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Lassalle, Ferdinand: Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klassen. Zürich, 1863.

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die verringerte Nachfrage nach Arbeit. Wie soll da gar von
einem Steigen des Arbeitslohns die Rede sein?

Aber dies ist nur der erste Grund. Der zweite ist fol-
gender:

Ja, wenn irgendwo, wie das z. B. in Jrland und beim
indischen Ryot der Fall ist, der Arbeitslohn bereits so steht, daß
er schlechterdings nur die zur allernothdürftigsten Lebens-
fristung erforderlichen Gegenstände gewährt, dann muß aller-
dings die Steigerung des Getreidepreises auch eine Steigerung
des Arbeitslohns nach sich ziehen. Das ist wahr. Nur daß
die Oekonomen die Vermittlung zu verschweigen lieben,
durch welche sich diese Lohnsteigerung in der Wirklichkeit voll-
zieht. Man spricht nicht mehr gern von diesen Vermittlungen.
Es gilt von diesen Vermittlungen, was Mephisto im II. Theil
des Faust von den Müttern sagt:

"Von ihnen sprechen ist -- Verlegenheit!"

Und wenn ich auch, gleichfalls mit Mephisto, an jener
Stelle sagen kann:

"Ungern verrath ich höheres Geheimniß."

so bin ich doch eben so gut wie Mephisto durch den Zusammen-
hang dazu gezwungen.

Diese Vermittlung ist folgende: Wenn irgendwo, wie bei
den Jrländern oder den indischen Ryots der Arbeitslohn bereits
auf dem alleruntersten Minimum dessen, was zur Lebensfristung
erforderlich ist, steht, dann -- ich verweise Sie auf Malthus,
auf des Abbe Raynal Histoire des deux Indes, auf Mill's Hi-
story of British India
-- dann bringt der gesteigerte Getreide-
preis die Krankheiten, die Atrophie, den Hungertod unter
dem Arbeiterstand hervor. Wir kennen diese Erscheinungen
unter dem Namen des schlesischen Webertyphus auch
bei uns! Und wenn nun der Würgeengel lange genug unter
den Arbeitern gewüthet hat, wenn er sie lange genug nieder-
gemäht und verhindert hat, neue Familien zu bilden, wenn er
also durch die "präventiven und die destructiven Hindernisse", wie
die Malthus'schen Kunstausdrücke lauten, ihre Reihen hinrei-
chend gelichtet hat -- dann allerdings, ja dann, meine Herren,
dann wird nun, indem sich jetzt die Arbeiterzahl verringert und
also das Angebot von Arbeitshänden sich entsprechend gegen die
Nachfrage vermindert hat, auch der Arbeitslohn um die durch
die Steuern hervorgebrachte Steigerung des Getreidepreises

die verringerte Nachfrage nach Arbeit. Wie ſoll da gar von
einem Steigen des Arbeitslohns die Rede ſein?

Aber dies iſt nur der erſte Grund. Der zweite iſt fol-
gender:

Ja, wenn irgendwo, wie das z. B. in Jrland und beim
indiſchen Ryot der Fall iſt, der Arbeitslohn bereits ſo ſteht, daß
er ſchlechterdings nur die zur allernothdürftigſten Lebens-
friſtung erforderlichen Gegenſtände gewährt, dann muß aller-
dings die Steigerung des Getreidepreiſes auch eine Steigerung
des Arbeitslohns nach ſich ziehen. Das iſt wahr. Nur daß
die Oekonomen die Vermittlung zu verſchweigen lieben,
durch welche ſich dieſe Lohnſteigerung in der Wirklichkeit voll-
zieht. Man ſpricht nicht mehr gern von dieſen Vermittlungen.
Es gilt von dieſen Vermittlungen, was Mephiſto im II. Theil
des Fauſt von den Müttern ſagt:

„Von ihnen ſprechen iſt — Verlegenheit!

Und wenn ich auch, gleichfalls mit Mephiſto, an jener
Stelle ſagen kann:

„Ungern verrath ich höheres Geheimniß.“

ſo bin ich doch eben ſo gut wie Mephiſto durch den Zuſammen-
hang dazu gezwungen.

Dieſe Vermittlung iſt folgende: Wenn irgendwo, wie bei
den Jrländern oder den indiſchen Ryots der Arbeitslohn bereits
auf dem allerunterſten Minimum deſſen, was zur Lebensfriſtung
erforderlich iſt, ſteht, dann — ich verweiſe Sie auf Malthus,
auf des Abbé Raynal Histoire des deux Indes, auf Mill’s Hi-
story of British India
— dann bringt der geſteigerte Getreide-
preis die Krankheiten, die Atrophie, den Hungertod unter
dem Arbeiterſtand hervor. Wir kennen dieſe Erſcheinungen
unter dem Namen des ſchleſiſchen Webertyphus auch
bei uns! Und wenn nun der Würgeengel lange genug unter
den Arbeitern gewüthet hat, wenn er ſie lange genug nieder-
gemäht und verhindert hat, neue Familien zu bilden, wenn er
alſo durch die „präventiven und die deſtructiven Hinderniſſe“, wie
die Malthus’ſchen Kunſtausdrücke lauten, ihre Reihen hinrei-
chend gelichtet hat — dann allerdings, ja dann, meine Herren,
dann wird nun, indem ſich jetzt die Arbeiterzahl verringert und
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[41/0047] die verringerte Nachfrage nach Arbeit. Wie ſoll da gar von einem Steigen des Arbeitslohns die Rede ſein? Aber dies iſt nur der erſte Grund. Der zweite iſt fol- gender: Ja, wenn irgendwo, wie das z. B. in Jrland und beim indiſchen Ryot der Fall iſt, der Arbeitslohn bereits ſo ſteht, daß er ſchlechterdings nur die zur allernothdürftigſten Lebens- friſtung erforderlichen Gegenſtände gewährt, dann muß aller- dings die Steigerung des Getreidepreiſes auch eine Steigerung des Arbeitslohns nach ſich ziehen. Das iſt wahr. Nur daß die Oekonomen die Vermittlung zu verſchweigen lieben, durch welche ſich dieſe Lohnſteigerung in der Wirklichkeit voll- zieht. Man ſpricht nicht mehr gern von dieſen Vermittlungen. Es gilt von dieſen Vermittlungen, was Mephiſto im II. Theil des Fauſt von den Müttern ſagt: „Von ihnen ſprechen iſt — Verlegenheit!“ Und wenn ich auch, gleichfalls mit Mephiſto, an jener Stelle ſagen kann: „Ungern verrath ich höheres Geheimniß.“ ſo bin ich doch eben ſo gut wie Mephiſto durch den Zuſammen- hang dazu gezwungen. Dieſe Vermittlung iſt folgende: Wenn irgendwo, wie bei den Jrländern oder den indiſchen Ryots der Arbeitslohn bereits auf dem allerunterſten Minimum deſſen, was zur Lebensfriſtung erforderlich iſt, ſteht, dann — ich verweiſe Sie auf Malthus, auf des Abbé Raynal Histoire des deux Indes, auf Mill’s Hi- story of British India — dann bringt der geſteigerte Getreide- preis die Krankheiten, die Atrophie, den Hungertod unter dem Arbeiterſtand hervor. Wir kennen dieſe Erſcheinungen unter dem Namen des ſchleſiſchen Webertyphus auch bei uns! Und wenn nun der Würgeengel lange genug unter den Arbeitern gewüthet hat, wenn er ſie lange genug nieder- gemäht und verhindert hat, neue Familien zu bilden, wenn er alſo durch die „präventiven und die deſtructiven Hinderniſſe“, wie die Malthus’ſchen Kunſtausdrücke lauten, ihre Reihen hinrei- chend gelichtet hat — dann allerdings, ja dann, meine Herren, dann wird nun, indem ſich jetzt die Arbeiterzahl verringert und alſo das Angebot von Arbeitshänden ſich entſprechend gegen die Nachfrage vermindert hat, auch der Arbeitslohn um die durch die Steuern hervorgebrachte Steigerung des Getreidepreiſes

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Zitationshilfe: Lassalle, Ferdinand: Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klassen. Zürich, 1863, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lassalle_steuer_1863/47>, abgerufen am 21.11.2024.