glücklichen eine kleine Lehrschule von Er- tragung widriger Schicksale zu halten. Jn Wahrheit, es ist bey der neu erhei- terten Aussicht in meine künftigen Tage einer der ersten Wünsche meiner Seele gewesen, daß bey jedem Anbau eines jungen Herzens diejenigen Samen- körner meiner Erziehung eingestreuet wür- den, deren erquickende Früchte in der Zeit meiner härtesten Leiden reif wurden, die mein anfängliches Murren besänftig- ten, und mir die Stärke gaben, alle Tugenden des Unglücklichen auszuüben. Mein erneuertes Gefühl der Schönheiten unsrer physikalischen Welt kann ich ihnen unmöglich in seiner Stärke beschreiben; es war groß, mannichfaltig, wie die schöne Aussicht dieses Edelsitzes, wo man über einen jähen Absturz an dem Flusse Tweda die fruchtbarsten Hügel von ganz Schottland übersieht, die von Scha- fen wimmeln. Die Sehkraft meiner Au- gen dünkt mich vervielfältigt, wird ver- feinert, so wie sie mich in den Bleyge- bürgen vermindert und stumpf gemacht
dünkte.
gluͤcklichen eine kleine Lehrſchule von Er- tragung widriger Schickſale zu halten. Jn Wahrheit, es iſt bey der neu erhei- terten Ausſicht in meine kuͤnftigen Tage einer der erſten Wuͤnſche meiner Seele geweſen, daß bey jedem Anbau eines jungen Herzens diejenigen Samen- koͤrner meiner Erziehung eingeſtreuet wuͤr- den, deren erquickende Fruͤchte in der Zeit meiner haͤrteſten Leiden reif wurden, die mein anfaͤngliches Murren beſaͤnftig- ten, und mir die Staͤrke gaben, alle Tugenden des Ungluͤcklichen auszuuͤben. Mein erneuertes Gefuͤhl der Schoͤnheiten unſrer phyſikaliſchen Welt kann ich ihnen unmoͤglich in ſeiner Staͤrke beſchreiben; es war groß, mannichfaltig, wie die ſchoͤne Ausſicht dieſes Edelſitzes, wo man uͤber einen jaͤhen Abſturz an dem Fluſſe Tweda die fruchtbarſten Huͤgel von ganz Schottland uͤberſieht, die von Scha- fen wimmeln. Die Sehkraft meiner Au- gen duͤnkt mich vervielfaͤltigt, wird ver- feinert, ſo wie ſie mich in den Bleyge- buͤrgen vermindert und ſtumpf gemacht
duͤnkte.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0278"n="272"/>
gluͤcklichen eine kleine Lehrſchule von Er-<lb/>
tragung widriger Schickſale zu halten.<lb/>
Jn Wahrheit, es iſt bey der neu erhei-<lb/>
terten Ausſicht in meine kuͤnftigen<lb/>
Tage einer der erſten Wuͤnſche meiner<lb/>
Seele geweſen, daß bey jedem Anbau<lb/>
eines jungen Herzens diejenigen Samen-<lb/>
koͤrner meiner Erziehung eingeſtreuet wuͤr-<lb/>
den, deren erquickende Fruͤchte in der<lb/>
Zeit meiner haͤrteſten Leiden reif wurden,<lb/>
die mein anfaͤngliches Murren beſaͤnftig-<lb/>
ten, und mir die Staͤrke gaben, alle<lb/>
Tugenden des Ungluͤcklichen auszuuͤben.<lb/>
Mein erneuertes Gefuͤhl der Schoͤnheiten<lb/>
unſrer phyſikaliſchen Welt kann ich ihnen<lb/>
unmoͤglich in ſeiner Staͤrke beſchreiben;<lb/>
es war groß, mannichfaltig, wie die<lb/>ſchoͤne Ausſicht dieſes Edelſitzes, wo man<lb/>
uͤber einen jaͤhen Abſturz an dem Fluſſe<lb/>
Tweda die fruchtbarſten Huͤgel von ganz<lb/>
Schottland uͤberſieht, die von Scha-<lb/>
fen wimmeln. Die Sehkraft meiner Au-<lb/>
gen duͤnkt mich vervielfaͤltigt, wird ver-<lb/>
feinert, ſo wie ſie mich in den Bleyge-<lb/>
buͤrgen vermindert und ſtumpf gemacht<lb/><fwplace="bottom"type="catch">duͤnkte.</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[272/0278]
gluͤcklichen eine kleine Lehrſchule von Er-
tragung widriger Schickſale zu halten.
Jn Wahrheit, es iſt bey der neu erhei-
terten Ausſicht in meine kuͤnftigen
Tage einer der erſten Wuͤnſche meiner
Seele geweſen, daß bey jedem Anbau
eines jungen Herzens diejenigen Samen-
koͤrner meiner Erziehung eingeſtreuet wuͤr-
den, deren erquickende Fruͤchte in der
Zeit meiner haͤrteſten Leiden reif wurden,
die mein anfaͤngliches Murren beſaͤnftig-
ten, und mir die Staͤrke gaben, alle
Tugenden des Ungluͤcklichen auszuuͤben.
Mein erneuertes Gefuͤhl der Schoͤnheiten
unſrer phyſikaliſchen Welt kann ich ihnen
unmoͤglich in ſeiner Staͤrke beſchreiben;
es war groß, mannichfaltig, wie die
ſchoͤne Ausſicht dieſes Edelſitzes, wo man
uͤber einen jaͤhen Abſturz an dem Fluſſe
Tweda die fruchtbarſten Huͤgel von ganz
Schottland uͤberſieht, die von Scha-
fen wimmeln. Die Sehkraft meiner Au-
gen duͤnkt mich vervielfaͤltigt, wird ver-
feinert, ſo wie ſie mich in den Bleyge-
buͤrgen vermindert und ſtumpf gemacht
duͤnkte.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/278>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.