Emilia, beten Sie für mich! Ein Wun- der, ja ein Wunder ists, daß ich mich sammlen konnte. -- Jch beschloß, mich zu verstellen, der Lady alle Anstalten des Empfangs machen zu helfen, und dann eine Krankheit und Ermattung vorzu- schützen, so lange die Gäste da seyn wür- den, und in meinem Zimmer bey zugezo- genen Vorhängen zu liegen, als ob der Tag meinem Kopf, und meinen Augen schmerzte. -- Jch fand in dieser äußersten Roth kein anders Mittel; ich unterdrückte also meinen Jammer, und gieng zur La- dy, die ich noch aus dem Fenster dem zurückkehrenden Abgeschickten freundlich zurufen hörte. Die Lady erzählte mir die Größe des Reichthums und Ansehen des Hauses von Lord N** der durch den Tod seines Bruders einziger Erbe war. Nun, sagte sie, würde ihr Bruder vergnügt seyn, der sonst seinen Fehler als den Ehrgeiz hät- te; seine Freude machte die ihrige. Dank- barkeit und Freundschaft, ihr unterstützet mich -- Denn wo hätte sonst meine Ver- nunft, meine völlig zerstörte Seele, die
Kraft
Emilia, beten Sie fuͤr mich! Ein Wun- der, ja ein Wunder iſts, daß ich mich ſammlen konnte. — Jch beſchloß, mich zu verſtellen, der Lady alle Anſtalten des Empfangs machen zu helfen, und dann eine Krankheit und Ermattung vorzu- ſchuͤtzen, ſo lange die Gaͤſte da ſeyn wuͤr- den, und in meinem Zimmer bey zugezo- genen Vorhaͤngen zu liegen, als ob der Tag meinem Kopf, und meinen Augen ſchmerzte. — Jch fand in dieſer aͤußerſten Roth kein anders Mittel; ich unterdruͤckte alſo meinen Jammer, und gieng zur La- dy, die ich noch aus dem Fenſter dem zuruͤckkehrenden Abgeſchickten freundlich zurufen hoͤrte. Die Lady erzaͤhlte mir die Groͤße des Reichthums und Anſehen des Hauſes von Lord N** der durch den Tod ſeines Bruders einziger Erbe war. Nun, ſagte ſie, wuͤrde ihr Bruder vergnuͤgt ſeyn, der ſonſt ſeinen Fehler als den Ehrgeiz haͤt- te; ſeine Freude machte die ihrige. Dank- barkeit und Freundſchaft, ihr unterſtuͤtzet mich — Denn wo haͤtte ſonſt meine Ver- nunft, meine voͤllig zerſtoͤrte Seele, die
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Emilia, beten Sie fuͤr mich! Ein Wun-
der, ja ein Wunder iſts, daß ich mich
ſammlen konnte. — Jch beſchloß, mich
zu verſtellen, der Lady alle Anſtalten des
Empfangs machen zu helfen, und dann
eine Krankheit und Ermattung vorzu-
ſchuͤtzen, ſo lange die Gaͤſte da ſeyn wuͤr-
den, und in meinem Zimmer bey zugezo-
genen Vorhaͤngen zu liegen, als ob der
Tag meinem Kopf, und meinen Augen
ſchmerzte. — Jch fand in dieſer aͤußerſten
Roth kein anders Mittel; ich unterdruͤckte
alſo meinen Jammer, und gieng zur La-
dy, die ich noch aus dem Fenſter dem
zuruͤckkehrenden Abgeſchickten freundlich
zurufen hoͤrte. Die Lady erzaͤhlte mir die
Groͤße des Reichthums und Anſehen des
Hauſes von Lord N** der durch den Tod
ſeines Bruders einziger Erbe war. Nun,
ſagte ſie, wuͤrde ihr Bruder vergnuͤgt ſeyn,
der ſonſt ſeinen Fehler als den Ehrgeiz haͤt-
te; ſeine Freude machte die ihrige. Dank-
barkeit und Freundſchaft, ihr unterſtuͤtzet
mich — Denn wo haͤtte ſonſt meine Ver-
nunft, meine voͤllig zerſtoͤrte Seele, die
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/198>, abgerufen am 22.11.2024.
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