Es ist mir leid, erwiederte ich; daß ich denken muß, es gebe in der moralischen Welt auch sandige Striche in denen nichts wächst -- Heiden, die kaum kleines trocknes Gesträuche hervorbringen, und morastige Gegenden, welche die allgemei- ne moralische Verbesserung eben so weit hinaussetzen, wie in der Physikalischen viele Menschenalter vorbeygehen, ehe Noth und Umstände sich vereinigen; den Sand mit Bäumen und Hecken durchzu- ziehen, um dadurch wenigstens zu verhin- dern, daß ihn der Wind nicht auf gutes Land treibe, und auch dieses verderbe. Lange brauchts bis man Heiden anbaut, Morä- sten ihr Wasser abzapft, und sie nützlich macht; dennoch beweisen alle Jhre Ver- suche, daß die Tugend der Nutzbarkeit in der ganzen Erde liege, wenn man nur die Hindernisse ihrer Wirkung wegnimmt. Der Grundstoff der moralischen Welt hält gewiß auch durchgehends die Fähigkeiten der Tugend in sich; aber sein Anbau wird oft vernachläßiget, oft verkehrt angefan- gen, und dadurch Blüthe und Früchte
verhin-
Es iſt mir leid, erwiederte ich; daß ich denken muß, es gebe in der moraliſchen Welt auch ſandige Striche in denen nichts waͤchſt — Heiden, die kaum kleines trocknes Geſtraͤuche hervorbringen, und moraſtige Gegenden, welche die allgemei- ne moraliſche Verbeſſerung eben ſo weit hinausſetzen, wie in der Phyſikaliſchen viele Menſchenalter vorbeygehen, ehe Noth und Umſtaͤnde ſich vereinigen; den Sand mit Baͤumen und Hecken durchzu- ziehen, um dadurch wenigſtens zu verhin- dern, daß ihn der Wind nicht auf gutes Land treibe, und auch dieſes verderbe. Lange brauchts bis man Heiden anbaut, Moraͤ- ſten ihr Waſſer abzapft, und ſie nuͤtzlich macht; dennoch beweiſen alle Jhre Ver- ſuche, daß die Tugend der Nutzbarkeit in der ganzen Erde liege, wenn man nur die Hinderniſſe ihrer Wirkung wegnimmt. Der Grundſtoff der moraliſchen Welt haͤlt gewiß auch durchgehends die Faͤhigkeiten der Tugend in ſich; aber ſein Anbau wird oft vernachlaͤßiget, oft verkehrt angefan- gen, und dadurch Bluͤthe und Fruͤchte
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Es iſt mir leid, erwiederte ich; daß
ich denken muß, es gebe in der moraliſchen
Welt auch ſandige Striche in denen nichts
waͤchſt — Heiden, die kaum kleines
trocknes Geſtraͤuche hervorbringen, und
moraſtige Gegenden, welche die allgemei-
ne moraliſche Verbeſſerung eben ſo weit
hinausſetzen, wie in der Phyſikaliſchen
viele Menſchenalter vorbeygehen, ehe
Noth und Umſtaͤnde ſich vereinigen; den
Sand mit Baͤumen und Hecken durchzu-
ziehen, um dadurch wenigſtens zu verhin-
dern, daß ihn der Wind nicht auf gutes Land
treibe, und auch dieſes verderbe. Lange
brauchts bis man Heiden anbaut, Moraͤ-
ſten ihr Waſſer abzapft, und ſie nuͤtzlich
macht; dennoch beweiſen alle Jhre Ver-
ſuche, daß die Tugend der Nutzbarkeit in
der ganzen Erde liege, wenn man nur
die Hinderniſſe ihrer Wirkung wegnimmt.
Der Grundſtoff der moraliſchen Welt haͤlt
gewiß auch durchgehends die Faͤhigkeiten
der Tugend in ſich; aber ſein Anbau wird
oft vernachlaͤßiget, oft verkehrt angefan-
gen, und dadurch Bluͤthe und Fruͤchte
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/178>, abgerufen am 22.11.2024.
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