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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

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Gewohnheiten und Wünsche vergißt, und
sein Leben und seine Talente zum Besten
seines Nächsten verwendet. Aber bey je-
dem Schritte meines itzigen Lebens ver-
größert sich das Glück meiner genossenen
Erziehung, worinn mir alles in den rich-
tigen moralischen Gesichtspunkt gestellet
wurde. Nach diesem bildete man meine
Empfindungen, während dem mein Ver-
stand zu Beobachtungen über verkehrte
Begriffe, und dadurch eingewurzelte Ge-
wohnheiten geleitet wurde.

Wie glücklich ist es für mein Herz, daß
mir die Wahrheit: daß vor Gott kein
anderer, als der moralische Unterschied
unserer Seelen Statt finde; so tief einge-
prägt wurde! was hätte ich in meinen
itzigen Umständen zu leiden, wenn ich mit
den gewöhnlichen Vorurtheilen meiner
Geburt behaftet wäre! Wie verehrungs-
würdig, wie verdienstsvoll ist der kluge Ge-
brauch, den meine geliebte Aeltern von
der uns allen angebornen Eigenliebe, bey
meiner Erziehung machten! Wären kost-
bare Kleider und Putz jemals ein Theil

meiner


Gewohnheiten und Wuͤnſche vergißt, und
ſein Leben und ſeine Talente zum Beſten
ſeines Naͤchſten verwendet. Aber bey je-
dem Schritte meines itzigen Lebens ver-
groͤßert ſich das Gluͤck meiner genoſſenen
Erziehung, worinn mir alles in den rich-
tigen moraliſchen Geſichtspunkt geſtellet
wurde. Nach dieſem bildete man meine
Empfindungen, waͤhrend dem mein Ver-
ſtand zu Beobachtungen uͤber verkehrte
Begriffe, und dadurch eingewurzelte Ge-
wohnheiten geleitet wurde.

Wie gluͤcklich iſt es fuͤr mein Herz, daß
mir die Wahrheit: daß vor Gott kein
anderer, als der moraliſche Unterſchied
unſerer Seelen Statt finde; ſo tief einge-
praͤgt wurde! was haͤtte ich in meinen
itzigen Umſtaͤnden zu leiden, wenn ich mit
den gewoͤhnlichen Vorurtheilen meiner
Geburt behaftet waͤre! Wie verehrungs-
wuͤrdig, wie verdienſtsvoll iſt der kluge Ge-
brauch, den meine geliebte Aeltern von
der uns allen angebornen Eigenliebe, bey
meiner Erziehung machten! Waͤren koſt-
bare Kleider und Putz jemals ein Theil

meiner
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[80/0086] Gewohnheiten und Wuͤnſche vergißt, und ſein Leben und ſeine Talente zum Beſten ſeines Naͤchſten verwendet. Aber bey je- dem Schritte meines itzigen Lebens ver- groͤßert ſich das Gluͤck meiner genoſſenen Erziehung, worinn mir alles in den rich- tigen moraliſchen Geſichtspunkt geſtellet wurde. Nach dieſem bildete man meine Empfindungen, waͤhrend dem mein Ver- ſtand zu Beobachtungen uͤber verkehrte Begriffe, und dadurch eingewurzelte Ge- wohnheiten geleitet wurde. Wie gluͤcklich iſt es fuͤr mein Herz, daß mir die Wahrheit: daß vor Gott kein anderer, als der moraliſche Unterſchied unſerer Seelen Statt finde; ſo tief einge- praͤgt wurde! was haͤtte ich in meinen itzigen Umſtaͤnden zu leiden, wenn ich mit den gewoͤhnlichen Vorurtheilen meiner Geburt behaftet waͤre! Wie verehrungs- wuͤrdig, wie verdienſtsvoll iſt der kluge Ge- brauch, den meine geliebte Aeltern von der uns allen angebornen Eigenliebe, bey meiner Erziehung machten! Waͤren koſt- bare Kleider und Putz jemals ein Theil meiner

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Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/86>, abgerufen am 22.11.2024.