Gewiß haben Sie schon Beschreibun- gen von englischen Landhäusern gelesen. Denken Sie sich das schönste im alten Ge- schmacke davon, und nennen es Summer- hall; legen Sie aber an die Seite des Parks ein großes hübsches Dorf, und stellen Sie sich meine Lady und mich vor, wie wir, einander im Arme die Gassen durchgehen, mit Kindern oder Arbeitern reden, einen Kranken besuchen, und den Bedürftigen Hülfe reichen. Dieß ist Nachmittags und Abends das Geschäffte meiner Lady; Morgens lese ich ihr vor, und besorge ihr Haus; Besuche, die sie von der wenigen Nachbarschaft erhält, und der Umgang mit dem vortrefflichen Pfarrherrn des Orts füllen das übrige der Zeit so aus, daß mir wenig zu meinem besondern Lesen übrig bleibt. Die Bücher, welche sich meine Lady aus- gesucht hat, bezeichnen den Nationalgeist, und die Empfindung der sich immer nä- hernden Grenzen Jhres Lebens. Jenes Fach füllen die Geschichtschreiber von England und die Hofzeitungen, dieses die
besten
Gewiß haben Sie ſchon Beſchreibun- gen von engliſchen Landhaͤuſern geleſen. Denken Sie ſich das ſchoͤnſte im alten Ge- ſchmacke davon, und nennen es Summer- hall; legen Sie aber an die Seite des Parks ein großes huͤbſches Dorf, und ſtellen Sie ſich meine Lady und mich vor, wie wir, einander im Arme die Gaſſen durchgehen, mit Kindern oder Arbeitern reden, einen Kranken beſuchen, und den Beduͤrftigen Huͤlfe reichen. Dieß iſt Nachmittags und Abends das Geſchaͤffte meiner Lady; Morgens leſe ich ihr vor, und beſorge ihr Haus; Beſuche, die ſie von der wenigen Nachbarſchaft erhaͤlt, und der Umgang mit dem vortrefflichen Pfarrherrn des Orts fuͤllen das uͤbrige der Zeit ſo aus, daß mir wenig zu meinem beſondern Leſen uͤbrig bleibt. Die Buͤcher, welche ſich meine Lady aus- geſucht hat, bezeichnen den Nationalgeiſt, und die Empfindung der ſich immer naͤ- hernden Grenzen Jhres Lebens. Jenes Fach fuͤllen die Geſchichtſchreiber von England und die Hofzeitungen, dieſes die
beſten
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Gewiß haben Sie ſchon Beſchreibun-
gen von engliſchen Landhaͤuſern geleſen.
Denken Sie ſich das ſchoͤnſte im alten Ge-
ſchmacke davon, und nennen es Summer-
hall; legen Sie aber an die Seite des
Parks ein großes huͤbſches Dorf, und
ſtellen Sie ſich meine Lady und mich vor,
wie wir, einander im Arme die Gaſſen
durchgehen, mit Kindern oder Arbeitern
reden, einen Kranken beſuchen, und den
Beduͤrftigen Huͤlfe reichen. Dieß iſt
Nachmittags und Abends das Geſchaͤffte
meiner Lady; Morgens leſe ich ihr vor,
und beſorge ihr Haus; Beſuche, die ſie
von der wenigen Nachbarſchaft erhaͤlt,
und der Umgang mit dem vortrefflichen
Pfarrherrn des Orts fuͤllen das uͤbrige
der Zeit ſo aus, daß mir wenig zu
meinem beſondern Leſen uͤbrig bleibt.
Die Buͤcher, welche ſich meine Lady aus-
geſucht hat, bezeichnen den Nationalgeiſt,
und die Empfindung der ſich immer naͤ-
hernden Grenzen Jhres Lebens. Jenes
Fach fuͤllen die Geſchichtſchreiber von
England und die Hofzeitungen, dieſes die
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/161>, abgerufen am 22.11.2024.
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