"Erlaubniß bringen zu hoffen." Mit thränenden Augen sah der würdige Mann mich an; eine Zähre der meinigen fiel ihm auf seine Hand; er betrachtete sie mit inniger Rührnng; als aber das anfan- gende Zittern seiner Hände sich bewegte, so küßte er sie hinweg, und seine Blicke blie- ben einige Minnten auf die Erde geheftet. Jch nahm das Original meiner Briefe und des Tagebuchs, und reichte es ihm mit der Anrede: Nehmen sie dieses, würdig- ster Mann, was Sie das Urbild meiner Seele nennen zum Unterpfand der zärtli- chen und reinen Freundschaft! -- Meine Schwester, fiel er mir ins Wort. -- Keine List, Lord Rich! Jch will ohne Kunst wer- den, was Sie so sehnlich wünschen, daß ich seyn möge. -- Er ließ sich auf ein Knie nieder, segnete mich, küßte meine Hände mit eifriger Zärtlichkeit und eilte weg. Sagen Sie noch nichts, rief ich ihm nach, ich bitte Sie. Da war ich und weinte, und entschloß mich Lady Seymour zu werden; ich bekräftigte die- sen Entschluß am Ende eines Gebets an die göttliche Vorsicht.
Nach-
„Erlaubniß bringen zu hoffen.“ Mit thraͤnenden Augen ſah der wuͤrdige Mann mich an; eine Zaͤhre der meinigen fiel ihm auf ſeine Hand; er betrachtete ſie mit inniger Ruͤhrnng; als aber das anfan- gende Zittern ſeiner Haͤnde ſich bewegte, ſo kuͤßte er ſie hinweg, und ſeine Blicke blie- ben einige Minnten auf die Erde geheftet. Jch nahm das Original meiner Briefe und des Tagebuchs, und reichte es ihm mit der Anrede: Nehmen ſie dieſes, wuͤrdig- ſter Mann, was Sie das Urbild meiner Seele nennen zum Unterpfand der zaͤrtli- chen und reinen Freundſchaft! — Meine Schweſter, fiel er mir ins Wort. — Keine Liſt, Lord Rich! Jch will ohne Kunſt wer- den, was Sie ſo ſehnlich wuͤnſchen, daß ich ſeyn moͤge. — Er ließ ſich auf ein Knie nieder, ſegnete mich, kuͤßte meine Haͤnde mit eifriger Zaͤrtlichkeit und eilte weg. Sagen Sie noch nichts, rief ich ihm nach, ich bitte Sie. Da war ich und weinte, und entſchloß mich Lady Seymour zu werden; ich bekraͤftigte die- ſen Entſchluß am Ende eines Gebets an die goͤttliche Vorſicht.
Nach-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0294"n="288"/>„Erlaubniß bringen zu hoffen.“ Mit<lb/>
thraͤnenden Augen ſah der wuͤrdige Mann<lb/>
mich an; eine Zaͤhre der meinigen fiel<lb/>
ihm auf ſeine Hand; er betrachtete ſie mit<lb/>
inniger Ruͤhrnng; als aber das anfan-<lb/>
gende Zittern ſeiner Haͤnde ſich bewegte, ſo<lb/>
kuͤßte er ſie hinweg, und ſeine Blicke blie-<lb/>
ben einige Minnten auf die Erde geheftet.<lb/>
Jch nahm das Original meiner Briefe und<lb/>
des Tagebuchs, und reichte es ihm mit<lb/>
der Anrede: Nehmen ſie dieſes, wuͤrdig-<lb/>ſter Mann, was Sie das Urbild meiner<lb/>
Seele nennen zum Unterpfand der zaͤrtli-<lb/>
chen und reinen Freundſchaft! — Meine<lb/>
Schweſter, fiel er mir ins Wort. — Keine<lb/>
Liſt, Lord Rich! Jch will ohne Kunſt wer-<lb/>
den, was Sie ſo ſehnlich wuͤnſchen, daß<lb/>
ich ſeyn moͤge. — Er ließ ſich auf ein<lb/>
Knie nieder, ſegnete mich, kuͤßte meine<lb/>
Haͤnde mit eifriger Zaͤrtlichkeit und eilte<lb/>
weg. Sagen Sie noch nichts, rief ich<lb/>
ihm nach, ich bitte Sie. Da war ich<lb/>
und weinte, und entſchloß mich Lady<lb/>
Seymour zu werden; ich bekraͤftigte die-<lb/>ſen Entſchluß am Ende eines Gebets an<lb/>
die goͤttliche Vorſicht.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">Nach-</hi></fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[288/0294]
„Erlaubniß bringen zu hoffen.“ Mit
thraͤnenden Augen ſah der wuͤrdige Mann
mich an; eine Zaͤhre der meinigen fiel
ihm auf ſeine Hand; er betrachtete ſie mit
inniger Ruͤhrnng; als aber das anfan-
gende Zittern ſeiner Haͤnde ſich bewegte, ſo
kuͤßte er ſie hinweg, und ſeine Blicke blie-
ben einige Minnten auf die Erde geheftet.
Jch nahm das Original meiner Briefe und
des Tagebuchs, und reichte es ihm mit
der Anrede: Nehmen ſie dieſes, wuͤrdig-
ſter Mann, was Sie das Urbild meiner
Seele nennen zum Unterpfand der zaͤrtli-
chen und reinen Freundſchaft! — Meine
Schweſter, fiel er mir ins Wort. — Keine
Liſt, Lord Rich! Jch will ohne Kunſt wer-
den, was Sie ſo ſehnlich wuͤnſchen, daß
ich ſeyn moͤge. — Er ließ ſich auf ein
Knie nieder, ſegnete mich, kuͤßte meine
Haͤnde mit eifriger Zaͤrtlichkeit und eilte
weg. Sagen Sie noch nichts, rief ich
ihm nach, ich bitte Sie. Da war ich
und weinte, und entſchloß mich Lady
Seymour zu werden; ich bekraͤftigte die-
ſen Entſchluß am Ende eines Gebets an
die goͤttliche Vorſicht.
Nach-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/294>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.