Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lassalle, Ferdinand: Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klassen. Zürich, 1863.

Bild:
<< vorherige Seite

schlecht und halb wissen entfernt weit mehr von den Lehren
der Wissenschaft und der Fähigkeit, sie aufzunehmen, als gar
nicht wissen.
--

Freilich sind die Arbeiter noch nicht in dem Sinne gebildet,
daß sie die Resultate der Wissenschaft bereits besäßen. Sehen
wir doch einen Theil derselben sogar noch die Nichts-als-Frei-
händler umjubeln, wenn sie ihnen Dinge vortragen, von welchen
sich alle, die wahrhaft die Wissenschaft der Nationalökonomie
verstehen, verwundert fragen: ist das reine Unwissenheit, oder
treiben diese Herren Spott und Hohn mit diesen armen Leuten?

Schließt das aber die Fähigkeit der Arbeiter aus, auch
die wahren Lehren der Wissenschaft zu begreifen, sobald sie erst
an sie gebracht werden?

Jst das nicht vielmehr gerade ein Grund mehr, ihnen
dieselben vorzutragen und sie mit ihren Resultaten zu durch-
dringen? Blicken Sie auf England! Nichts ist dort gewöhn-
licher, als daß selbst Minister in die Arbeiterversammlungen
gehen und ihnen Vorträge über die schwierigsten Themata hal-
ten. Am 1. Nov. 1854 hält Palmerston den Taglöhnern von
Hampshire einen Vortrag gegen das Dogma der Erbsünde. Am
6. Nov. 1856 hält derselbe Arbeitern in Manchester einen Vor-
trag über die doppelte Natur des Menschen, die intellectuelle und
moralische, und über den Charakter unserer Zeit. Jm Jahr 1854
hält Lord John Russel den Arbeitern einen Vortrag über die
Hindernisse, welche dem Fortschritt der Civilisation ent-
gegenstehen.

Und gerade was das Verhältniß der directen und indirec-
ten Steuern betrifft, wo wäre es mehr am Ort die Lehren hier-
über, die gerade das Aufreizende meines Vortrags bilden sollen,
zu verkünden, als eben im Arbeiterstande?

Wollen Sie den Hauptgrund wissen, der von den An-
hängern der Routine zu Gunsten der indirecten Steuer geltend
gemacht wird? Er besteht darin, daß, wie verderblich auch die
indirecte Steuer sei, doch die Einziehung eines gleichen Be-
trages durch die directe Steuer gerade wegen des Widerwillens,
auf welchen eine solche Maßregel im niedern Volke stoßen würde,
unmöglich sei. Das Volk hasse den Steuerdiener und werde
niemals einwilligen eine solche Summe durch die directe Steuer,
also mit dem Bewußtsein, daß es steuere, aufzubringen; wäh-
rend es bei der indirecten Steuer dieses Bewußtsein nicht habe

ſchlecht und halb wiſſen entfernt weit mehr von den Lehren
der Wiſſenſchaft und der Fähigkeit, ſie aufzunehmen, als gar
nicht wiſſen.

Freilich ſind die Arbeiter noch nicht in dem Sinne gebildet,
daß ſie die Reſultate der Wiſſenſchaft bereits beſäßen. Sehen
wir doch einen Theil derſelben ſogar noch die Nichts-als-Frei-
händler umjubeln, wenn ſie ihnen Dinge vortragen, von welchen
ſich alle, die wahrhaft die Wiſſenſchaft der Nationalökonomie
verſtehen, verwundert fragen: iſt das reine Unwiſſenheit, oder
treiben dieſe Herren Spott und Hohn mit dieſen armen Leuten?

Schließt das aber die Fähigkeit der Arbeiter aus, auch
die wahren Lehren der Wiſſenſchaft zu begreifen, ſobald ſie erſt
an ſie gebracht werden?

Jſt das nicht vielmehr gerade ein Grund mehr, ihnen
dieſelben vorzutragen und ſie mit ihren Reſultaten zu durch-
dringen? Blicken Sie auf England! Nichts iſt dort gewöhn-
licher, als daß ſelbſt Miniſter in die Arbeiterverſammlungen
gehen und ihnen Vorträge über die ſchwierigſten Themata hal-
ten. Am 1. Nov. 1854 hält Palmerſton den Taglöhnern von
Hampſhire einen Vortrag gegen das Dogma der Erbſünde. Am
6. Nov. 1856 hält derſelbe Arbeitern in Mancheſter einen Vor-
trag über die doppelte Natur des Menſchen, die intellectuelle und
moraliſche, und über den Charakter unſerer Zeit. Jm Jahr 1854
hält Lord John Ruſſel den Arbeitern einen Vortrag über die
Hinderniſſe, welche dem Fortſchritt der Civiliſation ent-
gegenſtehen.

Und gerade was das Verhältniß der directen und indirec-
ten Steuern betrifft, wo wäre es mehr am Ort die Lehren hier-
über, die gerade das Aufreizende meines Vortrags bilden ſollen,
zu verkünden, als eben im Arbeiterſtande?

Wollen Sie den Hauptgrund wiſſen, der von den An-
hängern der Routine zu Gunſten der indirecten Steuer geltend
gemacht wird? Er beſteht darin, daß, wie verderblich auch die
indirecte Steuer ſei, doch die Einziehung eines gleichen Be-
trages durch die directe Steuer gerade wegen des Widerwillens,
auf welchen eine ſolche Maßregel im niedern Volke ſtoßen würde,
unmöglich ſei. Das Volk haſſe den Steuerdiener und werde
niemals einwilligen eine ſolche Summe durch die directe Steuer,
alſo mit dem Bewußtſein, daß es ſteuere, aufzubringen; wäh-
rend es bei der indirecten Steuer dieſes Bewußtſein nicht habe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <floatingText>
          <body>
            <div type="letter">
              <p><pb facs="#f0126" n="120"/><hi rendition="#g">&#x017F;chlecht und halb wi&#x017F;&#x017F;en</hi> entfernt weit mehr von den Lehren<lb/>
der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft und der Fähigkeit, &#x017F;ie aufzunehmen, als <hi rendition="#g">gar<lb/>
nicht wi&#x017F;&#x017F;en.</hi> &#x2014;</p><lb/>
              <p>Freilich &#x017F;ind die Arbeiter noch nicht in <hi rendition="#g">dem</hi> Sinne gebildet,<lb/>
daß &#x017F;ie die Re&#x017F;ultate der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft bereits <hi rendition="#g">be&#x017F;äßen.</hi> Sehen<lb/>
wir doch einen Theil der&#x017F;elben &#x017F;ogar noch die Nichts-als-Frei-<lb/>
händler umjubeln, wenn &#x017F;ie ihnen Dinge vortragen, von welchen<lb/>
&#x017F;ich alle, die wahrhaft die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft der Nationalökonomie<lb/>
ver&#x017F;tehen, verwundert fragen: i&#x017F;t das reine Unwi&#x017F;&#x017F;enheit, oder<lb/>
treiben die&#x017F;e Herren Spott und Hohn mit die&#x017F;en armen Leuten?</p><lb/>
              <p>Schließt das aber die <hi rendition="#g">Fähigkeit</hi> der Arbeiter aus, auch<lb/>
die wahren Lehren der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft zu begreifen, &#x017F;obald &#x017F;ie er&#x017F;t<lb/>
an &#x017F;ie gebracht werden?</p><lb/>
              <p>J&#x017F;t das nicht vielmehr gerade <hi rendition="#g">ein Grund mehr,</hi> ihnen<lb/>
die&#x017F;elben vorzutragen und &#x017F;ie mit ihren Re&#x017F;ultaten zu durch-<lb/>
dringen? Blicken Sie auf England! Nichts i&#x017F;t dort gewöhn-<lb/>
licher, als daß &#x017F;elb&#x017F;t Mini&#x017F;ter in die Arbeiterver&#x017F;ammlungen<lb/>
gehen und ihnen Vorträge über die &#x017F;chwierig&#x017F;ten Themata hal-<lb/>
ten. Am 1. Nov. 1854 hält Palmer&#x017F;ton den Taglöhnern von<lb/>
Hamp&#x017F;hire einen Vortrag gegen das Dogma der Erb&#x017F;ünde. Am<lb/>
6. Nov. 1856 hält der&#x017F;elbe Arbeitern in Manche&#x017F;ter einen Vor-<lb/>
trag über die doppelte Natur des Men&#x017F;chen, die intellectuelle und<lb/>
morali&#x017F;che, und über den Charakter un&#x017F;erer Zeit. Jm Jahr 1854<lb/>
hält Lord John Ru&#x017F;&#x017F;el den Arbeitern einen Vortrag über die<lb/>
Hinderni&#x017F;&#x017F;e, welche dem Fort&#x017F;chritt der Civili&#x017F;ation ent-<lb/>
gegen&#x017F;tehen.</p><lb/>
              <p>Und gerade was das Verhältniß der directen und indirec-<lb/>
ten Steuern betrifft, wo wäre es mehr am Ort die Lehren hier-<lb/>
über, die gerade das Aufreizende meines Vortrags bilden &#x017F;ollen,<lb/>
zu verkünden, als eben im Arbeiter&#x017F;tande?</p><lb/>
              <p>Wollen Sie den Hauptgrund wi&#x017F;&#x017F;en, der von den An-<lb/>
hängern der Routine zu Gun&#x017F;ten der indirecten Steuer geltend<lb/>
gemacht wird? Er be&#x017F;teht darin, daß, wie verderblich auch die<lb/>
indirecte Steuer &#x017F;ei, doch die Einziehung eines gleichen Be-<lb/>
trages durch die directe Steuer gerade wegen des Widerwillens,<lb/>
auf welchen eine &#x017F;olche Maßregel im niedern Volke &#x017F;toßen würde,<lb/>
unmöglich &#x017F;ei. Das Volk ha&#x017F;&#x017F;e den Steuerdiener und werde<lb/>
niemals einwilligen eine &#x017F;olche Summe durch die directe Steuer,<lb/>
al&#x017F;o mit dem Bewußt&#x017F;ein, <hi rendition="#g">daß</hi> es &#x017F;teuere, aufzubringen; wäh-<lb/>
rend es bei der indirecten Steuer die&#x017F;es Bewußt&#x017F;ein nicht habe<lb/></p>
            </div>
          </body>
        </floatingText>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[120/0126] ſchlecht und halb wiſſen entfernt weit mehr von den Lehren der Wiſſenſchaft und der Fähigkeit, ſie aufzunehmen, als gar nicht wiſſen. — Freilich ſind die Arbeiter noch nicht in dem Sinne gebildet, daß ſie die Reſultate der Wiſſenſchaft bereits beſäßen. Sehen wir doch einen Theil derſelben ſogar noch die Nichts-als-Frei- händler umjubeln, wenn ſie ihnen Dinge vortragen, von welchen ſich alle, die wahrhaft die Wiſſenſchaft der Nationalökonomie verſtehen, verwundert fragen: iſt das reine Unwiſſenheit, oder treiben dieſe Herren Spott und Hohn mit dieſen armen Leuten? Schließt das aber die Fähigkeit der Arbeiter aus, auch die wahren Lehren der Wiſſenſchaft zu begreifen, ſobald ſie erſt an ſie gebracht werden? Jſt das nicht vielmehr gerade ein Grund mehr, ihnen dieſelben vorzutragen und ſie mit ihren Reſultaten zu durch- dringen? Blicken Sie auf England! Nichts iſt dort gewöhn- licher, als daß ſelbſt Miniſter in die Arbeiterverſammlungen gehen und ihnen Vorträge über die ſchwierigſten Themata hal- ten. Am 1. Nov. 1854 hält Palmerſton den Taglöhnern von Hampſhire einen Vortrag gegen das Dogma der Erbſünde. Am 6. Nov. 1856 hält derſelbe Arbeitern in Mancheſter einen Vor- trag über die doppelte Natur des Menſchen, die intellectuelle und moraliſche, und über den Charakter unſerer Zeit. Jm Jahr 1854 hält Lord John Ruſſel den Arbeitern einen Vortrag über die Hinderniſſe, welche dem Fortſchritt der Civiliſation ent- gegenſtehen. Und gerade was das Verhältniß der directen und indirec- ten Steuern betrifft, wo wäre es mehr am Ort die Lehren hier- über, die gerade das Aufreizende meines Vortrags bilden ſollen, zu verkünden, als eben im Arbeiterſtande? Wollen Sie den Hauptgrund wiſſen, der von den An- hängern der Routine zu Gunſten der indirecten Steuer geltend gemacht wird? Er beſteht darin, daß, wie verderblich auch die indirecte Steuer ſei, doch die Einziehung eines gleichen Be- trages durch die directe Steuer gerade wegen des Widerwillens, auf welchen eine ſolche Maßregel im niedern Volke ſtoßen würde, unmöglich ſei. Das Volk haſſe den Steuerdiener und werde niemals einwilligen eine ſolche Summe durch die directe Steuer, alſo mit dem Bewußtſein, daß es ſteuere, aufzubringen; wäh- rend es bei der indirecten Steuer dieſes Bewußtſein nicht habe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lassalle_steuer_1863
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lassalle_steuer_1863/126
Zitationshilfe: Lassalle, Ferdinand: Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klassen. Zürich, 1863, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lassalle_steuer_1863/126>, abgerufen am 24.11.2024.