts als des unsren, welchen wir durch die
Galilei-Newtonsche Naturwissenschaft objektivieren. Und

Objektivierung der Sinnesempfindungen.
Erscheinungen der Farben waren der Menschheit immer be-
kannt, aber ihre begriffliche Fixierung ist erst Newton durch
die Größe des Brechungsindex und weiterhin der Undulations-
theorie durch die Bestimmung der Wellenlänge gelungen; seit-
dem sind die Farben Natur geworden; vorher waren sie nur
ein Erlebnis mehr oder weniger subjektiver Art. Zwar besaßen
sie auch eine gewisse Objektivität, insofern sie nach Regeln
technisch erzeugt werden konnten; aber diese Stufe der Wirk-
lichkeit beruhte auf sinnlicher Vergleichung, nicht auf be-
grifflicher Fixierung; erst die Einreihung in die mathematisch
darstellbare Erfahrung gab ihnen den Charakter wissenschaft-
licher Objektivität. Die Objektivität der Natur erstreckt sich
nur, soweit wir die Natur gesetzlich beherrschen. In der gegen-
wärtigen Entwickelung des menschlichen Denkens sind wir mit
der Erkenntnis der Gerüche nicht weiter, als mit den Tönen
und Farben vor ihrer begrifflichen Fixierung. Es sind Em-
pfindungen, die hauptsächlich Wert haben durch ihren Ge-
fühlston und als Zeichen andrer Erscheinungen dienen können;
so war es mit den Tönen, so mit den Farben. Gerüche be-
sitzen nur Objektivität, insofern sie mit gesetzlichen Erschei-
nungen gesetzlich verknüpfbar sind. Zur naturwissenschaft-
lichen Objektivierung derselben durch das Denken gehört ihre
mathematische Theorie. Wenn dieselbe der Menschheit ge-
schenkt sein wird, dann wird das Gebiet der objektiven Natur
um eine neue Provinz bereichert sein, und niemand vermag zu
sagen, welche neuen Thatsachen der Erfahrung, welche neuen
Verkehrsmittel der Bewußtseinszentren mit dieser Objekti-
vierung der Empfindung verknüpft sein werden. Eine wissen-
schaftliche Ozotik würde ebenso wie die Akustik und die
Optik neue Naturobjekte schaffen. Dieselben sind jetzt so
wenig vorhanden, wie die Spektrallinien für Aristoteles. Sie
werden einst vorhanden sein; zwischen Pythagoras und Newton
lagen über zwei Jahrtausende.

Unter diesem Gesichtspunkte dürfen wir auch das aristote-
lische Wissen von der Natur, insofern es systematische Wissen-
schaft enthielt, nicht ohne weiteres falsch nennen; es war nur
das Wissen von einer andren Natur, die Erzeugung eines
andren Naturinhalts als des unsren, welchen wir durch die
Galilei-Newtonsche Naturwissenschaft objektivieren. Und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0100" n="82"/><fw place="top" type="header">Objektivierung der Sinnesempfindungen.</fw><lb/>
Erscheinungen der Farben waren der Menschheit immer be-<lb/>
kannt, aber ihre begriffliche Fixierung ist erst <hi rendition="#k">Newton</hi> durch<lb/>
die Größe des Brechungsindex und weiterhin der Undulations-<lb/>
theorie durch die Bestimmung der Wellenlänge gelungen; seit-<lb/>
dem sind die Farben Natur geworden; vorher waren sie nur<lb/>
ein Erlebnis mehr oder weniger subjektiver Art. Zwar besaßen<lb/>
sie auch eine gewisse Objektivität, insofern sie nach Regeln<lb/>
technisch erzeugt werden konnten; aber diese Stufe der Wirk-<lb/>
lichkeit beruhte auf sinnlicher Vergleichung, nicht auf be-<lb/>
grifflicher Fixierung; erst die Einreihung in die mathematisch<lb/>
darstellbare Erfahrung gab ihnen den Charakter wissenschaft-<lb/>
licher Objektivität. Die Objektivität der Natur erstreckt sich<lb/>
nur, soweit wir die Natur gesetzlich beherrschen. In der gegen-<lb/>
wärtigen Entwickelung des menschlichen Denkens sind wir mit<lb/>
der Erkenntnis der Gerüche nicht weiter, als mit den Tönen<lb/>
und Farben vor ihrer begrifflichen Fixierung. Es sind Em-<lb/>
pfindungen, die hauptsächlich Wert haben durch ihren Ge-<lb/>
fühlston und als Zeichen andrer Erscheinungen dienen können;<lb/>
so war es mit den Tönen, so mit den Farben. Gerüche be-<lb/>
sitzen nur Objektivität, insofern sie mit gesetzlichen Erschei-<lb/>
nungen gesetzlich verknüpfbar sind. Zur naturwissenschaft-<lb/>
lichen Objektivierung derselben durch das Denken gehört ihre<lb/>
mathematische Theorie. Wenn dieselbe der Menschheit ge-<lb/>
schenkt sein wird, dann wird das Gebiet der objektiven Natur<lb/>
um eine neue Provinz bereichert sein, und niemand vermag zu<lb/>
sagen, welche neuen Thatsachen der Erfahrung, welche neuen<lb/>
Verkehrsmittel der Bewußtseinszentren mit dieser Objekti-<lb/>
vierung der Empfindung verknüpft sein werden. Eine wissen-<lb/>
schaftliche Ozotik würde ebenso wie die Akustik und die<lb/>
Optik neue Naturobjekte schaffen. Dieselben sind jetzt so<lb/>
wenig vorhanden, wie die Spektrallinien für <hi rendition="#k">Aristoteles</hi>. Sie<lb/>
werden einst vorhanden sein; zwischen <hi rendition="#k">Pythagoras</hi> und <hi rendition="#k">Newton</hi><lb/>
lagen über zwei Jahrtausende.</p><lb/>
            <p>Unter diesem Gesichtspunkte dürfen wir auch das aristote-<lb/>
lische Wissen von der Natur, insofern es systematische Wissen-<lb/>
schaft enthielt, nicht ohne weiteres falsch nennen; es war nur<lb/>
das Wissen von einer andren Natur, die Erzeugung eines<lb/>
andren Naturinhalts als des unsren, welchen wir durch die<lb/><hi rendition="#k">Galilei-Newton</hi>sche Naturwissenschaft objektivieren. Und<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0100] Objektivierung der Sinnesempfindungen. Erscheinungen der Farben waren der Menschheit immer be- kannt, aber ihre begriffliche Fixierung ist erst Newton durch die Größe des Brechungsindex und weiterhin der Undulations- theorie durch die Bestimmung der Wellenlänge gelungen; seit- dem sind die Farben Natur geworden; vorher waren sie nur ein Erlebnis mehr oder weniger subjektiver Art. Zwar besaßen sie auch eine gewisse Objektivität, insofern sie nach Regeln technisch erzeugt werden konnten; aber diese Stufe der Wirk- lichkeit beruhte auf sinnlicher Vergleichung, nicht auf be- grifflicher Fixierung; erst die Einreihung in die mathematisch darstellbare Erfahrung gab ihnen den Charakter wissenschaft- licher Objektivität. Die Objektivität der Natur erstreckt sich nur, soweit wir die Natur gesetzlich beherrschen. In der gegen- wärtigen Entwickelung des menschlichen Denkens sind wir mit der Erkenntnis der Gerüche nicht weiter, als mit den Tönen und Farben vor ihrer begrifflichen Fixierung. Es sind Em- pfindungen, die hauptsächlich Wert haben durch ihren Ge- fühlston und als Zeichen andrer Erscheinungen dienen können; so war es mit den Tönen, so mit den Farben. Gerüche be- sitzen nur Objektivität, insofern sie mit gesetzlichen Erschei- nungen gesetzlich verknüpfbar sind. Zur naturwissenschaft- lichen Objektivierung derselben durch das Denken gehört ihre mathematische Theorie. Wenn dieselbe der Menschheit ge- schenkt sein wird, dann wird das Gebiet der objektiven Natur um eine neue Provinz bereichert sein, und niemand vermag zu sagen, welche neuen Thatsachen der Erfahrung, welche neuen Verkehrsmittel der Bewußtseinszentren mit dieser Objekti- vierung der Empfindung verknüpft sein werden. Eine wissen- schaftliche Ozotik würde ebenso wie die Akustik und die Optik neue Naturobjekte schaffen. Dieselben sind jetzt so wenig vorhanden, wie die Spektrallinien für Aristoteles. Sie werden einst vorhanden sein; zwischen Pythagoras und Newton lagen über zwei Jahrtausende. Unter diesem Gesichtspunkte dürfen wir auch das aristote- lische Wissen von der Natur, insofern es systematische Wissen- schaft enthielt, nicht ohne weiteres falsch nennen; es war nur das Wissen von einer andren Natur, die Erzeugung eines andren Naturinhalts als des unsren, welchen wir durch die Galilei-Newtonsche Naturwissenschaft objektivieren. Und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/100
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/100>, abgerufen am 25.11.2024.