Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

Emilia, beten Sie für mich! Ein Wun-
der, ja ein Wunder ists, daß ich mich
sammlen konnte. -- Jch beschloß, mich
zu verstellen, der Lady alle Anstalten des
Empfangs machen zu helfen, und dann
eine Krankheit und Ermattung vorzu-
schützen, so lange die Gäste da seyn wür-
den, und in meinem Zimmer bey zugezo-
genen Vorhängen zu liegen, als ob der
Tag meinem Kopf, und meinen Augen
schmerzte. -- Jch fand in dieser äußersten
Roth kein anders Mittel; ich unterdrückte
also meinen Jammer, und gieng zur La-
dy, die ich noch aus dem Fenster dem
zurückkehrenden Abgeschickten freundlich
zurufen hörte. Die Lady erzählte mir die
Größe des Reichthums und Ansehen des
Hauses von Lord N** der durch den Tod
seines Bruders einziger Erbe war. Nun,
sagte sie, würde ihr Bruder vergnügt seyn,
der sonst seinen Fehler als den Ehrgeiz hät-
te; seine Freude machte die ihrige. Dank-
barkeit und Freundschaft, ihr unterstützet
mich -- Denn wo hätte sonst meine Ver-
nunft, meine völlig zerstörte Seele, die

Kraft

Emilia, beten Sie fuͤr mich! Ein Wun-
der, ja ein Wunder iſts, daß ich mich
ſammlen konnte. — Jch beſchloß, mich
zu verſtellen, der Lady alle Anſtalten des
Empfangs machen zu helfen, und dann
eine Krankheit und Ermattung vorzu-
ſchuͤtzen, ſo lange die Gaͤſte da ſeyn wuͤr-
den, und in meinem Zimmer bey zugezo-
genen Vorhaͤngen zu liegen, als ob der
Tag meinem Kopf, und meinen Augen
ſchmerzte. — Jch fand in dieſer aͤußerſten
Roth kein anders Mittel; ich unterdruͤckte
alſo meinen Jammer, und gieng zur La-
dy, die ich noch aus dem Fenſter dem
zuruͤckkehrenden Abgeſchickten freundlich
zurufen hoͤrte. Die Lady erzaͤhlte mir die
Groͤße des Reichthums und Anſehen des
Hauſes von Lord N** der durch den Tod
ſeines Bruders einziger Erbe war. Nun,
ſagte ſie, wuͤrde ihr Bruder vergnuͤgt ſeyn,
der ſonſt ſeinen Fehler als den Ehrgeiz haͤt-
te; ſeine Freude machte die ihrige. Dank-
barkeit und Freundſchaft, ihr unterſtuͤtzet
mich — Denn wo haͤtte ſonſt meine Ver-
nunft, meine voͤllig zerſtoͤrte Seele, die

Kraft
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0198" n="192"/>
Emilia, beten Sie fu&#x0364;r mich! Ein Wun-<lb/>
der, ja ein Wunder i&#x017F;ts, daß ich mich<lb/>
&#x017F;ammlen konnte. &#x2014; Jch be&#x017F;chloß, mich<lb/>
zu ver&#x017F;tellen, der Lady alle An&#x017F;talten des<lb/>
Empfangs machen zu helfen, und dann<lb/>
eine Krankheit und Ermattung vorzu-<lb/>
&#x017F;chu&#x0364;tzen, &#x017F;o lange die Ga&#x0364;&#x017F;te da &#x017F;eyn wu&#x0364;r-<lb/>
den, und in meinem Zimmer bey zugezo-<lb/>
genen Vorha&#x0364;ngen zu liegen, als ob der<lb/>
Tag meinem Kopf, und meinen Augen<lb/>
&#x017F;chmerzte. &#x2014; Jch fand in die&#x017F;er a&#x0364;ußer&#x017F;ten<lb/>
Roth kein anders Mittel; ich unterdru&#x0364;ckte<lb/>
al&#x017F;o meinen Jammer, und gieng zur La-<lb/>
dy, die ich noch aus dem Fen&#x017F;ter dem<lb/>
zuru&#x0364;ckkehrenden Abge&#x017F;chickten freundlich<lb/>
zurufen ho&#x0364;rte. Die Lady erza&#x0364;hlte mir die<lb/>
Gro&#x0364;ße des Reichthums und An&#x017F;ehen des<lb/>
Hau&#x017F;es von Lord N** der durch den Tod<lb/>
&#x017F;eines Bruders einziger Erbe war. Nun,<lb/>
&#x017F;agte &#x017F;ie, wu&#x0364;rde ihr Bruder vergnu&#x0364;gt &#x017F;eyn,<lb/>
der &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;einen Fehler als den Ehrgeiz ha&#x0364;t-<lb/>
te; &#x017F;eine Freude machte die ihrige. Dank-<lb/>
barkeit und Freund&#x017F;chaft, ihr unter&#x017F;tu&#x0364;tzet<lb/>
mich &#x2014; Denn wo ha&#x0364;tte &#x017F;on&#x017F;t meine Ver-<lb/>
nunft, meine vo&#x0364;llig zer&#x017F;to&#x0364;rte Seele, die<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Kraft</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[192/0198] Emilia, beten Sie fuͤr mich! Ein Wun- der, ja ein Wunder iſts, daß ich mich ſammlen konnte. — Jch beſchloß, mich zu verſtellen, der Lady alle Anſtalten des Empfangs machen zu helfen, und dann eine Krankheit und Ermattung vorzu- ſchuͤtzen, ſo lange die Gaͤſte da ſeyn wuͤr- den, und in meinem Zimmer bey zugezo- genen Vorhaͤngen zu liegen, als ob der Tag meinem Kopf, und meinen Augen ſchmerzte. — Jch fand in dieſer aͤußerſten Roth kein anders Mittel; ich unterdruͤckte alſo meinen Jammer, und gieng zur La- dy, die ich noch aus dem Fenſter dem zuruͤckkehrenden Abgeſchickten freundlich zurufen hoͤrte. Die Lady erzaͤhlte mir die Groͤße des Reichthums und Anſehen des Hauſes von Lord N** der durch den Tod ſeines Bruders einziger Erbe war. Nun, ſagte ſie, wuͤrde ihr Bruder vergnuͤgt ſeyn, der ſonſt ſeinen Fehler als den Ehrgeiz haͤt- te; ſeine Freude machte die ihrige. Dank- barkeit und Freundſchaft, ihr unterſtuͤtzet mich — Denn wo haͤtte ſonſt meine Ver- nunft, meine voͤllig zerſtoͤrte Seele, die Kraft

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/198
Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/198>, abgerufen am 22.11.2024.