Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite


entgegen geführt; ich hatte vieles verlo-
ren, vieles gelitten; aber sollte ich des-
wegen das genossene Glück meiner ersten
Jahre vergessen, und die vor mir liegende
Gelegenheit, Gutes zu thun, mit gleich-
gültigem Auge betrachten, um mich allein
der Empfindlichkeit meiner Eigenliebe zu
überlassen? Jch kannte den ganzen Werth
alles dessen, was ich verloren hatte;
aber meine Krankheit und Betrachtungen,
zeigten mir, daß ich noch in dem wahren
Besitz der wahren Güter unsers Lebens
geblieben sey.

"Mein Herz ist unschuldig und rein;

"Die Kenntnisse meines Geistes sind
"unvermindert;

"Die Kräfte meiner Seele und meine
"guten Neigungen haben ihr Maas
"behalten; und ich habe noch das
"Vermögen, Gutes zu thun.

Meine Erziehung hat mich gelehrt, daß
Tugend und Geschicklichkeiten das ein-
zige wahre Glück, und Gutes thun, die
einzige wahre Freude eines edlen Herzens

sey;
E 4


entgegen gefuͤhrt; ich hatte vieles verlo-
ren, vieles gelitten; aber ſollte ich des-
wegen das genoſſene Gluͤck meiner erſten
Jahre vergeſſen, und die vor mir liegende
Gelegenheit, Gutes zu thun, mit gleich-
guͤltigem Auge betrachten, um mich allein
der Empfindlichkeit meiner Eigenliebe zu
uͤberlaſſen? Jch kannte den ganzen Werth
alles deſſen, was ich verloren hatte;
aber meine Krankheit und Betrachtungen,
zeigten mir, daß ich noch in dem wahren
Beſitz der wahren Guͤter unſers Lebens
geblieben ſey.

„Mein Herz iſt unſchuldig und rein;

„Die Kenntniſſe meines Geiſtes ſind
„unvermindert;

„Die Kraͤfte meiner Seele und meine
„guten Neigungen haben ihr Maas
„behalten; und ich habe noch das
„Vermoͤgen, Gutes zu thun.

Meine Erziehung hat mich gelehrt, daß
Tugend und Geſchicklichkeiten das ein-
zige wahre Gluͤck, und Gutes thun, die
einzige wahre Freude eines edlen Herzens

ſey;
E 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0077" n="71"/><fw place="top" type="header"><lb/></fw> entgegen gefu&#x0364;hrt; ich hatte vieles verlo-<lb/>
ren, vieles gelitten; aber &#x017F;ollte ich des-<lb/>
wegen das geno&#x017F;&#x017F;ene Glu&#x0364;ck meiner er&#x017F;ten<lb/>
Jahre verge&#x017F;&#x017F;en, und die vor mir liegende<lb/>
Gelegenheit, Gutes zu thun, mit gleich-<lb/>
gu&#x0364;ltigem Auge betrachten, um mich allein<lb/>
der Empfindlichkeit meiner Eigenliebe zu<lb/>
u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en? Jch kannte den ganzen Werth<lb/>
alles de&#x017F;&#x017F;en, was ich verloren hatte;<lb/>
aber meine Krankheit und Betrachtungen,<lb/>
zeigten mir, daß ich noch in dem wahren<lb/>
Be&#x017F;itz der wahren Gu&#x0364;ter un&#x017F;ers Lebens<lb/>
geblieben &#x017F;ey.</p><lb/>
          <p> <hi rendition="#et">&#x201E;Mein Herz i&#x017F;t un&#x017F;chuldig und rein;</hi> </p><lb/>
          <p> <hi rendition="#et">&#x201E;Die Kenntni&#x017F;&#x017F;e meines Gei&#x017F;tes &#x017F;ind<lb/>
&#x201E;unvermindert;</hi> </p><lb/>
          <p> <hi rendition="#et">&#x201E;Die Kra&#x0364;fte meiner Seele und meine<lb/>
&#x201E;guten Neigungen haben ihr Maas<lb/>
&#x201E;behalten; und ich habe noch das<lb/>
&#x201E;Vermo&#x0364;gen, Gutes zu thun.</hi> </p><lb/>
          <p>Meine Erziehung hat mich gelehrt, daß<lb/><hi rendition="#fr">Tugend</hi> und <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;chicklichkeiten</hi> das ein-<lb/>
zige wahre Glu&#x0364;ck, und <hi rendition="#fr">Gutes thun,</hi> die<lb/>
einzige wahre Freude eines edlen Herzens<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E 4</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ey;</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[71/0077] entgegen gefuͤhrt; ich hatte vieles verlo- ren, vieles gelitten; aber ſollte ich des- wegen das genoſſene Gluͤck meiner erſten Jahre vergeſſen, und die vor mir liegende Gelegenheit, Gutes zu thun, mit gleich- guͤltigem Auge betrachten, um mich allein der Empfindlichkeit meiner Eigenliebe zu uͤberlaſſen? Jch kannte den ganzen Werth alles deſſen, was ich verloren hatte; aber meine Krankheit und Betrachtungen, zeigten mir, daß ich noch in dem wahren Beſitz der wahren Guͤter unſers Lebens geblieben ſey. „Mein Herz iſt unſchuldig und rein; „Die Kenntniſſe meines Geiſtes ſind „unvermindert; „Die Kraͤfte meiner Seele und meine „guten Neigungen haben ihr Maas „behalten; und ich habe noch das „Vermoͤgen, Gutes zu thun. Meine Erziehung hat mich gelehrt, daß Tugend und Geſchicklichkeiten das ein- zige wahre Gluͤck, und Gutes thun, die einzige wahre Freude eines edlen Herzens ſey; E 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/77
Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/77>, abgerufen am 25.11.2024.