sehen scheu aus; sie beredeten sich schon etlichemal vor der Hütte allein, haben auf meine Fragen nach der Dame, kurz und verwirrt geantwortet, und waren sehr betroffen, wie ich sagte, das Grab müßte Morgen geöffnet werden. Jch zittre selbst davor; ich befürchte Merk- male eines gewaltsamen Todes zu finden. Was würde da aus meinem Bruder wer- den? Jch sage nichts von mir selbst; ich verberge meinen Jammer um Seymours seinen nicht zu vergrößern, aber gewiß hat die Angst des Untergangs in einem Sturm, und die Quaal eines lechzenden Durstes in den sandigten Gegenden von Asien, meine Seele nicht so heftig angegriffen, als der Gedanke an den Leiden dieses weiblichen Engels. Mein Bruder ist aus Mattig- keit eingeschlafen, er liegt auf den Klei- dern unsrer Leute, die sie auf den Boden gebreitet haben; immer fährt er auf, und stößt ächzende Seufzer aus; doch beruhi- get mich unser Wundarzt wegen seiner Gesundheit. Jch kann nicht schlafen, der morgende Tag quält mich voraus;
ich
ſehen ſcheu aus; ſie beredeten ſich ſchon etlichemal vor der Huͤtte allein, haben auf meine Fragen nach der Dame, kurz und verwirrt geantwortet, und waren ſehr betroffen, wie ich ſagte, das Grab muͤßte Morgen geoͤffnet werden. Jch zittre ſelbſt davor; ich befuͤrchte Merk- male eines gewaltſamen Todes zu finden. Was wuͤrde da aus meinem Bruder wer- den? Jch ſage nichts von mir ſelbſt; ich verberge meinen Jammer um Seymours ſeinen nicht zu vergroͤßern, aber gewiß hat die Angſt des Untergangs in einem Sturm, und die Quaal eines lechzenden Durſtes in den ſandigten Gegenden von Aſien, meine Seele nicht ſo heftig angegriffen, als der Gedanke an den Leiden dieſes weiblichen Engels. Mein Bruder iſt aus Mattig- keit eingeſchlafen, er liegt auf den Klei- dern unſrer Leute, die ſie auf den Boden gebreitet haben; immer faͤhrt er auf, und ſtoͤßt aͤchzende Seufzer aus; doch beruhi- get mich unſer Wundarzt wegen ſeiner Geſundheit. Jch kann nicht ſchlafen, der morgende Tag quaͤlt mich voraus;
ich
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ſehen ſcheu aus; ſie beredeten ſich ſchon
etlichemal vor der Huͤtte allein, haben
auf meine Fragen nach der Dame, kurz
und verwirrt geantwortet, und waren
ſehr betroffen, wie ich ſagte, das Grab
muͤßte Morgen geoͤffnet werden. Jch
zittre ſelbſt davor; ich befuͤrchte Merk-
male eines gewaltſamen Todes zu finden.
Was wuͤrde da aus meinem Bruder wer-
den? Jch ſage nichts von mir ſelbſt; ich
verberge meinen Jammer um Seymours
ſeinen nicht zu vergroͤßern, aber gewiß hat
die Angſt des Untergangs in einem Sturm,
und die Quaal eines lechzenden Durſtes in
den ſandigten Gegenden von Aſien, meine
Seele nicht ſo heftig angegriffen, als der
Gedanke an den Leiden dieſes weiblichen
Engels. Mein Bruder iſt aus Mattig-
keit eingeſchlafen, er liegt auf den Klei-
dern unſrer Leute, die ſie auf den Boden
gebreitet haben; immer faͤhrt er auf, und
ſtoͤßt aͤchzende Seufzer aus; doch beruhi-
get mich unſer Wundarzt wegen ſeiner
Geſundheit. Jch kann nicht ſchlafen,
der morgende Tag quaͤlt mich voraus;
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/264>, abgerufen am 22.11.2024.
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