Die Gräfin Löbau hatte die Grausam- keit dem Fräulein Vorwürfe über ihr Be- tragen zu machen. Das Fräulein ant- wortete mit nichts als einen Strohm von Thränen, die aus ihren gen Himmel gerich- teten Augen flossen, und ihre gerungenen Hände benetzten.
Der Fürst kam mit dem Medico, der das Fräulein mit Staunen ansah, ihr den Puls fühlte, und den Ausspruch that, daß das heftigste Fieber mit starken Zückun- gen vorhanden wäre; der Fürst empfohl sie seiner Aufsicht und Sorgfalt auf das Jnständigste. Als die angespannte Kut- sche gemeldet wurde, sah sich das Fräu- lein sorgsam und erschrocken um, fiel vor dem Fürsten nieder, und indem sie ihre Hände gegen ihn erhob, rief sie:
O wenn es wahr ist, daß Sie mich lie- ben, lassen Sie mich nirgend anders wo- hin führen, als in mein Haus.
Der Fürst hob sie auf, und sagte ihr be- wegt: Er schwöre ihr die ehrerbietigsten Gesinnungen, und hätte keinen Gedanken sie zu betrügen; er bäte sie nur, daß sie
sich
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Die Graͤfin Loͤbau hatte die Grauſam- keit dem Fraͤulein Vorwuͤrfe uͤber ihr Be- tragen zu machen. Das Fraͤulein ant- wortete mit nichts als einen Strohm von Thraͤnen, die aus ihren gen Himmel gerich- teten Augen floſſen, und ihre gerungenen Haͤnde benetzten.
Der Fuͤrſt kam mit dem Medico, der das Fraͤulein mit Staunen anſah, ihr den Puls fuͤhlte, und den Ausſpruch that, daß das heftigſte Fieber mit ſtarken Zuͤckun- gen vorhanden waͤre; der Fuͤrſt empfohl ſie ſeiner Aufſicht und Sorgfalt auf das Jnſtaͤndigſte. Als die angeſpannte Kut- ſche gemeldet wurde, ſah ſich das Fraͤu- lein ſorgſam und erſchrocken um, fiel vor dem Fuͤrſten nieder, und indem ſie ihre Haͤnde gegen ihn erhob, rief ſie:
O wenn es wahr iſt, daß Sie mich lie- ben, laſſen Sie mich nirgend anders wo- hin fuͤhren, als in mein Haus.
Der Fuͤrſt hob ſie auf, und ſagte ihr be- wegt: Er ſchwoͤre ihr die ehrerbietigſten Geſinnungen, und haͤtte keinen Gedanken ſie zu betruͤgen; er baͤte ſie nur, daß ſie
ſich
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Die Graͤfin Loͤbau hatte die Grauſam-
keit dem Fraͤulein Vorwuͤrfe uͤber ihr Be-
tragen zu machen. Das Fraͤulein ant-
wortete mit nichts als einen Strohm von
Thraͤnen, die aus ihren gen Himmel gerich-
teten Augen floſſen, und ihre gerungenen
Haͤnde benetzten.
Der Fuͤrſt kam mit dem Medico, der
das Fraͤulein mit Staunen anſah, ihr
den Puls fuͤhlte, und den Ausſpruch that,
daß das heftigſte Fieber mit ſtarken Zuͤckun-
gen vorhanden waͤre; der Fuͤrſt empfohl
ſie ſeiner Aufſicht und Sorgfalt auf das
Jnſtaͤndigſte. Als die angeſpannte Kut-
ſche gemeldet wurde, ſah ſich das Fraͤu-
lein ſorgſam und erſchrocken um, fiel vor
dem Fuͤrſten nieder, und indem ſie ihre
Haͤnde gegen ihn erhob, rief ſie:
O wenn es wahr iſt, daß Sie mich lie-
ben, laſſen Sie mich nirgend anders wo-
hin fuͤhren, als in mein Haus.
Der Fuͤrſt hob ſie auf, und ſagte ihr be-
wegt: Er ſchwoͤre ihr die ehrerbietigſten
Geſinnungen, und haͤtte keinen Gedanken
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/371>, abgerufen am 24.11.2024.
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