[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.zen unterbrochene Küsse gab sie mir, sie, die so lebhaft mitleidend, sie, die so ge- schäfftig, so brennend eifrig für Jdeen, für Hirngespenster seyn kann! Wie süß, wie anfesselnd, hab' ich mir ihre Liebe, und ihren Besitz vorgestellt! wie begierig war ich auf die Stunde, die mich zu ihr führte! Pferde, Postknechte, und Bedienten hät- te ich der Geschwindigkeit meiner Reise aufopfern wollen. Stolz auf ihre Ero- berung, sah' ich den Fürsten und seine Helfer mit Verachtung an. Mein Herz, mein Puls klopften vor Freude, als ich das Dorf erblickte, wo sie war, und bey- nah hätt' ich aus Ungeduld meine Pistole auf den Kerl losgefeuert, der meine Chaise nicht gleich aufmachen konnte. Jn fünf Schritten war ich die Treppe hinauf. Sie stund oben in englischer Kleidung, weiß, schön, majestätisch sah sie aus; mit Entzückung schloß ich sie in meine Arme. Sie bewillkommte mich stam- melnd; wurde bald roth, bald blaß. Jh- re Niedergeschlagenheit hätte mich glück- lich C 2
zen unterbrochene Kuͤſſe gab ſie mir, ſie, die ſo lebhaft mitleidend, ſie, die ſo ge- ſchaͤfftig, ſo brennend eifrig fuͤr Jdeen, fuͤr Hirngeſpenſter ſeyn kann! Wie ſuͤß, wie anfeſſelnd, hab’ ich mir ihre Liebe, und ihren Beſitz vorgeſtellt! wie begierig war ich auf die Stunde, die mich zu ihr fuͤhrte! Pferde, Poſtknechte, und Bedienten haͤt- te ich der Geſchwindigkeit meiner Reiſe aufopfern wollen. Stolz auf ihre Ero- berung, ſah’ ich den Fuͤrſten und ſeine Helfer mit Verachtung an. Mein Herz, mein Puls klopften vor Freude, als ich das Dorf erblickte, wo ſie war, und bey- nah haͤtt’ ich aus Ungeduld meine Piſtole auf den Kerl losgefeuert, der meine Chaiſe nicht gleich aufmachen konnte. Jn fuͤnf Schritten war ich die Treppe hinauf. Sie ſtund oben in engliſcher Kleidung, weiß, ſchoͤn, majeſtaͤtiſch ſah ſie aus; mit Entzuͤckung ſchloß ich ſie in meine Arme. Sie bewillkommte mich ſtam- melnd; wurde bald roth, bald blaß. Jh- re Niedergeſchlagenheit haͤtte mich gluͤck- lich C 2
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Ehefrau erwiedert; kalte — mit Seuf-
zen unterbrochene Kuͤſſe gab ſie mir, ſie,
die ſo lebhaft mitleidend, ſie, die ſo ge-
ſchaͤfftig, ſo brennend eifrig fuͤr Jdeen, fuͤr
Hirngeſpenſter ſeyn kann! Wie ſuͤß, wie
anfeſſelnd, hab’ ich mir ihre Liebe, und
ihren Beſitz vorgeſtellt! wie begierig war
ich auf die Stunde, die mich zu ihr fuͤhrte!
Pferde, Poſtknechte, und Bedienten haͤt-
te ich der Geſchwindigkeit meiner Reiſe
aufopfern wollen. Stolz auf ihre Ero-
berung, ſah’ ich den Fuͤrſten und ſeine
Helfer mit Verachtung an. Mein Herz,
mein Puls klopften vor Freude, als ich
das Dorf erblickte, wo ſie war, und bey-
nah haͤtt’ ich aus Ungeduld meine Piſtole
auf den Kerl losgefeuert, der meine Chaiſe
nicht gleich aufmachen konnte. Jn fuͤnf
Schritten war ich die Treppe hinauf.
Sie ſtund oben in engliſcher Kleidung,
weiß, ſchoͤn, majeſtaͤtiſch ſah ſie aus;
mit Entzuͤckung ſchloß ich ſie in meine
Arme. Sie bewillkommte mich ſtam-
melnd; wurde bald roth, bald blaß. Jh-
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lich
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Zitationshilfe: | [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/41>, abgerufen am 16.02.2025. |