Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite


sah sie als eine freywillige weggeworfene
meiner Achtung unwürdige Creatur an,
und dünkte mich berechtiget, ihr auch so
zu begegnen. Wie grausam war meine
Eigenliehe gegen das liebenswerthe Mäd-
chen! erst wollte ich nicht von meiner
Liebe reden, bis sie sich ganz nach meinen
Begriffen in dem vollen Glanz einer
triumphierenden Tugend gezeigt haben
würde. Sie gieng ihren eigenen schö-
nen Weg, und weil sie meinen idealischen
Plan nicht befolgte, eignete ich mir die
Gewalt zu, sie darüber auf das empfind-
lichste zu bestrafen. Wir beurtheilten
und verdammten sie alle! aber sie -- wie
edel, wie groß wird sie, in dem Augen-
blick, da ich sie für erniedrigt hielt! sie
segnete in der weißen Maske mich wüten-
den Menschen, da sie an den Rand eines
frühen Grabes gestoßen hatte -- O,
was kann sie itzt von dem Geschöpfe sa-
gen, durch dessen Unbesonnenheit sie in
eine übereilte und gewiß unglückliche Ehe
gestürzt wurde, die sie schon bereut, und
nicht wieder brechen kann. Sie schrieb

meinen


ſah ſie als eine freywillige weggeworfene
meiner Achtung unwuͤrdige Creatur an,
und duͤnkte mich berechtiget, ihr auch ſo
zu begegnen. Wie grauſam war meine
Eigenliehe gegen das liebenswerthe Maͤd-
chen! erſt wollte ich nicht von meiner
Liebe reden, bis ſie ſich ganz nach meinen
Begriffen in dem vollen Glanz einer
triumphierenden Tugend gezeigt haben
wuͤrde. Sie gieng ihren eigenen ſchoͤ-
nen Weg, und weil ſie meinen idealiſchen
Plan nicht befolgte, eignete ich mir die
Gewalt zu, ſie daruͤber auf das empfind-
lichſte zu beſtrafen. Wir beurtheilten
und verdammten ſie alle! aber ſie — wie
edel, wie groß wird ſie, in dem Augen-
blick, da ich ſie fuͤr erniedrigt hielt! ſie
ſegnete in der weißen Maske mich wuͤten-
den Menſchen, da ſie an den Rand eines
fruͤhen Grabes geſtoßen hatte — O,
was kann ſie itzt von dem Geſchoͤpfe ſa-
gen, durch deſſen Unbeſonnenheit ſie in
eine uͤbereilte und gewiß ungluͤckliche Ehe
geſtuͤrzt wurde, die ſie ſchon bereut, und
nicht wieder brechen kann. Sie ſchrieb

meinen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0019" n="13"/><fw place="top" type="header"><lb/></fw> &#x017F;ah &#x017F;ie als eine freywillige weggeworfene<lb/>
meiner Achtung unwu&#x0364;rdige Creatur an,<lb/>
und du&#x0364;nkte mich berechtiget, ihr auch &#x017F;o<lb/>
zu begegnen. Wie grau&#x017F;am war meine<lb/>
Eigenliehe gegen das liebenswerthe Ma&#x0364;d-<lb/>
chen! er&#x017F;t wollte ich nicht von meiner<lb/>
Liebe reden, bis &#x017F;ie &#x017F;ich ganz nach meinen<lb/>
Begriffen in dem vollen Glanz einer<lb/>
triumphierenden Tugend gezeigt haben<lb/>
wu&#x0364;rde. Sie gieng ihren eigenen &#x017F;cho&#x0364;-<lb/>
nen Weg, und weil &#x017F;ie meinen ideali&#x017F;chen<lb/>
Plan nicht befolgte, eignete ich mir die<lb/>
Gewalt zu, &#x017F;ie daru&#x0364;ber auf das empfind-<lb/>
lich&#x017F;te zu be&#x017F;trafen. Wir beurtheilten<lb/>
und verdammten &#x017F;ie alle! aber &#x017F;ie &#x2014; wie<lb/>
edel, wie groß wird &#x017F;ie, in dem Augen-<lb/>
blick, da ich &#x017F;ie fu&#x0364;r erniedrigt hielt! &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;egnete in der weißen Maske mich wu&#x0364;ten-<lb/>
den Men&#x017F;chen, da &#x017F;ie an den Rand eines<lb/>
fru&#x0364;hen Grabes ge&#x017F;toßen hatte &#x2014; O,<lb/>
was kann &#x017F;ie itzt von dem Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe &#x017F;a-<lb/>
gen, durch de&#x017F;&#x017F;en Unbe&#x017F;onnenheit &#x017F;ie in<lb/>
eine u&#x0364;bereilte und gewiß unglu&#x0364;ckliche Ehe<lb/>
ge&#x017F;tu&#x0364;rzt wurde, die &#x017F;ie &#x017F;chon bereut, und<lb/>
nicht wieder brechen kann. Sie &#x017F;chrieb<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">meinen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0019] ſah ſie als eine freywillige weggeworfene meiner Achtung unwuͤrdige Creatur an, und duͤnkte mich berechtiget, ihr auch ſo zu begegnen. Wie grauſam war meine Eigenliehe gegen das liebenswerthe Maͤd- chen! erſt wollte ich nicht von meiner Liebe reden, bis ſie ſich ganz nach meinen Begriffen in dem vollen Glanz einer triumphierenden Tugend gezeigt haben wuͤrde. Sie gieng ihren eigenen ſchoͤ- nen Weg, und weil ſie meinen idealiſchen Plan nicht befolgte, eignete ich mir die Gewalt zu, ſie daruͤber auf das empfind- lichſte zu beſtrafen. Wir beurtheilten und verdammten ſie alle! aber ſie — wie edel, wie groß wird ſie, in dem Augen- blick, da ich ſie fuͤr erniedrigt hielt! ſie ſegnete in der weißen Maske mich wuͤten- den Menſchen, da ſie an den Rand eines fruͤhen Grabes geſtoßen hatte — O, was kann ſie itzt von dem Geſchoͤpfe ſa- gen, durch deſſen Unbeſonnenheit ſie in eine uͤbereilte und gewiß ungluͤckliche Ehe geſtuͤrzt wurde, die ſie ſchon bereut, und nicht wieder brechen kann. Sie ſchrieb meinen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/19
Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/19>, abgerufen am 21.11.2024.